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Politik

Merkels letztes Gefecht

Bodo Weber
12. April 2019

Im Konflikt zwischen dem Kosovo und Serbien steht nichts weniger als das außenpolitische Erbe von Kanzlerin Merkel, die Stabilität Europas und die Zukunft des westlichen Bündnisses auf dem Spiel.

Bodo Weber - Südosteuropa-Analyst
Bild: privat

In den von der Europäischen Union geführten Verhandlungen zwischen Kosovo und Serbien um ein umfassendes, abschließendes Abkommen zur vollständigen Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen ist seit Jahresbeginn eine diplomatische Großoffensive der USA zu beobachten. Hinter den Verhandlungen steht die Idee, eine Vereinbarung zu treffen, die einen Gebietstausch zum Kerngegenstand hat. 

Die Idee wurde erstmals von den Präsidenten Serbiens und Kosovos, Aleksandar Vučić und Hashim Thaçi im Sommer 2018 öffentlich propagiert. Insbesondere Belgrad ist seit Beginn der Endphase des 2012 unter Führung von Kanzlerin Merkel initiierten politischen Dialogs zwischen Kosovo und Serbien vor zwei Jahren nicht müde geworden, für einen "Kompromiss" zu werben.

Präsident Thaçi brachte dann erstmals die Idee eines Tausches des mehrheitlich serbisch bewohnten Nordens des Kosovo gegen das in Südserbien gelegene, mehrheitlich albanisch bewohnte Preševo-Tal ins Spiel. Diese Idee beinhaltet die gegenseitige formelle Anerkennung der beiden Staaten. Einen Plan hat dabei bisher keiner der drei Beteiligten der unter völliger Geheimhaltung von der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini geführten Brüsseler Verhandlungen öffentlich gemacht.

Unheilige Allianz autoritärer balkanischer Führer

Gegen den Vorschlag haben sich vor allem die deutsche Regierung und die Kanzlerin ausgesprochen, die von den Befürwortern als Spielverderber dargestellt werden. Warum sollten EU und USA gegen ein derartiges Abkommen sein, fragen sie, wenn sich beide Seiten doch einig sind? Wer sollte es ihnen verbieten, und warum?

Tatsächlich ist der Vorschlag etwas völlig anderes, als von den Protagonisten dargestellt: Der Vorschlag ist eine unheilige Allianz zweier autoritärer balkanischer Führer mit der Außenbeauftragten der EU und der unberechenbaren Trump-Administration, welche den politischen Dialog wie die westlichen Grundprinzipien von drei Jahrzehnten Stabilisierung und Demokratisierung des westlichen Balkans pervertiert. 

Nach dem Kosovokrieg war es gerade Belgrad, das sich jeglichem realitätsbasierten Kompromiss verweigerte, einschließlich dem Plan des UN-Beauftragten Martti Ahtisaari, den Pristina dann in der Verfassungsordnung der heutigen Republik Kosovo gezwungen war, einseitig umzusetzen.

Jahre später erst war es dann vor allem Kanzlerin Merkel, die das Streben Belgrads in die EU zur Lösung des festgefahrenen Statuskonflikts nutzte, indem sie den Beitritt Serbiens mit der Anerkennung der Realität des Verlusts des Kosovo verknüpfte, und so unterstützt von Großbritannien und den USA den historischen Durchbruch erzielte. Im Aprilabkommen von 2013 erkannte Belgrad das Kosovo faktisch an. Der damalige serbische Premier Dacic sprach öffentlich davon, dass sich Politik und Gesellschaft ein Jahrzehnt belogen hätten, Kosovo sei noch immer Teil Serbiens.

Geheimverhandlungen als politischer Rückfall

Wenngleich die EU damals den Endpunkt des Dialogs nicht explizit gemacht hatte, so war dieser beiden Seiten doch klar, d.h., die vollständige Normalisierung der Beziehungen inklusive gegenseitiger Anerkennung. Dazu dienten auch die von Merkel und dem damaligen Außenminister Westerwelle getätigten Äußerungen, dass die Zeit der Grenzänderungen auf dem Balkan beendet sei.

Die jüngsten Geheimverhandlungen stellen daher einen drastischen politischen Rückfall dar. Die Motivation der beteiligten Akteure ist divers: Für Präsident Vučić ist es der Versuch, die aktuelle politische Schwäche der EU zu nutzen, um mehr herauszuschlagen, als in dem ursprünglich vereinbarten engen Rahmen des Dialogs möglich war. Gleichzeitig will er von den aktuellen innenpolitischen Problemen - die Folge autoritär-autokratischer Machtkonsolidierung unter westlicher Tolerierung - ablenken.

Präsident Thaçi hat die Verhandlungen gegen die Widerstände aller kosovoalbanischen Parteien privatisiert, in der Hoffnung, einer drohenden Anklage durch den EU-Sondergerichtshof für Kriegsverbrechen am Ende des Kosovokriegs zu entgehen.

Federica Mogherini, deren mangelnde Kapazitäten als Verhandlerin den Dialog in eine existentielle Krise geführt hatten, versucht verzweifelt, ihr Scheitern in eine Erfolgsgeschichte umzumünzen, indem sie ihre eigene Prinzipienlosigkeit im Dialog zum Prinzip erhoben hat. Ihr gemeinsamer Nenner mit der Trump-Administration, dieser ungewöhnlichen Achse Brüssel-Washington, liegt in der Aufgabe westlicher, liberaldemokratischer Prinzipien zugunsten eines Dealmaking im Sinne von "any deal is a good deal" zu liegen.

Gebietsaustausch würde Balkan destabilisieren

Die potentiellen Folgen eines Gebietstauschabkommens, der nachträgliche westliche Legitimierung des ethnoterritorialen Prinzips drei Jahrzehnte nach Beginn der Balkankriege wären verheerend: Der Exodus der mehrheitlich im Süden des Kosovo lebenden Serben, die in Vučićs Rechnung bewusst unter den Tisch fallen, wäre zwangsläufig, gefolgt von bewaffneten Konflikten zwischen serbischer Mehrheitsbevölkerung und Kosovoalbanern im Nordkosovo.

Die ethnonationalistische Destabilisierung der gesamten Region, von Bosnien-Herzegowina bis Mazedonien würde folgen. Der EU-Beitrittsprozess der Westbalkanländer wäre auf lange Zeit erledigt. Die durch Populisten und Nationalisten im Innern geschwächte EU würde zusätzlich existentiell bedroht. Eine durch westliche Akteure legitimierte ethnoterritoriale Teilung hätte darüber hinaus verheerende Auswirkungen auf die Auseinandersetzung mit Russland um die territoriale Integrität der Ukraine, mit unabsehbaren geopolitischen Folgen.

Merkel soll die Führungsrolle übernehmen

Für Kanzlerin Merkel bedeutet die aktuelle Entwicklung eine Art außen- und europapolitisches letzten Gefecht. Innerhalb der EU haben sich Merkel wie ihr sozialdemokratischer Außenminister Heiko Maas am klarsten öffentlich gegen die Idee geäußert. Diese Position wird von den allermeisten Mitgliedsstaaten geteilt, darunter solche wie Spanien und die Slowakei, die das Kosovo nicht anerkannt haben. Sie verstecken sich jedoch bisher weitestgehend hinter Deutschland, hoffend auf die Führungsrolle der Kanzlerin. Merkel scheint aktuell zu zögern, diesen Kampf um ihr politisches Erbe am Ende ihrer Ära aufzunehmen.

Um ein Gebietstauschabkommen mit seinen weitreichenden Folgen zu verhindern, muss die Kanzlerin die europäische Führungsrolle im politischen Dialog neu an sich ziehen. Zugleich muss sie Belgrad und Pristina öffentlich zu verstehen geben, dass im Falle einer Unterzeichnung eines Gebietstauschabkommens wegen der davon ausgehenden Bedrohung für Frieden und Demokratie im Westbalkan für Berlin die EU-Beitrittsperspektive beider Länder auf lange Sicht erledigt wäre. Alternativ könnte dies auch der Bundestag in einer entsprechenden, interfraktionellen Resolution tun.

Darüber hinaus sollte Berlin andere EU Mitgliedsstaaten für eine Initiative zu einem Reset der Dialogverhandlungen, welcher diese zurück in den ursprünglichen Rahmen des Dialogs führt, hinter sich versammeln. Es bleibt abzuwarten, ob der eben für den 29. April von Merkel und dem französischen Präsident Macron anberaumte Westbalkangipfel im Kanzleramt ein erster Schritt in diese Richtung ist.

Bodo Weber ist Senior Associate des Democratization Policy Council (DPC), einer transatlantischen Denkfabrik mit Sitz in Berlin.