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LiteraturDeutschland

Meron Mendel: "Über Israel reden"

Julia Hitz
14. Mai 2023

Über kaum ein anderes Land wird in Deutschland so viel geredet und gestritten wie über Israel. Warum? Dieser Frage geht der israelische Historiker Meron Mendel in seinem neuen Buch nach und gibt fünf Anregungen.

Israelische Flagge vor der Reichstagskuppel
Zu Israel hat jeder eine Meinung: Warum ist die Debatte so emotional? Bild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Die Idee für sein Buch habe ein Befund geliefert, schreibt Meron Mendel im Vorwort, nämlich wie konsequent unsachlich Debatten um Israel in Deutschland geführt werden. Der 1977 in einem israelischen Kibbuz geborene Nachfahre von Holocaust-Überlebenden wanderte 2003 nach Deutschland aus. Seit 2010 leitet er die Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main.

1. Sachliche Diskussion statt "Gesinnungstest"

In seinem neuen Buch "Über Israel reden" nimmt Mendel auf knapp zweihundert Seiten deutsche Debatten unter die Lupe. Da wäre zum Beispiel die Kontroverse um die Ausladung von Achille Mbembe bei der Ruhrtriennale, der den israelischen Staat mit dem südafrikanischen Apartheidsregime verglich, der Bundestagsbeschluss zum BDS (und der darauf folgenden "Initiative GG 5.3 Weltoffenheit") oder der Antisemitismus-Skandal auf der documenta fifteen.

"Uber Israel reden": Nominiert für den Deutschen Sachbuchpreis 2023"

Meron Mendel beschreibt, wie er als Jude und Israeli als Kronzeuge für ganz unterschiedliche Zwecke vereinnahmt wurde. In Deutschland liege der Fokus meist darauf, sich beim Thema Israel zu positionieren, anstatt differenziert miteinander ins Gespräch zu kommen, geschweige denn Probleme zu lösen oder zumindest die eigene Haltung kritisch zu hinterfragen, sagt er. Die Positionierung zur Israel-Palästina-Frage sei "die identitätsstiftende Frage schlechthin", sie stehe vor jeder anderen Diskussion, "quasi als Gesinnungstest". 

Mendel hingegen führt wieder und wieder auf die eigentlichen Sachfragen zurück: Wie hätten beispielsweise die antisemitischen Darstellungen auf der documenta fifteen erkannt und thematisiert - nicht nur skandalisiert - werden können? Fragen wie diese sowie die notwendige Differenzierung hat Mendel bei der Diskussion um die documenta vermisst. Und, so fürchtet er, werde sich das Ganze bei der nächsten Gelegenheit wiederholen: "Es wird bei den alten Konflikten bleiben - und bei neuen Versuchen, die Gegenposition zu delegitimieren."  

2. Weg vom Schwarz-Weiß-Denken

Mendel schildert eigene Erfahrungen. Seitdem er klar gemacht hat, dass er Antisemitismus nicht einfach als muslimisches Problem deklariert, beklagen linksextreme Gruppieren wie etwa "Thunder in Paradise" in Frankfurt am Main oder "Bündnis gegen Antisemitismus Kassel" nicht nur Mendels angebliche "Bagatellisierung des muslimischen Antisemitismus", sondern zeichnen ihn gar als "notorischen Antisemitismus-Leugner".

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Auch seine kritische Haltung gegenüber der israelischen Politik kam nicht gut an. "Anfangs wurde ich als "Freund" willkommen geheißen. Als klar wurde, dass mein Verhältnis zur aktuellen Politik in Israel deutlich kritischer ist und in meiner Analyse der Gefahren für Juden in Deutschland nicht die muslimische Minderheit an erster Stelle stand, wurde ich kurzerhand zum Feind erklärt." 

Es ist genau dieses Schwarz-Weiß-Denken, pro oder contra Israel, das Mendel kritisiert. Im Zentrum solle aber nicht die Frage stehen, welche Seite recht habe oder die moralisch überlegenere sei, sondern wie moderate Kräfte auf israelischer wie palästinensischer Seite unterstützt werden könnten. 

Prof. Dr. Meron Mendel Bild: Bildungsstätte Anne Frank, Frankfurt/Main

3. Täter-Opfer-Umkehrung erkennen

Meron Mendel mahnt deswegen zur Selbstreflexion, wenn sich in Deutschland Fragen rund um Israel und den Nahostkonflikt stellen. In Bezug auf die hitzige deutsche Diskussion um Israels Siedlungspolitik, bei der auch Vergleiche mit dem Nationalsozialismus gezogen werden, hat er den Eindruck, für viele Deutsche habe es, "offenkundig etwas Entlastendes, endlich auch die Juden als 'Tätervolk' zu kennzeichnen; es relativiert die eigene Verstrickung und erlaubt es, sich von ihr zu distanzieren, ohne sie bearbeiten zu müssen. (…)

Über eine Täter-Opfer-Umkehr kann das kollektive deutsche Schuldgefühl Entlastung empfinden - die Juden sind ja genauso schlimm wie unsere Vorfahren!", schreibt er. "Diese Entlastungsstrategie, die zunächst unter Rechtsradikalen entstanden ist, findet sich inzwischen auch in Bildungsmilieus, die sich als geschichtsbewusst und links verstehen."  

4. Unpassende Vergleiche vermeiden

Als studierter Historiker hält Mendel - wie die meisten Geschichtswissenschaftler - den Vergleich für ein selbstverständliches Mittel der Betrachtung und Analysemöglichkeit. Die Shoah in ihrer Beispiellosigkeit jedoch durch schräge Vergleiche zu relativieren, sei etwas anderes: Shoah und Nakba gleichzusetzen sei historisch nicht haltbar, so Mendel. Er folgt der Analyse der Historiker Martin Shaw und Omer Bartov: "Hinter der Behauptung steckt der 'Drang, die bloße Existenz des Staates Israel zu delegitimieren'." 

Mendel macht wiederholt deutlich, wie wichtig es sei, das Leid unterschiedlicher Opfer von Gewalt (und nicht zuletzt das der Palästinenser) anzuerkennen. "Der Aufruf nach mehr Empathie gegenüber den 'Anderen' ist an sich zu begrüßen", so Mendel. "Bezeichnend ist aber, dass er oftmals Hand in Hand geht mit Empathielosigkeit gegenüber Juden. Sie gelten als die privilegierten Anderen."

5. Israels Entstehungsgeschichte mitbedenken

Kritiker werfen Israel vor, sich den Palästinensern gegenüber wie ein imperialer Kolonialstaat zu verhalten. Dabei wird allerdings ausgeblendet, dass der Staatsgründung die Shoa vorausging. Man könne nicht die Leichen von Auschwitz gegen die Leichen in der Omaheke-Wüste (wasserloses Gebiet im heutigen Namibia, in dem deutsche Kolonialherren 1904 Tausende Herero verdursten ließennachdem sie sich gegen die Besatzung aufgelehnt hattenAnm. d. Red.) aufrechnen, resümiert Mendel. Dahinter stecke der "Wunsch, Israel scharf zu verurteilen, ohne dessen Entstehungsgeschichte mitbedenken zu müssen". Sprich: Israel zu einem Kolonialstaat unter vielen zu machen. 

Zu seinem Fazit gehört die Aussage, dass deutsche Verantwortung für Israel heute im besten Sinne die Verantwortung sein könnte, sich klar gegen Rechtsextremismus zu positionieren, "auch wenn er im israelischen Kabinett auftritt". "Über Israel reden" könnte zu einer neuen deutschen Tugend werden: im Sinne der Kunst, "zu kritisieren, ohne die eigene Verantwortlichkeit zu negieren". 

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