Merkels Deal geht nicht auf
18. März 2018Es gilt als eines der Herzstücke von Angela Merkels Flüchtlingspolitik: Genau zwei Jahre ist es her, dass die EU mit der Türkei eine Flüchtlingsvereinbarung getroffen hat. Das Abkommen erlaubt der EU beziehungsweise Griechenland, auf den griechischen Inseln angekommene Migranten zurück in die Türkei zu bringen, wenn sie in der EU kein Asyl erhalten haben. Im Gegenzug verpflichtet sich die EU zur finanziellen Unterstützung der Flüchtlinge in der Türkei und zur legalen Aufnahme syrischer Flüchtlinge direkt aus der Türkei.
Deutschland und die EU erhofften sich davon einen starken Rückgang von Flüchtlingen, die in die EU kommen. Außerdem sollte Schleppern das Handwerk gelegt werden und damit auch die Zahl der tödlichen Unglücke auf dem Mittelmeer zurückgehen. Der Deal hat seinen Preis: Rund sechs Milliarden Euro sollte die Türkei für die Unterbringung, Versorgung und Bildung der syrischen Flüchtlinge im Land erhalten - ausgezahlt in zwei Etappen. Die ersten drei Milliarden Euro sind bereits verplant oder ausbezahlt, die andere drei Milliarden Euro sollen bis Ende des Jahres folgen.
"Wiedergewinnung der Souveränität"
"Das Ziel, die Zahl der Ankommenden und auch die Zahl der in der Ägäis Ertrinkenden zu reduzieren, hat sehr schnell und fast dramatisch gewirkt", sagte Politikberater Gerald Knaus der DW. Er gilt als Vordenker des EU-Türkei-Abkommens. 2015 - als die Flüchtlingszahlen in Deutschland stark anstiegen - hatten er und seine Mitarbeiter einen "Merkel-Plan" entwickelt, der später teilweise im EU-Türkei-Deal umgesetzt wurde. "Kamen im Februar 2016 noch rund 2000 Menschen täglich auf den griechischen Inseln an, fiel die Zahl rund ein Jahr später auf weniger als 100 am Tag", bilanziert er. Die Anzahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kamen, nahm ebenfalls drastisch ab, was aber auch maßgeblich mit der nahezu blockierten Balkanroute zu tun hatte. Zudem: Auch die Anzahl der fluchtbereiten Menschen, die über die entsprechenden Mittel verfügten, hatte deutlich abgenommen. Dennoch konnte sich Merkel eine erfolgreiche "Flüchtlingsabwehr" auf die Fahne schreiben.
Auch die Situation der syrischen Flüchtlinge in der Türkei habe sich dank der EU-Gelder verbessert, analysiert Knaus. Lobende Worte findet auch Sozialwissenschaftler Vassilis Tsianos, Mitglied des Rates für Migration und Professor an der Fachhochschule Kiel. "Die Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei kann man durchaus als ein positives Projekt bezeichnen, was die Wiedergewinnung der Souveränität entlang der europäischen Grenzen angeht", sagte er der DW. Das Bundesinnenministerium teilte dem Sender in einem Statement mit, dass die EU-Türkei-Erklärung aus Sicht der Bundesregierung ein "Erfolg" sei und ihre Umsetzung nach wie vor eine "wichtige Rolle" bei den migrationspolitischen Herausforderungen spiele.
Überfüllte Camps, lange Verfahren
Also alles gut? Mitnichten. Das Projekt gerät immer wieder in die Kritik: Menschenrechtler bemängeln vor allem die politische Abhängigkeit der EU vom Autokraten Erdogan, Außerdem prangern sie die menschenunwürdigen Bedingungen in den überfüllten Auffanglagern auf den griechischen Inseln an, auf denen viele Menschen auf eine Asylentscheidung warten. Auch die Bilanz von Politikberater Knaus fällt - trotz der sinkenden Ankunftszahlen auf den Inseln - ernüchternd aus. Seit zwei Jahren, so Knaus, herrschten unzumutbaren Zustände in den Aufnahmezentren der Inseln. Außerdem verliefen die Bearbeitungen der Asylanträge auf den Inseln - inklusive Berufungskommissionen - derart langsam, dass dort Menschen monatelang festgehalten würden, um dann schließlich doch weiter auf das griechische Festland gebracht zu werden.
Laut EU-Kommission ist die Anzahl der Rückführungen unter dem EU-Türkei-Abkommen tatsächlich sehr gering. Lediglich rund 1.500 Menschen sind seit Startschuss des Projekts bislang wieder in die Türkei zurückgekehrt, davon 266 Syrer. Etwa 42.000 Menschen haben in der Zeit in Griechenland einen Asylantrag gestellt. Rund 14.000 Syrer wurden aus der Türkei in die EU aufgenommen, davon kamen etwa 4.000 nach Deutschland. "Das, was das Abkommen eigentlich erreichen wollte - nämlich schnelle Verfahren und jene schneller zurückzuschicken, die keinen Bedarf für Asyl in der EU haben - ist vollkommen gescheitert", sagt Knaus. "Wenn wir nicht schnell entscheiden können, dann bleiben Länder wie Griechenland oder Italien Magneten, weil jeder weiß: Überlebt man erst einmal die Fahrt mit dem Boot, dann bleibt dauerhaft in der EU, weil es eben kaum Rückführungen gibt."
Dennoch plädiert der Wissenschaftler für die Fortführung des Abkommens, wenn auch unter veränderten Bedingungen: "Wenn man sich die Zahl der Leute ansieht, die im vergangenen Jahr neu nach Deutschland gekommen sind, dann sind das natürlich im Vergleich zu 2015 und der ersten Jahreshälfte 2016 sehr viel weniger. Aber es waren immer noch 15.000 Menschen im Monat - und die meisten kamen über die Türkei nach Europa."