Merkels Charme-Offensive in London
6. November 2012Statt auf steife Diskussionen in großer Runde setzt Angela Merkel auf ein gemeinsames Abendessen: Am Mittwoch (07.11.2012) versucht sie, David Cameron bei einem Arbeitsdinner in London kooperativer für den kommenden Gipfel zu stimmen. Am 22. und 23. November soll in Brüssel über das neue EU-Budget von 2014 bis 2020 entschieden werden. Doch die Briten drohen mit einem Veto, sollte der Haushaltsplan nicht in ihrem Interesse sein. Diese strikte Haltung ruft in der EU Unmut hervor und vertieft den Graben zwischen Großbritannien und dem Rest der EU.
"Die Haushaltsdebatte ist wie ein Blitzableiter für die Missstimmung, die sich auf beiden Seiten des Kanals aufgebaut hat", so Giles Merritt, Generalsekretär des Brüsseler Forschungsinstituts "Friends of Europe".
Feilschen um das EU-Budget
Da sich Großbritannien im Moment distanzierter denn je zur EU verhält, könnte die Positionierung in der Haushaltsdebatte in Brüssel als Indikator für die zukünftige EU-Politik der Briten ausgelegt werden.
Über den neuen siebenjährigen Haushalt wurde bereits heftig diskutiert: Die EU-Kommission strebt 1,033 Billionen Euro an - circa 5 Prozent mehr als das bisherige Budget. Die zyprische Ratspräsidentschaft möchte 50 Milliarden Euro weniger als die Kommission in der EU-Kasse sehen, Deutschland, Schweden und Frankreich mindestens 100 Milliarden. Und die Briten?
David Cameron selbst will den Haushalt auf dem alten Stand einfrieren. Damit würde er mehr als 200 Milliarden Euro unter dem Kommissionsvorschlag liegen. Der Mehrheit der Abgeordneten im britischen Unterhaus reicht aber selbst das nicht: Sie forderten bei der Abstimmung in der vergangenen Woche nicht nur das Einfrieren des EU-Budgets, sondern dessen Kürzung. Nun steht Cameron von allen Seiten unter Druck.
Die Budgetverhandlungen werden unter diesen Vorzeichen extrem schwierig. Und das, obwohl es sich um eine vergleichsweise geringe Größe handelt: ein Prozent des nationalen Bruttoeinkommens fließt in den EU-Haushalt - die nationalen Haushalte der meisten Mitgliedsstaaten hingegen schlucken 40 bis 50 Prozent des nationalen Bruttoeinkommens.
Stimmung ist angespannt
Der kommende Haushaltsgipfel und die EU-kritische Bewegung in Großbritannien werden in Brüssel genau beobachtet. Nach der Ankündigung Mitte Oktober, sich aus insgesamt 130 europäischen Programmen zur Zusammenarbeit bei Justiz- und Sicherheitsfragen zurückzuziehen, der Debatte über ein Referendum über den Verbleib in der EU und dem eurokritischen Kurs bei der Abstimmung im House of Commons vergangene Woche ist die Stimmung in Brüssel angespannt.
Marco Incerti vom Brüsseler Forschungsinstitut CEPS analysiert: "Vor nicht allzu langer Zeit wollten die EU-Partner Großbritannien mit allen Mitteln an Bord behalten. Jetzt haben sie aber gemerkt: Das funktioniert nicht." Bis jetzt habe man immer einen Kompromiss gefunden, aber inzwischen seien beide Seiten frustriert. "Irgendwann wird man das alles neu diskutieren müssen", so Incerti.
Großbritannien, so der EU-Parlamentarier Markus Ferber, solle sich entscheiden, ob es wirklich eine konstruktive Rolle in Europa spielen und sich aktiv mit einbringen oder nur am Binnenmarkt partizipieren wolle. Letzteres könnten sie auch wie Norwegen über den europäischen Wirtschaftsraum, also ohne EU-Mitgliedschaft. Guy Verhofstadt, ehemaliger belgischer Premier und Vorsitzender der liberalen Fraktion im Europaparlament, ist ähnlicher Meinung: Es gebe ein "fundamentales Problem" mit Großbritannien in der EU. "Sie wollen in der EU sein, aber an fast keiner Strategie mitwirken. Es ist schwierig, Mitglied des Clubs zu sein, aber nicht das Spiel des Clubs zu spielen", so Verhofstadt.
Charles Gilles, Generalsekretär des Brüsseler Think Tanks "Friends of Europe", sieht deshalb die Wahrscheinlichkeit, dass Großbritannien in den nächsten fünf Jahren aus der EU austritt, bei 50 Prozent.
Kooperation statt schwarzem Peter
Fabrizio Fiorilli, Sprecher des EU-Haushaltskommissars Janusz Lewandowski, warnt davor, Großbritannien an den Rand zu drängen. Es sei das Recht jedes Staates, bei Verhandlungen ein Veto einzulegen. Die Briten sind außerdem nicht die Einzigen, die bei den kommenden Verhandlungen Sonderwünsche haben: Dänemark hat angekündigt, ebenfalls ein Veto in der Haushaltsdebatte einzulegen, sollte es keinen Rabatt bei den Beitragszahlungen bekommen. Frankreich will bei weiteren Kürzungen im Agrarbereich nicht zustimmen.
Fiorilli erwartet, dass die Verhandlungen daher sehr schwer werden. Das sei aber keine Überraschung, schließlich würden die Budgetverhandlungen alle Bereiche der EU betreffen und die Richtung für die Zukunft weisen.
Kommt bis Ende 2013 kein neuer Haushalt zustande, wird der alte weitergeführt - und entspricht damit keinem der Wünsche der Beteiligten, seien es Briten, Deutsche oder Osteuropäer. Fiorilli ist deshalb optimistisch: "Der Lichtblick ist, dass jeder realisiert: Wenn kein neuer Haushalt zustande kommt, schadet das jedem, aber wirklich jedem Einzelnen von uns."
Nun gilt es für Angela Merkel, David Cameron genau davon zu überzeugen. "Brüssel erhofft sich von ihr eine Charme-Offensive gegenüber Cameron", so Giles Merritt vom Forschungsinstitut "Friends of Europe". Falls beim Gespräch in Großbritannien die Basis für einen konfliktfreien EU-Gipfel und eine Einigung über das kommende Budget gelegt wird, wird dies als gutes Zeichen für die gesamte Stellung der Briten in der EU gedeutet werden.