Merz wirbt für Optimismus und kritisiert die EU
18. Juli 2025
Zu Beginn seines Auftritts in der Bundespressekonferenz spricht Friedrich Merz über den Aufbau der Bundeswehr. Es gehe um die "Stärkung" der Verteidigungsfähigkeit und darum, "dass unsere Soldatinnen und Soldaten alles bekommen, was sie brauchen, um konventionell die stärkste Armee Europas zu werden." Und: "Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen." Nachfragen dazu gibt es nicht. Der Aufbau der Bundeswehr bleibt ein zentrales Thema.
Elf Minuten dauern die einleitenden Worte von Merz zur Pressekonferenz im fast voll besetzten Saal. Es sind elf Minuten, in denen er sich fast ausschließlich zu innenpolitischen Themen äußert, zu ersten Erfolgen der Koalition aus CDU, CSU und SPD und zu weiteren Perspektiven. Der Regierungschef verweist auf erste Gesetzesbeschlüsse und neu eingeleitete Verfahren, auf Erleichterungen für Unternehmen und mehr Engagement beim Wohnungsbau. "Der Anfang ist gemacht."
Kein Wort zu den schwarzen Tagen
Es ist Tag 74 von Friedrich Merz als Bundeskanzler, der hier zurück- und vorausblickt. Der CDU-Politiker verliert kein Wort zum allerersten Tag, an dem der Bundestag ihn - das war einmalig in der Geschichte des Landes - erst im zweiten Wahlgang zum Kanzler wählte. Ebenfalls keine Äußerung zu Tag 67, an dem im Parlament die Wahl von drei neuen Bundesverfassungsrichtern letztlich an einem Aufstand von Unionspolitikern endete. Da war jeweils Krise. Die restliche Zeit seiner bisherigen Kanzlerschaft sieht Merz als erfolgreich: "Wir haben die Wende eingeleitet", sagt er.
Das gilt auch für den 69-Jährigen selbst. Beim aktuellen Deutschlandtrend erreichte Merz den höchsten Zustimmungswert seit seinem Wiedereinstieg in die Politik 2019. Einige Wochen nach Amtsbeginn am 6. Mai gab es bald den Stempel "Außen-Kanzler" für den Regierungschef. Da schwang mit, dass er für innenpolitische Themen zu wenig Aufmerksamkeit habe. Doch an diesem Tag im Saal der Bundespressekonferenz (BPK) ist es anders.
Trotz einer insgesamt positiven Bilanz und selbstbewusster Töne von Merz richtet sich der Fokus der anschließenden Fragerunde auf ein anderes Thema: Etwa 20 Minuten lang geht es um das Scheitern der Wahl von drei Richtern für das höchste deutsche Gericht. Obwohl Unionsfraktionsvize Jens Spahn zuvor Zustimmung signalisiert hatte, stellten sich nach einer kontroversen Debatte über die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf reihenweise Unionsabgeordnete gegen sie - unter anderem wegen ihrer Haltung zum Thema Abtreibung. Die geplante Abstimmung kam nicht zustande.
Nun stellte sich Merz deutlicher noch als in den vergangenen Tagen vor die attackierte Juristin. Aber er ließ zugleich offen, wann und wie es nach der Sommerpause bei dem Thema weitergehen werde. Ob Brosius-Gersdorf erneut antreten solle? Abwarten. Man müsse, das zumindest sagt Merz, eine solche Abstimmung "beim nächsten Mal besser vorbereiten".
Nach seinem Gusto, so wirkt es, hätten es ein paar Fragen weniger zu diesem Thema und zu Tag 67 sein können. Aber hier haben die Medienleute das Sagen. Der Besuch des Regierungschefs in der BPK ist im internationalen Vergleich so ungewöhnlich wie die BPK überhaupt. Der Kanzler ist einfach zu Gast in dieser Runde. Weder er noch sein Sprecher darf bestimmen, wer eine Frage stellen darf. "Heute wird der Kanzler gegrillt", titeln einige deutsche Medien ihre Artikel vorab.
Dem Bundeskanzler ist auch wichtig, für eine "bessere Grundstimmung" in Deutschland und Mut zu Aufbruch und Innovation zu werben. Das Glas sei nicht halbvoll, "das Glas ist dreiviertelvoll." Deutschland habe "alle Chancen". Viele unterschätzten, "wie positiv" das Land von außen als Investitionsstandort gesehen werde. Deutschland solle "ein Motor werden für die Wirtschaft in Europa".
Das Hauptthema nach dem Sommer
Das große Thema nach der Sommerpause sei die Reform der sozialen Sicherungssysteme. Da geht es um Versorgung und Beistand bei Krankheit, Armut, Gesundheitsbeeinträchtigung. Rasch solle das "Bürgergeld" reformiert werden und zum Jahresbeginn 2026 in einem anderen Konzept und Titel aufgehen. Scharfe Kritik am jetzigen "Bürgergeld", das den Lebensunterhalt sicherstellen soll, gehörte zu den dauernden Schlagern der Union im Wahlkampf.
Während der 90 Minuten Pressekonferenz geht es nie explizit um Trump, um Afrika oder Asien, nie um die Ukraine, Syrien oder den Irak. Denn nur wenige Male bringen Fragesteller außenpolitische Themen an. Aber wenn die Fragen kommen, wird Merz deutlich.
"Das Völkerrecht, auch das Kriegsvölkerrecht" sei "in vielen Orten der Welt zur Disposition gestellt", sagt Merz und bewertet im Anschluss die Vorgänge im Gazastreifen als "für uns nicht akzeptabel". Es brauche eine Feuerpause und humanitäre Unterstützung für die notleidende Bevölkerung. Die Frage der immer noch im Gazastreifen verbliebenen israelischen Geiseln spricht er nicht an. Von sich aus kommt Merz auf die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland. Sie finde "nicht unsere Unterstützung". Das sage er auch Israels Premier Benjamin Netanjahu bei Begegnungen und Telefonaten.
Eines der BPK-Mitglieder fragt dann nach, warum Deutschland EU-Sanktionen gegen Russland mittrage, Sanktionen gegen Israel dagegen verhindere. Merz zögert kurz. Da gebe es "fundamentale Unterschiede", sagt er dann. Israel sei brutal angegriffen worden. Wenn sich das Land "nicht gewehrt hätte, gäbe es den Staat Israel nicht mehr". Russland führe dagegen seit dreieinhalb Jahren einen "völkerrechtswidrigen Angriffskrieg" gegen ein Land, "von dem keine Bedrohung ausgeht". Da verbiete sich "jede Gleichsetzung".
Die deutlichste Kritik von Merz kommt während der 90 Minuten aber an der Europäische Union. In den vergangenen Tagen brachte die EU-Kommission für den nächsten Etat kräftig höhere Finanzforderungen an die Mitgliedsländer vor. Bereits am Donnerstag lehnte der deutsche Regierungssprecher das in einem Statement ab. Möglicherweise, so der Kanzler, stehe die EU vor den "schwierigsten Haushaltsverhandlungen seit Jahrzehnten".
Kritik an der EU
Dann geht es fast im Stakkato: Kritik an der EU sei berechtigt, denn sie sei "zu regelungsintensiv", "zu bürokratisch, zu langsam". Die Union müsse besser werden und ihre Handlungsfähigkeit "unter Beweis stellen". Damit stimmt Merz in den Chor vieler europäischer Regierungschefs ein. Für ihn sind das aber ungewöhnlich harsche Grüße an die deutsche Parteifreundin an der EU-Spitze, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Und noch einer CDU-Frau verpasst Merz einen Seitenhieb. Vor zehn Jahren hatte die damalige Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel bei ihrer Sommerpressekonferenz Ende August mit Blick auf die Aufnahme hunderttausender Flüchtlinge in Deutschland gesagt "Wir schaffen das!". Heute wisse man, dass "wir… das offenkundig nicht geschafft haben". Deutschland brauche aber Einwanderung in den Arbeitsmarkt, schiebt er nach.
Merkel reiste meist direkt im Anschluss an die Sommer-PK in Urlaub. Merz wird in den kommenden beiden Wochen noch arbeiten, Kabinettssitzungen leiten, Gäste empfangen. Unter anderen wird Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Kanzleramt erwartet. "In zwei Wochen", so der Kanzler, "gehe auch ich in meine Sommerferien. Die werden kurz sein."