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Politik

Merkel und Seehofer: Im Streit vereint

2. Juli 2018

Das Verhältnis zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Horst Seehofer ist zerrüttet. Wegen der Asylpolitik, aber auch wegen Machtfragen. Sie eint nur noch eine lange Geschichte von Auseinandersetzungen.

Archiv - Angela Merkel und Horst Seehofer
Bild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Der Streit zwischen der Kanzlerin und ihrem Innenminister dominiert seit Wochen die deutsche Innenpolitik. Der CSU-Minister will bestimmte Flüchtlinge an der Grenze abweisen, die CDU-Chefin lehnt dies ab und sucht nach einer europäischen Lösung. Es geht dabei nicht allein um den Umgang mit Migranten.

Seit Jahren brodelt es innerhalb der Union wegen der generellen parteipolitischen Ausrichtung. Unter Merkel rückte die CDU nach links, verprellte Stammwähler vor allem auf dem Land, gewann dafür Sympathien beim großstädtischen Wählermilieu. Seehofer und andere konservative Kräfte fordern dagegen eine Kurskorrektur. Seit die rechtspopulistische AfD an Zustimmung in der Bevölkerung gewinnt, fürchtet die CSU um die absolute Mehrheit in Bayern, wo am 14. Oktober Landtagswahlen anstehen.

Immerhin: Zur CDU/CSU-Fraktionssitzung Mitte Juni begrüßen sich Merkel und Seehofer nochBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Die Asylfrage ist für die CSU offenbar der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Wie in vielen gestörten Beziehungen ging es zwischen Merkel und Seehofer zunächst um Sachthemen. Mit jedem Schlagabtausch ist die Gangart härter, persönlicher und emotionaler geworden. Stationen eines langen Streits:

22. November 2004: Die Gesundheitsreform

SPD und Grüne regieren unter der Kanzlerschaft des Sozialdemokraten Gerhard Schröder. Merkel ist Oppositionsführerin, Edmund Stoiber CSU-Chef und Seehofer stellvertretender Fraktionsvorsitzender von CDU/CSU im Bundestag. Die Unionsfraktion diskutiert schon seit Monaten über eine Gesundheitsreform, eine sogenannte Kopfpauschale. Der Zwist eskaliert: Seehofer stellt sich gegen CDU-Parteichefin Merkel. Die Sachdiskussion wird zum ersten Machtkampf der beiden Spitzenpolitiker. Der Bayer kann sich nicht durchsetzen. Aus Protest legt er am Ende sein Amt als Fraktionsvorsitzender nieder. Merkel fügt Seehofer eine seiner bittersten Niederlagen zu. Er wird das nie vergessen.

22. November 2005: Das Ressortangebot 

Auf Drängen des damaligen CSU-Chefs Stoiber soll Seehofer im ersten Kabinett von Bundeskanzlerin Merkel Landwirtschaftsminister werden. Merkel sträubt sich, will aber den einflussreichen CSU-Chef nicht verprellen und willigt schließlich ein. Der ambitionierte Seehofer sieht sich für höhere Ämter berufen. Er macht aus seinem Unwillen keinen Hehl und spottet über den Posten: "Ich bin Minister für Bananen und Kartoffeln."

4. September 2015: Die Grenzöffnung

Die sonst so vorsichtig agierende Bundeskanzlerin öffnet angesichts des Flüchtlingsansturms und der Bilder des Elends die Grenzen - ohne sich mit den europäischen Nachbarn abzusprechen. Wenige Wochen zuvor war Merkel für einen Fernsehauftritt kritisiert worden, weil sie in einer Live-Sendung kühl auf den Auftritt eines Flüchtlingsmädchens reagiert hatte, das daraufhin in Tränen ausbrach. Merkel informiert Seehofer lediglich mit einer SMS über die Grenzöffnung. Seehofer macht gerade Urlaub in seinem bayerischen Ferienhaus. Er spricht bald darauf von einem "Fehler, der uns lange beschäftigen wird. Ich sehe keine Möglichkeit, den Stöpsel auf die Flasche zu kriegen."

9. Oktober 2015: Die Drohung

Seehofer versucht, Merkels Wir-schaffen-das-Politik immer offener auszubremsen. Der Ton verschärft sich zusehends. Der CSU-Chef warnt mittlerweile nicht nur, sondern er droht sogar mit einer Verfassungsklage, falls der Bund den Flüchtlingszuzug nicht eindämmen sollte. Allerdings nimmt er nach einer Aussprache mit der CDU davon Abstand. Die Gefahr eines ersten Bruchs ist damit abgewendet – fürs erste.

10. November 2015: Die Standpauke

Dieses Bild geht in die neuere deutsche Geschichte ein: Seehofer auf dem Podium, neben ihm die Kanzlerin, die Hände fast demütig gefaltet und betreten zur Seite schauend. Was ist passiert? Auf dem CSU-Parteitag in München hält der bayerische Ministerpräsident überraschend eine Standpauke. Gastrednerin Merkel überrascht der Frontalangriff. Sie kann aber nicht mehr von der Bühne, ohne sich eine Blöße zu geben. Zuvor hatte sie ihre Ablehnung einer Obergrenze von Flüchtlingszahlen bekräftigt. Horst Seehofer, der eine Begrenzung der Zuwanderung fordert, poltert im Anschluss los: "Jetzt will ich dir einfach meine Überzeugung sagen, damit die Standpunkte klar sind."

Merkel und Seehofer auf dem Balkon der BundeskanzleramtsBild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Seehofer erntet für den Auftritt tosenden Applaus. Für Merkel ist es eine fast 15 Minuten lange öffentliche Demütigung. Auf der kurz darauf stattfindenden Klausur in Wildbad Kreuth legt sich Seehofer zum ersten Mal auf eine konkrete Zahl als Obergrenze fest: Maximal 200.000 Flüchtlinge pro Jahr könne Deutschland aufnehmen. Zum Zustand Deutschlands in Zeiten der "Flüchtlingskrise" sagt er: "Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts." Am nächsten CSU-Parteitag am 4. November 2016 nimmt Merkel nicht teil.

15./21. März 2018: Der Islam

Während des Bundestagswahlkampfs hatten CDU und CSU krampfhaft Einigkeit demonstriert – nach außen. Doch zwischen Seehofer und Merkel bleibt die Atmosphäre in Wirklichkeit vergiftet. Seehofer beginnt wieder zu sticheln. Gegenüber einer Boulevardzeitung spricht er davon, dass "der Islam nicht zu Deutschland gehört." Damit schlägt er wieder einen offenen Konfrontationskurs gegen Merkel ein, die für ein offenes Deutschland wirbt. In ihrer Regierungserklärung widerspricht sie Seehofer mit den Worten, der Islam sei inzwischen "ein Teil Deutschlands geworden".

11 Juni 2018: Der Masterplan

Der bayerische Bär ist angeschlagen und hat den Spätherbst seiner politischen Karriere erreicht. Horst Seehofer, als Ministerpräsident von Markus Söder abgelöst, ist inzwischen Minister des Inneren, für Bau und Heimat im Kabinett Merkel. Konflikte zwischen seinem neuen "Superministerium" und dem Kanzleramt scheinen programmiert. Zumal sich der CSU-Veteran streitlustig wie immer gibt. Die Aussage Seehofers, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, führt zu neuen Kontroversen.

Bei einem Treffen mit dem schwedischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven erklärt die Kanzlerin mit Blick auf die vier Millionen in Deutschland lebenden Muslime: "Diese Muslime gehören auch zu Deutschland, und genauso gehört ihre Religion damit zu Deutschland, also auch der Islam." Seehofer kündigt unterdessen einen "Masterplan Migration" an, muss aber die öffentliche Vorstellung dieses Plans wegen Differenzen mit Merkel zunächst verschieben. Der Masterplan umfasst 63 Punkte, nur in einem Punkt stimmt Merkel nicht zu. Der bis heute andauernde Streit entzündet sich an der Frage, ob bereits in anderen EU-Staaten registrierte Flüchtlinge zukünftig direkt an der Grenze abgewiesen werden dürfen.

14. bis 18. Juni 2018: Die Richtlinienkompetenz

Seehofers Aussagen lassen die Vermutung zu, dass er gegebenenfalls als Innenminister die Grenzen ohne Rückendeckung der Kanzlerin schließen lassen würde. Kurz darauf soll er gesagt haben: "Ich kann mit dieser Frau nicht mehr arbeiten." Seehofer bestreitet dieses Zitat. Die Kanzlerin muss Position beziehen. Einen möglichen Alleingang ihres Ministers kann sie nicht zulassen, ohne Gefahr zu laufen, ihre Autorität vollends zu verlieren. In einem Fernsehinterview beruft sie sich auf ihre grundgesetzliche Richtlinienkompetenz. Im Extremfall könnte sie sich über die Entscheidung des Innenministers hinwegsetzen, was seine Entlassung nach sich zöge. Seehofer spottet, Merkel würde "aus einer Mickey Maus einen Elefanten machen". Er gibt der Kanzlerin 14 Tage Zeit, eine europäische Lösung zu finden.

20. Juni bis heute: Die Eskalation 

Merkel handelt auf dem EU-Gipfel am vergangenen Donnerstag und Freitag Zusagen für eine Flüchtlingsrückführung aus. Eine Lösung des Streits scheint für einen Moment in greifbare Nähe gerückt. Merkel sagt, ihre Vereinbarungen seien mindestens "wirkungsgleich" mit den Forderungen Seehofers. Sie greift dabei eine Formulierung des Bayern auf. Während sie der Parteivorstand lobt, sind die Meinungen in der Unionsfraktion gespalten. Erste Signale aus der CSU deuten auf eine Lösung des Streits hin.

Lange Nacht, düstere Miene: Seehofer nach dem Treffen der CSU-SpitzeBild: Getty Images/AFP/C. Stache

Am Sonntagabend wendet sich der Konflikt dramatisch. Die CSU ist mit den Ergebnissen nicht zufrieden. Seehofer erklärt seine Bereitschaft, von seinen Ämtern als Innenminister und CSU-Chef zurückzutreten. Nun ist fast alles möglich: eine Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft oder sogar das Platzen der Regierung. Vielleicht wäre ein Rücktritt Seehofers aber auch das Bauernopfer, das eine Kompromisslösung doch noch in greifbare Nähe rücken lässt? 

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