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Mesut Özil auf Irrwegen im türkischen Fußball?

19. Juli 2022

Ex-Nationalspieler Mesut Özil wechselt von Fenerbahce Istanbul zum Erdogan-Klub Basaksehir. Die Fans seines alten Vereins feiern den Abgang des gefallenen Weltstars. Der Transfer hat auch eine politische Dimension.

Mesut Özil
Mesut Özil greift sich im türkischen Süper-Lig-Spiel zwischen Fenerbahce und Altay an den KopfBild: Seskimphoto/Avalon/ Photoshot/picture alliance

Anfang 2021 wurde der deutsche Mittelfeldspieler und Weltmeister Mesut Özil von den Fenerbahce-Anhängern noch wie ein Held empfangen. Jetzt feiern dieselben Fans seinen Abgang. Es sind nicht nur Özils enttäuschende Leistungen in den letzten 18 Monaten, mit denen er den Zorn der Fans auf sich gezogen hat. Sondern es ist auch sein neues Ziel: Fenerbahces Stadtrivale Basaksehir, ein Verein mit engen Beziehungen zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

"Meine Erwartungen waren hoch, aber er hat sie überhaupt nicht erfüllt", sagt Sezgin, seinerzeit einer von einer Million Fenerbahce-Fans, die Özils Flug von London nach Istanbul live verfolgt hatten. Bei seinem Antritt betonte Özil, dass er sich sehr über seinen Wechsel zu Fenerbahce freue, zu einem Verein, den er aufgrund seiner türkischen Herkunft schon sein ganzes Leben lang unterstützt habe. Allerdings kam der 33-Jährige in anderthalb Spielzeiten im Şükrü-Saracoğlu-Stadion nur auf 37 Einsätze und hat seit März dieses Jahres nach einem Streit mit dem damaligen Interimstrainer Ismail Kartal gar nicht mehr gespielt. "Ich bin froh, dass er weg ist", sagt Sezgin. 

Ein anderer Fan, Mehmet, stimmt ihm zu: "Er hat nicht nur auf dem Spielfeld versagt, sondern Fenerbahce auch abseits des Platzes geschadet. Er hat alles getan, was er konnte, um seine Marke auszuschlachten und seine PR gegenüber den Fans zu stärken. Aber das funktioniert nicht, wenn man auf dem Spielfeld nichts zeigt."

Hat Özil nie sein Bestes in der Türkei gegeben?

Fußballfans berufen sich gerne auf abstrakte Faktoren wie "Leidenschaft" und "Motivation", wenn sie mit einem Spieler unzufrieden sind. Aber im Fall von Özil sind sich die Experten einig: "Obwohl er sagte, dass es sein Kindheitstraum war, für Fenerbahce zu spielen, hat er diese Leidenschaft nie auf dem Platz gezeigt", sagt Sportjournalist Kenan Basaran gegenüber der DW. "Er hatte schon genug Erfolg, bevor er in die Türkei kam.“

Ein anderer türkischer Sportkommentator, Kaan Kural, zweifelt ebenfalls an Özils Motivation, in die Türkei zu wechseln. "Özil hat hier nie sein Bestes gegeben. Für mich hatte er auch nie die Absicht, das zu tun", sagte er. "Wenn ich mir seine früheren Äußerungen und seinen Werdegang anschaue, habe ich das Gefühl, dass er die Türkei als einen Ort sieht, an dem er sich zur Ruhe setzen kann, anstatt hier ein neues Kapitel aufzuschlagen. Und leider hatte ich damit recht.“

Allerdings dürften auch andere Faktoren zu Özils schwachen Leistungen in der Süper Lig beigetragen haben. Fenerbahce beschäftigte in 18 Monaten vier verschiedene Trainer. Laut Basaran hatte keiner von ihnen die Qualität, um mit einem Spieler von Özils Format umzugehen. Außerdem habe er sich bei Arsenal und zuvor bei Real Madrid in gut organisierten Systemen, umgeben von Spitzenspielern, hervorgetan - bei Fenerbahce fehlte beides.

Dem stimmt der türkische Fußball-Experte Serdar Ali Celikler zu, ergänzt aber, dass Özil selbst Kritik verdient habe: "Wenn es um Özil geht, hat er immer Recht und die Trainer haben immer Unrecht. Das war auch so, als er Probleme mit Unai Emery oder Mikel Arteta [bei Arsenal] hatte. Für Özil haben sie alle Unrecht. Ist das wirklich möglich?“

Da wird er noch gefeiert: Mesut Özil bei seiner Vorstellung bei Fenerbahce IstanbulBild: AP/dpa/picture alliance

Fenerbahces neuer Cheftrainer Jorge Jesus, der mit Benfica Lissobon drei portugiesische Titel und mit dem brasilianischen Klub Flamengo Rio de Janeiro 2019 die Copa Libertadores gewonnen hat, dürfte keine große Energie in eine Re-Integration des ehemaligen Weltstars in den Kader gesteckt haben.

Die Medienabteilung von Fenerbahce lehnte auch die Anfrage der DW nach einer Stellungnahme der Klubverantwortlichen zu Özils Abgang ab und erklärte lediglich, man habe "dieses Thema fallen gelassen".

Die politische Dimension des Wechsels

Wie immer bei Mesut Özil - und im türkischen Fußball im Allgemeinen - hat sein jüngster Wechsel auch außerhalb des Fußballs für Aufsehen gesorgt und die Debatte über die Beziehung zwischen Fußball und Politik im Land neu entfacht. Özils neuer Arbeitgeber Basaksehir, Überraschungsmeister 2020, ist untrennbar mit Präsident Erdogan und dessen Regierungspartei AKP verbunden.

Der Vorsitzende von Basaksehir, Goksel Gumusdag, ist AKP-Mitglied, Erdogan selbst macht keinen Hehl daraus, dass er den Verein persönlich gegründet hat. Das Stadion liegt in einem abgelegenen westlichen Vorort Istanbuls, einer AKP-Hochburg. Die wichtigste Fangruppe des Klubs nennt sich "1453", das Jahr der osmanischen Eroberung Konstantinopels, ein klares Bekenntnis zu den nationalistischen und religiösen Werten, die Erdogans Politik in dem nominell säkularen türkischen Staat kennzeichnen.

Özil hat auch enge persönliche Beziehungen zu Erdogan: Vor dem WM 2018 posierte er zusammen mit seinem Nationalmannschaftskollegen Ilkay Gündogan für ein umstrittenes gemeinsames Foto. Ein Jahr später war Erdogan Trauzeuge bei Özils Hochzeit. Nach der Kritik in Deutschland distanzierte sich Gündogan vom türkischen Präsidenten, aber Özil legte noch einen drauf undbeendete seine internationale Karriere nach "rassistischen" Beschimpfungen, über die er sich nach Deutschlands desaströser WM in Russland beschwerte. "Jetzt hat ein Verein, der der türkischen Regierung nahe steht, seine Türen für ihn geöffnet", kommentiert Reporter Basaran. "Man könnte sagen, dass Basaksehir den Lieblingssohn der Familie verpflichtet hat."

Aus der Schusslinie genommen

Özil ist nicht der erste Erdogan-Anhänger, der bei Basaksehir unterschreibt. Im Jahr 2018 wechselte der türkische Mittelfeldspieler Arda Turan auf Leihbasis zu Basaksehir, nachdem er beim FC Barcelona in Ungnade gefallen war, unter anderem wegen seiner öffentlichen Unterstützung für Erdogans Referendumskampagne im Jahr zuvor. Erdogan war auch Trauzeuge bei Turans Hochzeit.

Ist Basaksehir also zu einem sicheren Hafen für Pro-Erdogan-Fußballer geworden, deren Karrieren ins Stocken geraten sind? "Es ist unmöglich, eine genaue Antwort zu geben", sagt Celikler und fügt hinzu: "Aber denken wir mal darüber nach: Turan wurde von Barcelona entlassen, weil er Erdogan offen unterstützte, also haben sie ihn zu Basaksehir transferiert, wo sie ihn beschützen konnten. Özil wurde in Deutschland wegen seines Fotos mit Erdogan kritisiert und sah sich, wie er meinte, praktisch aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen. Sie konnten nicht zulassen, dass er zum Opfer wird, und da es bei Fenerbahce nicht geklappt hat, haben sie ihn nach Basaksehir geholt. Ist es das, was passiert ist? Das kann man nicht sagen, aber es ist keine irrationale Vermutung"."

Stein des Anstoßes: Özil lässt sich 2018 mit "seinem" Präsidenten Erdogan fotografierenBild: Presdential Press Service/AP/dpa/picture alliance

Wo auch immer er gespielt hat, hat Özil immense Unterstützung von seinen fanatischen Anhängern erhalten, die oft eher für ihn persönlich schwärmten als für den Verein, für den er spielte. Viele lieben ihn allein wegen seiner fußballerischen Fähigkeiten, wegen seines geschmeidigen und kreativen Spielstils - wenn er in Form ist. Einige Türken sehen in ihm trotz seiner deutschen Staatsangehörigkeit den größten türkischen Fußballexport aller Zeiten und damit einen Vertreter türkischer Werte und ein Opfer des vermeintlichen europäischen Rassismus.

Bei Basaksehir, einem Verein mit einer winzigen Anhängerschaft von nur ein paar Tausend Fans, wird Özil nicht demselben Druck ausgesetzt wie in Madrid oder London. Weder von den Fans noch von den Medien, ob er nun Erfolg hat oder nicht. "Özil denkt immer noch, dass er den Fußball nicht aufgegeben hat", sagt Celikler. "Aber der Fußball scheint ihn verlassen zu haben."

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen übersetzt.

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