Merz legt bei "Stadtbild"-Debatte noch einmal nach
23. Oktober 2025
Nach teils scharfer Kritik hat Bundeskanzler Friedrich Merz seine Aussagen zum sogenannten "Stadtbild" in Deutschland konkretisiert. Es brauche auch in Zukunft Einwanderung, sagte der CDU-Vorsitzende am Rande des Westbalkan-Gipfels in London. Das gelte für alle EU-Staaten. Bereits heute seien viele Menschen mit Migrationshintergrund "unverzichtbarer Bestandteil unseres Arbeitsmarktes", sagte der Kanzler und betonte: "Wir können auf sie gar nicht mehr verzichten, ganz gleich, woher sie kommen, welcher Hautfarbe sie sind und ob sie erst in erster oder schon in zweiter, dritter oder vierter Generation in Deutschland leben und arbeiten."
Probleme bereiteten allerdings diejenigen Migranten, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus hätten, die nicht arbeiteten und die sich auch nicht "an unsere Regeln halten". Viele von ihnen bestimmten das öffentliche Bild in den Städten. "Deshalb haben mittlerweile so viele Menschen in Deutschland und in anderen Ländern der Europäischen Union (...) einfach Angst, sich im öffentlichen Raum zu bewegen", so Merz.
Merz: "Stadtteile, die unserer Polizei Probleme machen"
Das betreffe Bahnhöfe, U-Bahnen, bestimmte Parkanlagen und ganze Stadtteile, "die auch unserer Polizei große Probleme machen". Die Ursachen dieser Probleme müssten gemeinsam mit den europäischen Partnern angegangen und das Vertrauen in den Rechtsstaat müsse wiederhergestellt werden, wo es in den vergangenen Jahren verlorengegangen sei.
Ausgangspunkt der Debatte war eine Aussage des Kanzlers zur Migrationspolitik in der vorigen Woche in Potsdam. Man korrigiere frühere Versäumnisse und mache Fortschritte, sagte er dort. "Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen."
Die Frage, wie er die Aussage gemeint habe, beantwortete Merz Anfang der Woche auf einer Pressekonferenz mit den Worten: "Fragen Sie mal Ihre Töchter." Die würden eine klare Antwort geben. Am Dienstag wollte er sich dann in Stuttgart nicht mehr auf Nachfragen zu der von ihm - gewollt oder ungewollt - angestoßenen Diskussion einlassen. Es sei "deutlich geklärt", was er gemeint habe.
Klingbeil: "Möchte in einem Land leben, in dem Politik Brücken baut"
Mit seinem Statement hatte der Regierungschef vor allem aufseiten der Opposition, aber auch beim Koalitionspartner SPD kritische Reaktionen ausgelöst. Vor seinem Statement in London schaltete sich Vizekanzler und SPD-Chef Lars Klingbeil ein. Auf einem Gewerkschaftskongress in Hannover sagte er: "Ich möchte in einem Land leben, in dem Politik Brücken baut und Gesellschaft zusammenführt, statt mit Sprache zu spalten." Nicht das Aussehen dürfe darüber entscheiden, "ob man ins Stadtbild passt oder nicht".
Nach Merz' Äußerungen gab es zudem mehrere Gegenkundgebungen. In Berlin demonstrierten am Dienstag mehrere Tausend Menschen unter dem Motto "Wir sind die Töchter", in Kiel versammelten sich am Mittwoch 1500 Protestteilnehmer. Außerdem stieß die Initiative "Radikale Töchter" eine Online-Petition an, die nach eigenen Angaben innerhalb von 24 Stunden von etwa 100.000 Menschen unterzeichnet wurde. In dem Aufruf heißt es: "Wir sind die Töchter, die keine Angst vor Vielfalt haben - aber vor Ihrer Politik. Wir sind die Töchter, die sich für Ihren Rassismus nicht einspannen lassen."
Söder: "Wortklauberei und linke Kampagne"
Aus den Reihen der Union erhielt der Kanzler dagegen Zustimmung. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder erklärte, es sei "Realität in unserem Land, dass die Integration an einigen Stellen nicht gelungen ist". Der Wirbel um die "Stadtbild"-Äußerungen sei "eine völlig verzerrte Debatte, Wortklauberei und letztlich eine linke Kampagne", sagte der CSU-Vorsitzende in München. Der CDU-Landeschef in Rheinland-Pfalz, Gordon Schnieder, sprach von "Angsträumen" in den Städten. Um das Problem in den Griff zu bekommen, sprach er sich für eine KI-gestützte Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen aus.
Grünen-Fraktionsvize Misbah Khan kritisierte indes: "Merz schlägt Töne an, wie wir sie sonst von der AfD hören." Solche Aussagen seien "eines Kanzlers unwürdig", sagte Khan der Deutschen Presse-Agentur. Linksfraktionschefin Heidi Reichinnek warf Merz vor, Frauen für "blanken Rassismus" zu instrumentalisieren. Der gefährlichste Ort für Frauen sei ihr eigenes Zuhause. Ginge es Merz um den Schutz von Frauen vor Gewalt, müsste er die Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen sichern, so Reichinnek.
jj/se (dpa, afp, rtr, epd)
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