Merz reist nach Ankara – ein Besuch in schwierigen Zeiten
29. Oktober 2025
"Im Zentrum steht das bilaterale Gespräch mit Herrn Erdogan." Viel mehr wollte der stellvertretende Regierungssprecher Steffen Meyer Anfang der Woche in der Bundespressekonferenz nicht sagen zum anstehenden Türkei-Besuch von Bundeskanzler Friedrich Merz (69) an diesem Mittwoch und Donnerstag. Es sei ein "Antrittsbesuch" beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (71). Im übrigen werde es "ein kleines Programm darum herum geben".
Auf internationalem Parkett begegneten sich die beiden Regierungschefs seit Merz Amtsantritt bereits mehrfach kurz, so im Mai im albanischen Tirana. Die Türkei ist wichtiger NATO-Verbündeter, aber weit von einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) entfernt.
Schon der Begriff "Antrittsbesuch" ist bemerkenswert – er trägt die Vorstellung von einem Neuling auf der einen und einem etablierten Akteur auf der anderen Seite in sich. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz unternahm einen solchen Besuch: Im März 2022, knapp drei Monate nach seinem Amtsantritt, reiste er für einen eintägigen Besuch in die türkische Hauptstadt. Angela Merkel hatte ihrerseits 2006, elf Monate nach Beginn ihrer Kanzlerschaft, Istanbul und Ankara besucht.
All diesen drei Kanzlern ist gemeinsam, dass sie aus unterschiedlichen politischen Interessen auf die Türkei angewiesen waren. Merkel unter anderem in der Bewältigung des Flüchtlingszuzugs 2015, Scholz nach Beginn des russischen Krieges gegen die gesamte Ukraine im Februar 2022 und Merz wegen der wichtigen Rolle, die Ankara als Vermittler sowohl im Ukraine-Krieg als auch im Gaza-Konflikt haben kann.
Andere Zeiten
Wie sehr sich damit die Rollen verändert haben, zeigt ein Blick weit zurück. Helmut Kohl, Kanzler von 1982 bis 1998, besuchte nach knapp drei Jahren erstmals die Türkei. Sein Nachfolger Gerhard Schröder, deutscher Regierungschef von 1998 bis 2005, ließ sich bis zum ersten Besuch sogar fünfeinhalb Jahre Zeit.
Dieser Blick um 20 Jahre zurück zeigt zugleich eine der schwierigen und nicht endenden Kontroversen. Die Türkei hatte bereits 1999 den Beitritt zur Europäischen Union beantragt. Dieses Ansinnen wurde von deutscher Seite stets kritisch gesehen – zum Ärger Ankaras. 2005 begannen dann formell Beitrittsverhandlungen, die aber seit Jahren auf Eis liegen.
So haben sich die Koordinaten der deutschen Türkei-Politik verändert, wie der Wissenschaftler Yasar Aydin von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sagt. Zuletzt habe sich zwischen Berlin und Ankara ein "pragmatisches und trans-aktionales Verhältnis" entwickelt. Es beruhe auf einer geo- und machtpolitischen Logik, sagte Aydin der DW.
Ausgangspunkt dieser Veränderung war nach Einschätzung des Wissenschaftlers, der beim Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS) der SWP forscht, der "Flüchtlingsdeal" von Kanzlerin Merkel aus dem Jahr 2016, der damals die innerdeutsche Debatte beruhigte. Der Ukraine-Krieg und die weiteren neuen geopolitischen Herausforderungen schlossen sich an. "Es ist ein Geben und Nehmen", so Aydin. Das Verhältnis habe sich "in Richtung einer Symmetrie" verändert. Und anders als zu Zeiten von Kanzler Kohl, der stets eine restriktive Rüstungspolitik gegenüber der Türkei verfolgt habe, gebe es heute einen offeneren Kurs gegenüber Ankara.
Was kann der Besuch von Kanzler Merz dem türkischen Präsidenten bringen? Aydin nennt als erstes die Symbolik der Macht. Am Montag dieser Woche war der britische Premier Keir Starmer in Ankara. Er verzichtete, nebenbei bemerkt, auf ein Treffen mit Vertretern der oppositionellen "Cumhuriyet Halk Partisi" (CHP), die letztlich doch seine sozialdemokratische Schwesterpartei ist. Dafür unterzeichneten beide, Starmer und Erdogan, feierlich ein Abkommen zu Eurofightern. Die Türkei kauft 20 Eurofighter von Großbritannien.
Aydin verweist weiter auf die Rolle Deutschlands als größtem Land der EU mit gut drei Millionen türkischen Migranten und als wichtigstem Absatzmarkt türkischer Produkte. Erdogan hoffe auch auf eine Modernisierung der Zollunion mit der EU.
Europapolitisch und wegen des Einflusses Ankaras auf türkische Migranten in Deutschland standen gerade die C-Parteien immer kritisch zum Kurs der Türkei. Einschränkungen demokratischer Grundrechte und Unterdrückung der Opposition taten ein übriges. Die Grüne Annalena Baerbock, die bis Anfang Mai deutsche Außenministerin war, sorgte mehrfach mit deutlicher Kritik für Verärgerung der türkischen Seite.
Beim Besuch von Merz, heißt es in Regierungskreisen in Berlin, gehe es um eine engere Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Migration und Sicherheit. Das entspricht den aktuellen Herausforderungen.
So reiste elf Tage vor dem Bundeskanzler bereits Außenminister Johann Wadephul (CDU) zu seinem Antrittsbesuch nach Ankara. Mag sein, dass Wadephul dabei bereits den Tenor erkennen ließ, der auch den Merz-Besuch prägen wird.
Der deutsche Außenminister betonte die Bedeutung der Türkei als wichtiger Partner und NATO-Verbündeter. Hauptthemen waren die Lage in Gaza und Russlands Krieg gegen die Ukraine. Kritische Töne gab es kaum. Und Wadepuhl sprach laut ARD-Fernsehen davon, Deutschland wolle Fortschritte in den EU-Türkei-Beziehungen. "Wir wollen ein Update der Zollunion, wir wollen Visaliberalisierung. Wir wollen insgesamt eine positive Agenda."