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Politik

Russische Medien boykottieren Duma

Roman Goncharenko | Mykhailo Komadovskyi
22. März 2018

In Russland haben mehrere Medien in einer seltenen Solidaritätswelle ihre Korrespondenten aus der Staatsduma abgezogen. Hintergrund ist der Umgang mit Belästigungsvorwürfen gegen einen Politiker.

Leonid Slutsky - Vorsitzender des Duma Committee on Foreign Affairs
Auslöser der russischen #MeToo-Debatte: der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Duma, Leonid SluzkijBild: picture-alliance/dpa/Sputnik/S. Mamontov

In Russland passiert etwas, was es in dieser Form wohl noch nie gegeben hat: Immer mehr, vor allem liberale Medien schließen sich einem faktischen Boykott der Staatsduma, der Abgeordnetenkammer des Parlaments, an. Mehr als ein Dutzend Medien - darunter das renommierte einflussreiche Medienhaus RBK, die Wirtschaftszeitungen "Kommersant" und "Vedomosti" oder der Radiosender "Echo Moskwy" - erklärten am Donnerstag, ihre Korrespondenten aus der Duma abzuziehen oder ihre Berichterstattung einzuschränken. "Wir möchten, dass dieses Problem zusätzliche Aufmerksamkeit bekommt und dass entweder der Ethikrat oder ein anderes zuständiges Organ die Lage detailliert untersucht", sagt Jelisaweta Golikowa, Redaktionsleiterin bei RBK, im Gespräch mit der DW.

Hintergrund ist die Sitzung des parlamentarischen Ethikrats am vergangenen Mittwoch. Dort ging es um den Fall Leonid Sluzkij. Ihm hatten Ende Februar drei Journalistinnen sexuelle Belästigung vorgeworfen - ein Präzedenzfall. In der Ethikrat-Sitzung wurde jedoch "keine Verletzung der Verhaltensnormen" und "keine Verhaltensabweichung" des 50-jährigen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses und Abgeordneten der ultrarechten Partei LDPR festgestellt.

"Echo Moskwy" ist eines der Medien, die die Duma wegen der Sluzkij-Affäre boykottieren wollenBild: Imago/ITAR-TASS

"Häschen, schmeiß doch bei der BBC hin"

Der Fall ist ein Echo der westlichen #MeToo-Debatte, die in Russland bis vor kurzem weitgehend nur für Spott und Solidarisierung mit Männern in staatlichen Medien sorgte. Die Vorwürfe sexueller Belästigung waren zunächst anonym, dann aber wagten einige der jungen Frauen den Schritt in die Öffentlichkeit.

Eine von ihnen, die stellvertretende Chefredakteurin des Fernsehsenders RTVi, Jekaterina Kotrikadse, berichtete von einem Vorkommnis vor rund sieben Jahren: Sluzkij habe sie in seinem Büro eingesperrt, an die Wand gedrückt und versucht zu küssen. "Es ist mir gelungen wegzulaufen", erinnerte sich Kotrikadse.

Farida Rustamowa, Moskau-Korrespondentin des Russischen Dienstes der BBC, berichtete über Skluzkijs Belästigung im März 2017. Der Politiker soll ihr während eines Interviews in seinem Büro angeboten haben, seine Liebhaberin zu werden, und sie sittenwidrig angefasst haben. Als Beweis gibt es einen Tonmitschnitt des Gesprächs. "Komm, Häschen, schmeiß doch bei BBC hin, ich finde schon einen Platz für dich", soll Sluzkij gesagt haben. "Komm vorbei, wenn du Lust hast, ich habe dich vermisst." Auch von "Küssen" war die Rede.

Rückendeckung von Kollegen

Zunächst bestritt der Beschuldigte alle Vorwürfe und sprach von einer Verschwörung. Von Kollegen bekam Sluzkij meist Rückendeckung. So empfahl etwa der Parlamentsvorsitzende Wjatscheslaw Wolodin denjenigen Journalistinnen, die sich im Parlament nicht mehr sicher fühlten, einen anderen Job zu suchen. Der Anführer der Teilrepublik Tschetschenien im Nordkaukasus, Ramsan Kadyrow, sagte, Sluzkij habe vielleicht ein "Kompliment einer schönen Frau" machen wollen. "Das ist eine Pflicht echter Männer", sagte Kadyrow.

Sluzkijs halbherzige Entschuldigung: "Glaubt mir, ich habe es nicht böse gemeint"Bild: facebbok/Leonid Sluzkij

Anlässlich des Weltfrauentags am 8. März, der in Russland seit Sowjetzeiten ein Staatsfeiertag ist, entschuldigte sich Sluzkij dann doch "bei allen Frauen", denen er "willentlich oder unwillentlich Unannehmlichkeiten bereitet" habe. Das sei keine böse Absicht gewesen, schrieb er auf Facebook. Während der jüngsten Sitzung des parlamentarischen Ethikrats bestritt er ein Fehlverhalten. Und das Gremium übernahm faktisch seine Sicht.

Gesetzeslücken bei sexueller Belästigung  

Sluzkij selbst wollte sich auf DW-Anfrage zu den Vorwürfen nicht äußern. Auch Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow äußerte sich gegenüber den Medien nicht zur Sache.

Dafür sprach eine der wenigen Duma-Abgeordneten, die sich in diesem Fall auf die Seite der Journalistinnen gestellt haben: Oxana Puschkina, selbst frühere TV-Moderatorin und Abgeordnete der Regierungspartei "Geeintes Russland". "Ich habe soeben eine Studie des UN-Sekretariats bestellt. Dort steht schwarz auf weiß, was sexuelle Belästigung ist", sagte sie der DW. "Wenn es bei uns so im Gesetz stünde, würden diese Mädchen mit ihren Tonaufzeichnungen vors Gericht ziehen. Heute können sie das nicht." Puschkina findet es traurig, dass einige ihrer Kollegen sich so verhalten, als ginge sie das nicht an. Sie selbst dagegen habe "das alles" durchgemacht.

Der russische Journalistenverband zeigte sich in einer Stellungnahme am Mittwoch verwundert über die Entscheidung des Ethikrats der Duma. Gleichzeitig heißt es dort, bei einem persönlichen Gespräch zwischen einer Journalistin und einem Politiker sei "die Trennlinie zwischen Komplimenten und einem Übergang zu einem persönlichen Faktor sehr gering."

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