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Politik

Merkel zieht Konsequenz aus Wahlniederlage

29. Oktober 2018

Nach den Verlusten der CDU in Hessen hat CDU-Chefin Angela Merkel ein Signal gesendet: Im Dezember gibt sie die Parteiführung ab. Die Kanzlerschaft will sie aber zu Ende führen. Die Nachfolger bringen sich in Stellung.

Berlin Merkel-Pressekonferenz nach Hessen-Wahl
Kanzlerin und Vertrauter: Angela Merkel Volker Bouffier Bild: Getty Images/AFP/T. Schwarz

Merkel: "An der Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen"

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Merkel sagte, dass sie schon vor der Sommerpause die Entscheidung getroffen habe, vom CDU-Vorsitz zurücktreten zu wollen. Sie habe die Verkündung dieses Schritts dann jetzt - nach den Verlusten der Unionsparteien bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen - um eine Woche vorgezogen.

Ursprünglich habe sie diesen Schritt bei der am Sonntag beginnenden, zweitägigen CDU-Vorstandsklausur ankündigen wollen. Sie habe ihre Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer nicht eingeweiht. Es sei manchmal besser, Menschen nicht in solche Entscheidungen miteinzubeziehen, sagte Merkel. Vor ihrer Ankündigung habe sie die Parteivorsitzenden der Koalitionspartner, Andrea Nahles (SPD) und Horst Seehofer (CSU), über ihren Schritt in Kenntnis gesetzt.

2021 wolle sie sich ganz aus der Politik zurückziehen, kündigte die 64-Jährige an. Sie werde nicht wieder als Kanzlerin und auch nicht wieder für den Bundestag kandidieren. Auch andere politische Ämter strebe sie nicht an.

"Mehr Chancen als Risiken"

Merkel verwies darauf, dass ihr Vorgehen "in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Beispiel" sei. Sie sehe in diesem Vorgehen aber mehr Chancen als Risiken. Bisher hatte Merkel immer darauf bestanden, dass beide Ämter für sie zusammengehören. Sie sagte, dass sie nun davon abrücke, sei "ein Wagnis". Sie halte dies aber für vertretbar. Merkel ist seit 18 Jahren CDU-Chefin und seit 13 Jahren Kanzlerin.

Merkel bestätigte, dass Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ihre Kandidaturen um den CDU-Vorsitz angekündigt hätten. Wie die dpa erfuhr, will auch der frühere Unions-Fraktionschef Friedrich Merz für den CDU-Vorsitz kandidieren. Der 62-jährige Jurist und Finanzexperte stand von 2000 bis 2002 an der Spitze der Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU - bis Merkel ihn aus diesem Amt verdrängte. Er gilt nach wie vor als ein Kopf der Konservativen in der Partei. Merz kann auf prominente Unterstützung zählen. CDU-Urgestein Wolfgang Bosbach will Merz Rückendeckung geben. 

Ein Bild der Kontrahenten aus alten Tagen: Friedrich Merz und Angela Merkel 2003Bild: Imago/photothek

Die 56 Jahre alte Kramp-Karrenbauer gilt als Vertraute Merkels. Die frühere saarländische Ministerpräsidentin war erst im Februar zur CDU-Generalsekretärin gewählt worden. Spahn hat sich in der Vergangenheit als Merkel-Kritiker und Vertreter des besonders konservativen Flügels der CDU profiliert. Bei Spekulationen über eine Nachfolge Merkels wurde bisher neben Kramp-Karrenbauer und Spahn auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet genannt. Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) war im Gespräch.

Trübsal bei Seehofer

Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer sagte, er bedauere Merkels angekündigten Rückzug aus der Parteispitze. "Es ist schade. Ich sage ausdrücklich: Es ist schade." Seehofer sagte weiter: "Wir haben uns manche Diskussionen geleistet, aber es war immer eine vertrauensvolle, vom gegenseitigen Respekt getragene Zusammenarbeit."

CSU-Chef Seehofer zeigt sich betrübt über Angela Merkels Verzicht auf eine erneute KandidaturBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Der Rückhalt für Seehofer bröckelt indes. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Eckhardt Rehberg fordert nach Merkels Rückzug vom Vorsitz nun den Rücktritt von CSU-Chef Horst Seehofer. "Wenn man sich die letzten Wochen und Monate ansieht und auf die Ergebnisse der beiden Landtagswahlen in Bayern und Hessen schaut, muss sich zuallererst die CSU die Frage stellen, welche Weichen sie personell stellen will. Die Antwort dürfte klar sein", sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.

Zurückhaltung bei Söder

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagt: "Wir nehmen das alles mit Respekt zur Kenntnis." Es seien Entscheidungen der CDU. "Jetzt schauen wir mal, wie's weitergeht. Wir müssen jetzt unsere Arbeit hier machen", sagt Söder vor Beginn einer weiteren Koalitions-Verhandlungsrunde mit den Freien Wählern.

Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus spricht Merkel Anerkennung für ihre Entscheidung aus. Die Fraktion werde alles daransetzen, gemeinsam mit Merkel und der von ihr geführten Bundesregierung diese Wahlperiode zu einem Erfolg zu machen.

Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier bezeichnete den Rückzug von Angela Merkel als CDU-Parteivorsitzende als "starke, noble und richtige Entscheidung". "Das ist eine tiefe Zäsur für die CDU", sagte der Partei-Vize.

"Außerordentliche Leistung"

SPD-Chefin Andrea Nahles gab sich mit Blick auf Merkels Schritt zunächst zurückhaltend. "Ich kann momentan nicht den Gremiensitzungen der CDU vorgreifen und möchte das deswegen an dieser Stelle nicht kommentieren", sagte sie. Zugleich äußerte sie großen Respekt für Merkels Schritt. Angela Merkel habe die CDU 18 Jahre als Vorsitzende angeführt und das als erste Frau, sagte Nahles. "Das ist eine außerordentliche Leistung." Merkel habe auch viel Kritik nicht nur ausgehalten, sondern die CDU inhaltlich neu aufgestellt und einen neuen Führungsstil etabliert. Die CDU sei ihr zu großem Dank verpflichtet.

In der Warteschleife: SPD-Chefin Andrea Nahles will abwarten, wie sich die CDU positioniertBild: Reuters/H. Hanschke

Die SPD werde den sicher spannenden Parteitag Anfang Dezember in Hamburg mit Interesse verfolgen, sagte Nahles mit Blick auf die Kandidaturen für Merkels Nachfolge. Für die große Koalition sieht sie hierdurch keine unmittelbaren Auswirkungen. "Das ist eine Entscheidung der CDU." Wichtig sei eine vertrauensvolle und verlässliche Zusammenarbeit. Wenn es sich gut auflöse, könne es sich auch positiv auf die Koalitionsarbeit auswirken, weil Richtungskonflikte damit beendet werden könnten.

Linke und FDP für Neuwahlen

FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann sagte der dpa: "Wenn die Bundeskanzlerin sagt, dass sie für den Parteivorsitz nicht mehr geeignet ist, dann muss sie sich doch erst recht fragen, ob sie noch für das Kanzleramt geeignet ist."

Die Linke hat die CDU aufgefordert, angesichts der Wahlniederlagen und schlechten Umfragewerte einen klaren Schnitt für die große Koalition zu ziehen. "Ich fände es inkonsequent, wenn Angela Merkel jetzt nur den Parteivorsitz zur Verfügung stellt", sagte Parteichefin Katja Kipping in Berlin. "Ein klarer Schnitt wäre jetzt notwendig." Das bedeute Neuwahlen, denn es gehe um mehr als nur die Führung der Union. 

Anerkennung von den Grünen

Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock zollt der Arbeit von Angela Merkel als CDU-Vorsitzende Respekt. Merkel habe die Partei für ein modernes Gesellschaftsbild geöffnet. Mit Blick auf den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer ergänzt sie, vielleicht kämen ja auch andere auf die Idee, Konsequenzen zu ziehen.

Die AfD beurteilt Merkels Rückzug im verbalen Hetzmodus: Die Jagd, die ihr Kollege Gauland angekündigt habe, sei erfolgreich. Die Zeit der "Alternativlosigkeit" sei vorbei, so Fraktionschefin Alice Weidel.

Sorgen in der Wirtschaft

Der Chef des Berliner Forschungsinstituts DIW, Marcel Fratzscher, wertet Merkels Verzicht auf eine erneute Kandidatur um den CDU-Vorsitz als Warnsignal: "Die Entscheidung ist ein Schock für Deutschland und Europa, der große Unsicherheit schafft." Der Stabilitätsanker Deutschland existiere so nicht mehr. "Im Gegenteil: Die Bundesrepublik wird immer mehr zu einem Risikofaktor."

Marcel Fratzscher befürchtet Auswirkungen auf die Wirtschaft

Bei der Wahl in Hessen verlor die CDU mit Ministerpräsident Volker Bouffier an der Spitze nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis 11,3 Punkte im Vergleich zur Wahl 2013 und kam auf 27,0 Prozent. Die SPD mit Thorsten Schäfer-Gümbel an der Spitze erzielte 19,8 Prozent (minus 10,9). Großer Wahlgewinner wurden die Grünen mit ebenfalls 19,8 Prozent (plus 8,7). Dank der hohen Grünen-Zugewinne ist eine Fortsetzung des seit 2013 regierenden schwarz-grünen Bündnisses in Hessen knapp möglich. Daneben kommen auch CDU und SPD sowie SPD, Grüne und FDP rechnerisch auf eine Mehrheit. Am stabilsten wäre ein Jamaika-Bündnis aus CDU, Grünen und FDP.

cgn/uh (afp, dpa, rtr)

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