Merz will Netanjahu einladen - trotz Haftbefehl aus Den Haag
28. Februar 2025
Am Montag nach der für ihn erfolgreichen Bundestagswahl stand der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz bestens gelaunt in der CDU-Parteizentrale in Berlin vor den Journalisten. Merz dürfte neuer Bundeskanzler werden, wohl mit der SPD als Koalitionspartner. Also erhielt der 69-Jährige schon am Sonntagabend und in der Nacht zahlreiche Glückwünsche, wie er berichtete.
Einer der Gratulanten war Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Merz berichtete von einem längeren Telefonat und fügte hinzu, Netanjahu habe ihn angerufen. Und dann sagte Merz einen Satz, der seitdem in der deutschen Politik für einige Aufregung sorgt.
Für den Fall, dass Netanjahu einen Deutschlandbesuch plane, "…habe ich ihm auch zugesagt, dass wir Mittel und Wege finden werden, dass er Deutschland besuchen kann und auch wieder verlassen kann, ohne dass er in Deutschland festgenommen worden ist". Und Merz weiter: "Ich halte es für eine ganz abwegige Vorstellung, dass ein israelischer Ministerpräsident die Bundesrepublik Deutschland nicht besuchen kann."
Haftbefehle des Gerichtshofes müssen umgesetzt werden
Vertreter anderer im Bundestag vertretenen Parteien zeigten sich empört. Denn tatsächlich hatte der Internationale Strafgerichtshof im niederländischen Den Haag im November vergangenen Jahres einen Haftbefehl gegen Netanjahu und den früheren israelischen Verteidigungsminister Joav Gallant erlassen.
Der Vorwurf an beide: Es gebe hinreichende Gründe für die Annahme, dass sie sich mit dem Krieg im Gazastreifen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen mitschuldig gemacht hätten. Auch gegen den Militärchef der palästinensischen Terrororganisation Hamas, Mohammed Deif, der später bei einem israelischen Luftangriff ums Leben kam, hatte Den Haag einen Haftbefehl ausgesprochen.
Für die SPD, die sich auf eine Koalition mit den Unionsparteien unter Führung von Merz vorbereitet, sagte der außenpolitische Experte Nils Schmidt über den Internationalen Strafgerichtshof: "Wir respektieren seine Verfahrensabläufe sowie die Entscheidungen seiner Organe. Dies gilt ausnahmslos."
Allerdings, so Schmid zur Nachrichtenagentur Reuters, erfordere kluge Diplomatie, dass die Regierung "geeignete Mittel und Wege finden wird, auch in Zukunft enge Beziehungen zur israelischen Regierung zu pflegen". Mit anderen Worten: Treffen mit Netanjahu müssten woanders stattfinden, nicht in Deutschland.
Deutschland gehört zu den 125 Unterzeichnerstaaten
Denn: Die Bundesrepublik gilt als einer der größten Unterstützer des Internationalen Strafgerichtshofes, kurz IStGH, der im Juli 2002 seine Tätigkeit aufnahm und 125 Mitgliedsstaaten hat. Allerdings gehören global wichtige Staaten wie etwa die USA oder Russland nicht dazu. Und Israel auch nicht.
Wichtig im aktuellen Fall: Das Gericht hat keine Möglichkeit, die Haftbefehle selbst zu vollstrecken. Aber seine Mitgliedsstaaten - darunter Deutschland - sind formal betrachtet verpflichtet, die Gesuchten festzunehmen, sollten sie sich in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten. Käme Netanjahu also nach Deutschland, müsste er verhaftet werden. Welche "Mittel und Wege" es geben könnte, eine solche Verhaftung zu vermeiden, ließ Merz offen.
Regierung Israels: "Skandalöse Entscheidung"
Netanjahu jedenfalls nutzte das Gespräch mit Merz noch einmal, um seine Sicht der Dinge zu verdeutlichen. Die israelische Regierung ließ verlauten, die Einladung von Merz sei "in offener Missachtung der skandalösen Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs, den Ministerpräsidenten als Kriegsverbrecher einzustufen," erfolgt.
Die noch amtierende deutsche Regierung hatte sich in den letzten Monaten bemüht, das heikle Thema elegant zu umschiffen. Nach der Verkündung der Haftbefehle im November sprach etwa Regierungssprecher Steffen Hebestreit das deutsche Dilemma offen an: "Da ist einerseits die Bedeutung des Internationalen Strafgerichtshofes, den wir sehr unterstützen. Und andererseits die geschichtliche Verantwortung. Ich könnte mich dazu hinreißen lassen zu sagen, dass es mir schwerfällt, mir vorzustellen, dass wir auf dieser Grundlage Verhaftungen in Deutschland vornehmen."
Netanjahus letzter Berlin-Besuch war vor zwei Jahren
Denn auch ohne gesetzliche Verankerung gibt es in Deutschland so etwas wie eine Staatsräson, stets und überall für das Existenzrecht Israels einzustehen. Aber gilt das auch für den jeweiligen israelischen Regierungschef? Die von Olaf Scholz geführte Regierung jedenfalls war sichtlich froh, dass ein Besuch von Netanjahu in Deutschland nicht absehbar war. Tatsächlich war Israels Ministerpräsident zuletzt im März 2023 zu politischen Gesprächen in Berlin, also gut ein halbes Jahr vor dem mörderischen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober.
Wie mit rund zehn anderen Staaten unterhält Deutschland mit Israel so genannte Regierungskonsultationen, also Treffen der kompletten Kabinette beider Seiten. Das soll die besonderen bilateralen Beziehungen hervorheben. 2008 gab es unter der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erstmals ein solches Treffen in Jerusalem, im Oktober 2018 das letzte.
Ambos: "Das stellt die Gewaltenteilung in Frage"
In seinem Blog erläutert der renommierte Völkerrechter Kai Ambos von der Universität Göttingen, dass es für die Regierung keinen Ermessenspielraum gebe, sollte Netanjahu nach Deutschland kommen. Die deutsche Justiz und die Behörden seien etwa zur Überstellung einer mit Haftbefehl gesuchten Person verpflichtet. Dies sei Sache der Justiz, nicht der Politik.
Ambos weiter: "Würde der israelische Premierminister Netanjahu tatsächlich Deutschland besuchen, würde dies nicht nur einen - ganz und gar unnötigen - Konflikt mit dem IStGH heraufbeschwören, sondern auch die innerstaatliche Gewaltenteilung in Frage stellen. Denn um eine Festnahme von Netanjahu zu verhindern, müsste die Exekutive - auf Bundes- wie Landesebene - massiv in das oben beschriebene Festnahme- und Überstellungsverfahren und damit in die Unabhängigkeit der Judikative eingreifen."
Orban lud Netanjahu demonstrativ ein
Hat Merz vielleicht seinen Satz in der Freude über seinen Wahlerfolg leichtfertig gesagt? Schon im Wahlkampf davor hatte Merz wiederholt betont, Israels Regierungschef werde in Deutschland nicht festgenommen, wenn er Kanzler werde. Ähnlich hatte nach der Ausstellung des Haftbefehls im November letzten Jahres auch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban geklungen, der Netanjahu demonstrativ nach Budapest einlud.