Solingen: Messerattacke befeuert Wahlkampf in Deutschland
26. August 2024Am 1. September werden in Sachsen und Thüringen neue Parlamente gewählt. In beiden Bundesländern könnte die migrationsfeindliche und in Teilen rechtsextremistische Alternative für Deutschland (AfD) stärkste Fraktion werden. In Umfragen liegt sie bei rund 30 Prozent. Dass ihr die tödliche Messer-Attacke von Solingen (Nordrhein-Westfalen) weiteren Auftrieb verleiht, ist durchaus denkbar. Denn mit ihrer Forderung nach einer wesentlich restriktiven Ausländerpolitik hat sie seit Jahren Erfolg - im Osten noch stärker als im Westen.
Nach dem mutmaßlichen Terrorakt des abgelehnten syrischen Asylbewerbers Issa Al H. ist die Diskussion über Abschiebungen krimineller Flüchtlinge voll im Gange. Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel forderte im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) einen "sofortigen Einwanderungs-, Aufnahme- und Einbürgerungsstop für mindestens fünf Jahre". Schon lange vor der Bluttat in Solingen hatte sie im Bundestag von "alimentierten Messer-Männern" gesprochen.
Nicht nur die AfD fordert radikale Maßnahmen
Auch aus den Reihen der Christdemokraten (CDU) werden schnelle und spürbare Konsequenzen verlangt. Parteichef Friedrich Merz forderte den sozialdemokratischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schon kurz nach der Messer-Attacke in Solingen auf, "mit uns zusammen schnell und ohne weitere Verzögerungen Entscheidungen zu treffen, die konsequent darauf ausgerichtet sind, weitere Terroranschläge wie den vom letzten Freitag in unserem Land zu verhindern".
Nach Syrien und Afghanistan könne abgeschoben werden. "Weitere Flüchtlinge aus diesen Ländern nehmen wir nicht auf", verlangt Merz. Wer als Flüchtling aus Deutschland in sein Heimatland reist, verliert in Deutschland umgehend jeden Aufenthaltsstatus." SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert wies diese Forderung im TV-Sender Das Erste (ARD) umgehend zurück: Viele der von Merz gemachten Vorschläge gingen nicht, weil das Grundgesetz ihnen entgegenstehe. Das gelte zum Beispiel für das individuelle Recht auf Asyl.
Bundesregierung plant Verschärfung des Waffenrechts
Zugleich ließ Kühnert durchblicken, dass die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Freien Demokraten (FDP) Maßnahmen zur Terrorabwehr ergreifen wolle: "Im Bereich des Umgangs mit Abschiebung von Intensivstraftätern wird in der Regierung an Lösungen auch für Syrien und Afghanistan gearbeitet. Wir kommen jetzt gerade in diesen Stunden beim Thema Waffenrecht und Messerverbote voran, auch in Gesprächen in der Bundesregierung gemeinsam."
Kühnert warnt aber auch davor, zu verallgemeinern und es bei Gesetzesverschärfungen zu belassen: "Wir haben es mit Radikalisierung von gerade jungen Männern, Einzeltätern zu tun. Das ist das Phänomenfeld, um das es jetzt verstärkt gehen muss. Wir müssen Hassprediger gerade auch im Netz in Blick nehmen, wir müssen gucken, wie die Radikalisierung stattfindet, hier gibt es viel Expertise in unserer Gesellschaft."
CDU-Spitzenkandidat für "fundamentalen Wechsel in der Asylpolitik"
Einen anderen Akzent setzt der CDU-Spitzenkandidat bei der bevorstehenden Landtagswahl in Thüringen, Mario Voigt. Er fordert Rückführungszentren für abgelehnte Asylbewerber, die Deutschland verlassen müssen. Die Zentren sollen verhindern, dass Personen vor der Abschiebung untertauchen. "Wir brauchen einen fundamentalen Wechsel in der Asylpolitik", sagte Voigt der Nachrichtenagentur Reuters.
Derweil hat Bundeskanzler Scholz schnelle Konsequenzen angekündigt. Nach einem Besuch in Solingen stellte er eine rasche Verschärfung des Waffenrechts in Aussicht: "Alles, was in unserer Macht, in unseren Möglichkeiten liegt, muss auch getan werden." Zudem müsse geprüft werden, ob neue Regelungen nötig seien, um die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber zu beschleunigen.
Bundeskanzler Scholz mahnt zur Besonnenheit
Er sei "wütend" und "zornig", sagte Scholz unter dem Eindruck des Terrorakts. Der Kanzler mahnte aber auch zur Besonnenheit. Sein Zorn gelte den Islamisten, die das friedliche Miteinander von Christen, Juden und Muslimen gefährdeten. "Wir sind alle ein Land, das zusammenhält. Und wir werden uns diesen Zusammenhalt nicht kaputtmachen lassen von bösen Straftätern, die schlimmste Gesinnung verfolgen, sondern wir werden mit aller Härte und Schärfe gegen sie vorgehen und nicht nachlassen, sie zu verfolgen."
Auch die bislang bei Gesetzesverschärfungen zurückhaltende FDP signalisiert jetzt Kompromissbereitschaft. Bundesjustizminister Marco Buschmann kündigte Beratungen der Regierung an. Und der Bundestag, der noch bis Anfang September Sommerpause hat, wird sich wahrscheinlich kurzfristig mit den Folgen der Messerattacke befassen. Die CDU verlangt dafür eine Sondersitzung des Innenausschusses, in dem unter anderem die für Sicherheit zuständige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) befragt werden soll.
Mutmaßlicher Täter sollte nach Bulgarien abgeschoben werden
Warum der mutmaßliche Attentäter nach einem abgelehnten Asylantrag untertauchen konnte, ist eine der Fragen, auf die es noch keine Antwort gibt. Geplant war, Issa Al H. 2023 nach Bulgarien abzuschieben. Von dort soll er im Jahr zuvor nach Deutschland eingereist sein. Inzwischen hat sich der Syrer den Sicherheitsbehörden gestellt.
Im Haftbefehl der Bundesanwaltschaft wird Al H. vorgeworfen, die Ideologie der ausländischen terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) zu teilen. "Auf Grund seiner radikal-islamistischen Überzeugungen fasste er den Entschluss, am 23. August 2024 auf dem Solinger Stadtfest eine möglichst große Anzahl aus seiner Sicht ungläubiger Menschen zu töten."
Opferbeauftragte versprechen Hilfe
Drei Menschen kamen bei der Messerattacke ums Leben, acht wurden teilweise schwer verletzt. Um sie und um die Angehörigen kümmern sich auch der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Pascal Kober, und seine Kollegin Barbara Havliza aus Nordrhein-Westfalen. In diesem Bundesland liegt die Stadt Solingen. "Wir werden versuchen zu helfen, wo immer es geht", versprechen die beiden in einer Presseerklärung. "Gemeinsam vermitteln sie bei Bedarf psychosoziale, praktische und finanzielle Hilfen."