Merz wirbt in Ankara für engere Partnerschaft mit der Türkei
30. Oktober 2025
Beim Antrittsbesuch in der Türkei hat Bundeskanzler Friedrich Merz die Bedeutung einer vertieften Zusammenarbeit mit Ankara hervorgehoben. "Lassen Sie uns das enorme Potenzial unserer Beziehungen in den kommenden Monaten und Jahren noch besser nutzen", sagte Merz bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Ankara. "Und dafür gibt es auch zwingende Gründe, denn wir gehen in eine neue geopolitische Phase, die von der Politik großer Mächte geprägt wird."
Der NATO-Partner sei "ein wichtiger Akteur in fast allen außen- und sicherheitspolitischen Fragen". Beide Länder müssten auch "die wirtschaftlichen Chancen besser nutzen, die in dieser Partnerschaft stecken".
Merz erinnert an Rechtsstaatlichkeit und Demokratie
Merz sicherte Erdogan Unterstützung auf dem Weg in die Europäische Union zu. "Ich sehe persönlich und die Bundesregierung sieht die Türkei eng an der Seite der Europäischen Union. Wir wollen den Weg nach Europa weiter ebnen."
Zugleich erinnerte er an die Kopenhagener Kriterien für eine EU-Aufnahme: "Es sind in der Türkei Entscheidungen getroffen worden, die noch nicht den Ansprüchen genügen im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, so wie wir sie aus der europäischen Sicht verstehen." Darüber sei man im Dialog.
Erdogan verteidigt Verhaftung von Oppositionspolitikern
In Gesprächen mit Erdogan habe er insbesondere Besorgnis über die Unabhängigkeit der Rechtsprechung geäußert, sagte Merz. Nach Einschätzungen von Menschenrechtlern hat der Druck auf unabhängige Medien, kritische Stimmen und Oppositionsparteien in der Türkei in den zurückliegenden Monaten einen neuen Höhepunkt erreicht.
Angesprochen auf die Inhaftierung des abgesetzten Istanbuler Bürgermeisters und populären Oppositionspolitikers Ekrem Imamoglu, verteidigte Erdogan das Vorgehen der Justiz: "Egal welches Amt man innehat, sobald jemand die Justiz mit Füßen tritt, müssen die Justizorgane in einem Rechtsstaat eben das tun, was notwendig ist."
Imamoglu war im März verhaftet und abgesetzt worden. Er sitzt seitdem ohne Anklage in Untersuchungshaft. Kurz vor dem Besuch des Bundeskanzlers war bekanntgeworden, dass gegen den Politiker der größten Oppositionspartei CHP erneut ein Haftbefehl erlassen wurde. Imamoglus Festnahme hatte die größte Protestwelle in der Türkei seit den Gezi-Protesten im Jahr 2013 ausgelöst.
Konflikt über Krieg im Gazastreifen
Als es um den Krieg zwischen Israel und der islamistischen Terrororganisation Hamas im Gazastreifen ging, gerieten Merz und Erdogan auf offener Bühne aneinander. Während Merz sich klar an die Seite Israels stellte, warf Erdogan dem Land bei einer gemeinsamen Pressekonferenz erneut "Völkermord" vor.
Israel habe trotz des Waffenstillstands wieder Ziele in Gaza angegriffen, sagte Erdogan. "Sie greifen Gaza nicht nur an, sondern waren stets darauf bedacht, Gaza mit Hunger und Genozid gefügig zu machen und das dauert immer noch an", behauptete der türkische Präsident.
Erdogan reagierte damit auf die Äußerung von Bundeskanzler Merz, der - von einem türkischen Journalisten auf den Israel-Hamas-Krieg angesprochen - sagte, Israel sei ein Zufluchtsort für Millionen Jüdinnen und Juden geworden, die den Holocaust überlebt hätten. "Deswegen wird es immer so sein, dass Deutschland fest an der Seite des Staates Israel steht", so Merz.
Deutschland nähert sich der Türkei wieder an
Im Hintergrund seines Besuchs steht eine Phase der vorsichtigen Annäherung. Nach Jahren diplomatischer Spannungen über Menschenrechtsfragen und in der Türkei inhaftierte Deutsche war bereits unter der letzten Regierung von Sozialdemokrat Olaf Scholz ein Entspannungskurs eingeschlagen worden. Die neue schwarz-rote Regierung führt diesen nun fort.
Außenminister Johann Wadephul hatte die Türkei vor zwei Wochen als "strategischen Partner in allen unseren außenpolitischen Belangen und einen guten Freund" bezeichnet.
Auf der Agenda: Sicherheit, Migration, Rüstung
In der Sicherheits- und Außenpolitik ging es bei den Gesprächen um mehrere Themen: die Stabilisierung der brüchigen Waffenruhe im Gazastreifen, bei der die Türkei wegen ihrer Kontakte zur Hamas eine Rolle spielen könnte, sowie den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, in dem Ankara zwischen beiden Seiten vermittelt.
Auch in der Migrationspolitik setzt Berlin auf Kooperation. Die Bundesregierung will mit Ankara die Rückführung abgelehnter Asylbewerber beschleunigen und gemeinsam Lösungen für syrische Flüchtlinge suchen.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Rüstungszusammenarbeit: Erst zu Wochenbeginn wurde mit deutscher Zustimmung ein Milliardengeschäft über die Lieferung von 20 Eurofighter-Kampfjets vereinbart - ein symbolträchtiger Schritt nach Jahren teilweiser Exportstopps. Weitere gemeinsame Projekte stehen laut Regierungskreisen kurz vor dem Abschluss.
pgr/jj (dpa. afp, rtr)
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