1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Merkel, Yücel und ein bewegter Tag in Berlin

16. Februar 2018

Drei europäische Regierungschefs geben sich bei Merkel die Klinke in die Hand. Die aber hat im Moment viele eigene Probleme. Zum Glück wird Deniz Yücel freigelassen. Sabine Kinkartz berichtet aus Berlin.

Angela Merkel
Bild: picture-alliance/dpa/J. Turczyk

Die erste Eilmeldung über die Freilassung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel kommt nur Sekunden, nachdem die Bundeskanzlerin und der italienische Regierungschef ihre gemeinsame Pressekonferenz im Kanzleramt beendet haben. Die anwesenden Journalisten sehen Angela Merkel und Paolo Gentiloni nur noch von hinten - Reporter-Pech. Den beiden eine Frage mit der Bitte nach einer Stellungnahme hinterher rufen? So etwas macht man im Kanzleramt nicht.

Vielleicht wären die beiden sogar froh gewesen, über Yücel sprechen zu können. Ihr Versuch, "business as usual" zu machen, über die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Italien und über die Zukunft Europas im Allgemeinen zu reden, hatte jedenfalls nicht funktioniert. Selbst die italienische Presse will vor allem über Innenpolitik sprechen, was die Gesichtszüge der ohnehin abgekämpft wirkenden und nur noch geschäftsführenden Kanzlerin noch ein bisschen mehr versteinern lässt.

Ungewissheit in jeder Beziehung

"Frau Bundeskanzlerin, welche Erwartungshaltung haben Sie gegenüber Ihrem eigenen Parteitag und dem Referendum über den Koalitionsvertrag in der SPD?", fragt die italienische Journalistin, die die erste Frage stellen darf. Von Gentiloni will sie wissen, ob eine große Koalition nicht auch etwas für Italien wäre, wo doch die jüngsten Meinungsumfragen darauf schließen lassen, dass die amtierende Mitte-Links-Koalition nach den Wahlen am 4. März keine Mehrheit mehr haben wird. Es ist nicht zu übersehen, dass da zwei stehen, die erst einmal ihre Probleme zu Hause lösen müssen.

Zwei, die zuhause Probleme habenBild: Reuters/H. Hanschke

Zwei Stunden später ist im Kanzleramt einiges anders. Statt mit dem italienischen steht Merkel nun mit dem polnischen Regierungschef vor der Presse. Die beiden haben zu Mittag gegessen und das länger als geplant. Es ist der Antrittsbesuch von Mateusz Morawiecki in Berlin. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen ist angespannt, die Liste der Probleme lang. Doch das ist angesichts der Freilassung von Deniz Yücel erst einmal zweitranging.

Freude über die Haftentlassung

Seit dem Vormittag haben sich Gerüchte, Erklärungen und Reaktionen überschlagen. Ist Yücel nun auf freiem Fuß, oder nicht? In der Regierungspressekonferenz ab 11.30 Uhr windet sich Rainer Breul, der Sprecher des Auswärtigen Amtes, diplomatisch und will nichts Falsches sagen. Sein Chef, Außenminister Sigmar Gabriel, der in München an der Sicherheitskonferenz teilnimmt, ist weniger zurückhaltend: Er freue sich sehr über die Entscheidung der türkischen Justiz, lässt der Minister wissen und spricht von einem "guten Tag für uns alle".

"Ich habe in den letzten Monaten viele direkte Gespräche mit der türkischen Regierung zur Beschleunigung des Verfahrens geführt", sagt Gabriel. "Dazu gehörten auch zwei Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan." Normalerweise wird über solche Gespräche und alle anderen im Hintergrund ablaufenden Bemühungen diplomatisches Stillschweigen gewahrt.

Gabriel möchte Außenminister bleiben

Derzeit sieht es jedoch nicht so aus, als würde die SPD in einer neuen großen Koalition Sigmar Gabriel auf dem Posten des Außenministers belassen. Wenn Gabriel jetzt laut trommelt, dann ist das vor allem ein Signal an seine Partei. Kann die SPD ihn jetzt noch ohne weiteres als Außenminister in Rente schicken?

Er danke dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavosoglu, "der diese Kontakte und Gespräche und vor allem die Beschleunigung des Verfahrens deutlich gemacht hat", sagt Sigmar Gabriel. "Und der deutschen Bundeskanzlerin für ihr Vertrauen in die Arbeit des Auswärtigen Amtes in diesem schwierigen Fall."

Einen Dank, den Angela Merkel umgehend zurückgibt. Sie freue sich sehr über die Freilassung von Deniz Yücel, sagt die Kanzlerin. "Ich möchte allen danken, die sich dafür eingesetzt haben. Und deshalb schließe ich in diesen Dank auch ganz besonders die Bemühungen des Außenministeriums mit ein und des Außenministers." Es zeige sich, dass Gespräche "vielleicht nicht ohne Nutzen" seien, sagt Merkel auf die Frage, was genau zur Freilassung von Yücel geführt habe. Sigmar Gabriel wird auch das gerne gehört haben.

Schwieriger Nachbar Polen

Ihre Erklärung zu den Ereignissen in der Türkei gibt die Kanzlerin am Ende der Pressekonferenz mit Regierungschef Mateusz Morawiecki ab. Was sie zuvor mit dem Gast aus Polen besprochen hat, lässt wenig Raum für Optimismus. Man sei in einem "intensiven Dialog", sagt Merkel, eine Formulierung, die Politiker gerne benutzen, wenn sie "wir streiten" meinen. Die Kanzlerin spricht von "ernsthaften Meinungsunterschieden in verschiedenen Fragen" und bezieht sich damit unter anderem auf die umstrittene Justizreform in Polen und die Flüchtlingspolitik - Positionen, die der Gast aus Warschau auch in Berlin nachdrücklich verteidigt.

Offene Kritik übt die Kanzlerin nicht, sie belässt es bei grundsätzlichen Anmerkungen. "Es gibt eine rechtsstaatliche Grundverpflichtung für alle EU-Mitglieder", sagt sie mit Blick auf das im Dezember von der EU-Kommission gegen Polen eingeleitete Sanktionsverfahren, bevor sie auf den aktuell größten wirtschaftspolitischen Streitpunkt zwischen Deutschland und Polen kommt, "Nord Stream 2".

Weniger Geld und mehr Abhängigkeit

Für die Bundesregierung ist der Bau einer zweiten Gas-Pipeline von Russland durch die Ostsee nach Deutschland ein rein ökonomisches Projekt. Polen und weitere osteuropäische Staaten hingegen machen Front gegen die Pipeline. Europa mache sich zunehmend von Russland abhängig, kritisiert Morawiecki in Berlin. Vielmehr ist ihm aber ein Dorn im Auge, dass Polen kein Transitland mehr sein würde. Nicht nur die Transitzahlungen würden wegfallen, sondern auch die Sicherheit, dass der Gashahn in Polen allein deswegen offen bleibt, weil die Russen dem Westen nicht einfach das Gas abdrehen würden.

Man habe einen intensiven Dialog geführt, sagt die KanzlerinBild: Reuters/H. Hanschke

Zur Sprache kommt auch Polens neues "Holocaust-Gesetz". Es richtet sich gegen jeden, der Polen eine Mitverantwortung für von Nazi-Deutschland begangene Verbrechen zuschreiben will. "Polen darf nicht der Verbrechen anderer bezichtigt werden", sagt Morawiecki in Berlin. Ruhigere Töne schlägt er an, als er zu dem Aufruf an im Ausland lebende Polen befragt wird, die anti-polnische Äußerungen den polnischen Auslandsvertretungen melden sollen. "Da würde ich nicht aus einer Mücke einen Elefanten machen", sagt er. Man wolle nur "weltweit dafür sorgen, dass es keine Lügen über Polen gibt".

Es regiert das Prinzip Hoffnung

Die Sonne steht schon weit im Westen über dem Kanzleramt, als am späten Nachmittag schließlich die britische Regierungschefin Theresa May bei der Bundeskanzlerin eintrifft. Angela Merkel trägt immer noch ihren grünen Blazer. Zwar behauptet sie, bei der Wahl der Garderobe nicht darauf zu achten, ob eine bestimmte Farbe ein bestimmtes Signal aussendet.

Doch grün ist bekanntlich die Farbe der Hoffnung. Und davon kann Merkel an diesem bewegten Tag in Berlin eine gehörige Portion gebrauchen. "Es ist eine Menge zu tun, was wir noch besser machen können", hat die Kanzlerin mit Blick auf die deutsch-polnischen Beziehungen gesagt. Ein Satz, der in Merkel derzeitiger Lage eigentlich in jeder Beziehung zutrifft.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen