Merz in der Türkei: Annäherung an Ankara
31. Oktober 2025
Als Berlin letzte Woche den Weg für die Lieferung von 20 Kampfflugzeugen vom Typ Eurofighter Typhoon an die Türkei freimachte, wurde deutlich: Der neue Kanzler Friedrich Merz steht für eine pragmatischere Politik gegenüber Ankara als seine Vorgänger Angela Merkel und Olaf Scholz.
"Lassen Sie uns das enorme Potential der Beziehungen nutzen", sagte Merz nach dem Treffen in Ankara vor der Presse und erklärte: "In geopolitischen Zeiten, wo große Mächte die Politik prägen, müssen Deutschland und Europa ihre strategischen Partnerschaften ausbauen". Da führe kein Weg an der Türkei vorbei, so Merz.
Gerade jetzt, vor dem Hintergrund zahlreicher Konflikte direkt vor Europas Haustür, versucht die Bundesregierung offenbar einen neuen Umgang mit schwierigen Partnern.
Kritik nach dem Besuch
Als ein solcher gilt auch die Türkei. Deutschland und Europa können derzeit nur zuschauen, wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mit allen, auch undemokratischen Mitteln politische Gegner unterdrückt, um seine Macht zu festigen. Deshalb sorgten die Äußerungen von Merz durchaus für Kritik in Deutschland.
Der Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe Serdar Yüksel warf Merz vor, er verspreche der Türkei eine Annäherung an die EU, verliere aber "kein Wort über politische Gefangene, über eingeschränkte Pressefreiheit oder über demokratische Oppositionsfiguren wie Ekrem Imamoglu". Dies sende ein falsches Signal, so der SPD-Politiker.
Imamoglu ist der derzeit größte politische Gegner Erdogans - und seit Monaten inhaftiert. In der abschließenden Pressekonferenz nach seinem Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten erwähnte der deutsche Kanzler den CHP-Politiker zunächst nicht. Erst als er von einem Journalisten auf ihn angesprochen wird, antwortete Merz: "Ich habe meine Besorgnis zum Ausdruck gebracht, dass die Unabhängigkeit der Rechtsprechung nicht unseren Vorstellungen entspricht."
Realpolitik führt zum Umdenken
Dass die Bundesregierung ihre Kooperation mit der Türkei weiter ausbauen will und sich deshalb mit Kritik an Ankara deutlich zurückhält, hat auch innenpolitische Beweggründe - vor allem mit der verschärften deutschen Migrationspolitik. Die Türkei kontrolliert einige der zentralen Migrationsrouten Richtung Europa - das sehen Merz und seine Minister als große Chance. Sie wollen die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland erhöhen - und hoffen darauf, dass die Türkei mehr dieser Menschen aufnehmen wird als bisher.
Ob der Plan der Bundesregierung aufgeht und ob Ankara wirklich zu deutlich mehr Rückführungen bereit sein wird, bleibt offen. Öffentlich war jedenfalls wenig Konkretes zu hören. Nun sollen in den kommenden Monaten weitere Treffen auf Ministerebene folgen.
Friedrich Merz war bei der Reise nach Ankara sichtbar um gute Atmosphäre bemüht. Die Türkei war das erste Land außerhalb von EU und USA, dem der Kanzler einen Besuch abstattete - auch das sollte eine besondere Geste sein, ebenso wie die Mitnahme seiner Gattin Charlotte auf diese Reise.
Auch im Ton war der Wille, das bilaterale Verhältnis zu stärken, deutlich zu hören. Jahrelang hatte sich Deutschland bei der Frage einer türkischen EU-Mitgliedschaft zurückgehalten; nun sprach der neue Bundeskanzler zumindest von einer engeren Anbindung der Türkei an die EU. "Wir wollen den Weg nach Europa weiter ebnen", so Merz, der dies aber an bestimmte Kriterien knüpfte - also an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Aus Ankaras Sicht war das ein großer Schritt nach vorn, den Erdogan vor allem innenpolitisch nutzen kann.
Hitziger Austausch zu Gaza
Ein weiterer Grund, weshalb Merz so sehr an einem engeren Verhältnis liegt, ist die Rolle der Türkei bei internationalen Konflikten. Der türkische Präsident unterhält gute Beziehungen nach Moskau und Kiew, er versteht sich mit US-Präsident Donald Trump und hat gute Drähte sowohl zur radikalislamischen Hamas im Gazastreifen als auch zur neuen Führung in Syrien. Zudem verfolgt Ankara dasselbe politische Ziel im Nahen Osten wie Deutschland: eine Zwei-Staaten-Lösung.
Diesen gemeinsamen Nenner wollte Friedrich Merz in der Türkei konstruktiv nutzen. Doch beim Thema Gaza prallten seine und Erdogans Sicht auf die Region auf offener Bühne aufeinander.
Während Merz sich klar an die Seite Israels stellte, warf Erdogan dem Land erneut "Völkermord" vor. Mehrfach widersprach der türkische Präsident dem Bundeskanzler und gab Israel die eindeutige Schuld an der derzeitigen Lage in Gaza. Daraufhin forderte Merz die Türkei auf, dass sie "die Hamas dazu veranlasst, nun auch in die zweite Phase" des verhandelten Gaza-Abkommens einzutreten - diese sieht unter anderem vor, dass die radikalislamische Organisation, die unter anderem von der EU und den USA als Terrorgruppe eingestuft wird, ihre Waffen vollständig niederlegt.
Ob die Türkei wirklich soweit Einfluss ausüben kann, dass es zu einer Entwaffnung der Hamas reicht, ist fraglich. Unklar bleibt auch weiterhin, wie eine internationale Truppenmission zur Friedenssicherung in Gaza ausgestaltet werden könnte. Die Türkei und einige arabische Länder sind grundsätzlich dazu bereit, sich an ihr zu beteiligen. Sie machen aber ein UN-Mandat zur Bedingung - das wiederum lehnt Israel ab.
Solange der Friedensplan nicht vollständig umgesetzt werden kann, rückt auch ein anderer Wunsch Berlins in die Ferne: sich eines Tages am Wiederaufbau des Gazastreifens zu beteiligen.
Auch Wirtschaftsthemen im Gepäck
Jenseits der internationalen Konflikte stand darüber hinaus eine Reihe von wirtschaftlichen Vorhaben auf der Gesprächsagenda. So soll die Zusammenarbeit in der Rüstungsindustrie sowie bei Verkehrs- und Infrastrukturobjekten intensiviert werden. Für Erdogan ist es besonders wichtig, dass die Türkei als NATO-Mitgliedsland leichter an europäische Waffen, Kampfjets und andere Rüstungsgüter kommt.
In Deutschland leben rund drei Millionen Menschen mit türkischer Herkunft. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner für die Türkei und der größte Investor. Der Handelsumsatz liegt aktuell bei rund 55 Milliarden Euro und wächst jedes Jahr weiter. Daher standen auch Visa-Erleichterungen für Wirtschaftsvertreter weit oben auf der Agenda der Gespräche.