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Politik

Die Spitze des Eisbergs der Korruption?

3. Januar 2018

Die Abzweigung von Haushaltsgeldern für den Wahlkampf setzt die mexikanische Regierungspartei PRI unter Druck. Sogar der Präsident Pena Nieto könnte in Bedrängnis geraten.

Mexiko Symbolbild Korruption
Bild: picture-alliance/EPA

Mexiko wählt zwar erst im Juli einen neuen Präsidenten, doch dieser Tage gab es schon einen kleinen Vorgeschmack auf das, was dem Land blühen könnte: Ende Dezember wurde der Schatzmeister der regierenden Partei der Institutionellen Revolution (PRI) im Bundesstaat Chihuahua, Alejandro Gutiérrez, wegen Unterschlagung festgenommen. Das Brisante daran: Gutiérrez leitete umgerechnet 10,5 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt um, die eigentlich für Bildungs- und Sozialprogramme bestimmt waren - und zwar direkt in die schwarzen Wahlkampfkassen der PRI. Das Ganze geschah den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft von Chihuahua zufolge mit Einwilligung des damaligen PRI-Gouverneurs, Cesar Duarte, der zahlreiche Korruptionsverfahren am Hals hat und in El Paso in den USA untergetaucht ist. Aufgedeckt wurde der Betrug nur, weil die PRI voriges Jahr die Wahl in Chihuahua an die konservative Partei der Nationalen Aktion verloren hatte

Das Prozedere war einfach: Gutiérrez erhielt den Ermittlungen zufolge das Geld und vergab es mittels Dienstleistungsvertrag an Scheinfirmen, die in der Regel anderen PRI-Politikern gehörten. Sie boten angeblich Kurse für Familienväter an, berieten Lehrer oder lieferten Software. Doch in Wirklichkeit ließen sie das Geld in bar zurück fließen an den Gouverneur und die Parteiführung, die damit den Wahlkampf finanzierte. Wegen der Unterschlagung sind zahlreiche Funktionäre aus Chihuahua in Haft, darunter zwei Exminister, die als Kronzeugen aussagten.

Der Fall könnte - sofern er unabhängig untersucht und vollständig aufgeklärt wird - mitten im Wahlkampf zu einer Bombe für die PRI werden. Denn Gutiérrez ist kein drittklassiger Provinzpolitiker, sondern enger Vertrauter des langjährigen Partei- und Senatsvorsitzenden Manlio Fabio Beltrones, der als "graue Eminenz" der PRI gilt. Den Kronzeugen zufolge ist Chihuahua nur die Spitze des Eisbergs. Auch bei den Wahlen in anderen Gliedstaaten seien auf diese Weise Gelder abgezweigt worden. Würde sich dies bestätigen, so gerieten neben Beltrones auch der damalige Finanz-und jetzige Aussenminister Luis Videgaray und möglicherweise sogar Präsident Enrique Peña Nieto ins Visier der Justiz.

Könnte ins Visier der Justiz geraten: Der mexikanische Präsident Pena NietoBild: Picture-Alliance/dpa/EPA/J. Nunez

Zivillgesellschaft macht Druck

Noch gilt die Justiz allerdings als regierungsnah, besonders die vom Präsidenten berufene und vom Kongress bestätigte Staatsanwaltschaft und die Richter des Obersten Gerichts und der Wahlbehörde. Üblicherweise werden dort in einer parteiübergreifenden Absprache Vertrauensleute der jeweiligen Parteien eingesetzt - was allen Seiten Straffreiheit garantiert. Dasselbe Schema wird in den Regionen angewendet. Miriam Castillo von der Nicht-Regierungs-Organisation "Mexikaner gegen Korruption und Straffreiheit" (MCCI) zweifelt deshalb, dass es zu einer unabhängigen Untersuchung des Falles kommen wird. Das ganze Justizsystem sei auf Ineffizienz angelegt, sagt sie im Interview. "Diejenigen, die Straftaten untersuchen sollen, sind oft in sie verwickelt. Es wimmelt nur so von Interessenskonflikten", so Castillo. Das Wahlgericht, führt sie an, habe noch immer nicht alle Betrugsvorwürfe der Bundeswahlen von 2012 abschließend untersucht.

Doch dieser Pakt der Straffreiheit ist ins Wanken geraten. Einerseits durch den Druck der Zivilgesellschaft, andererseits durch den der Unternehmerschaft, die fehlende Transparenz und Rechtsunsicherheit zunehmend als Kostenfaktor und Hindernis im globalen Wettbewerb sieht. Die Nicht-Regierungs-Organisation MCCI unter Führung des einflussreichen Unternehmersohns Claudio X. Gonzalez hat zahlreiche andere Korruptionsfälle aufgedeckt, darunter die Verwicklung des Ex-Vorsitzenden des staatlichen Ölkonzerns Pemex in Schmiergeldzahlungen des brasilianischen Baukonzerns Odebrecht. Die Enthüllung stieß Peña Nieto derart sauer auf, dass er im Mai bei einem Essen mit Unternehmern vor versammelter Mannschaft dessen Vater, Claudio González Laporte abkanzelte, wie die "New York Times" unter Berufung auf Anwesende berichtete. "Dein Sohn sollte nicht so kritisch mit der Regierung sein. Die Zivilgesellschaft sollte sich weniger um Korruption kümmern", kolportierte das Blatt die Worte des Präsidenten. Worauf González Laporte geantwortet haben soll: "Ich bin stolz auf meinen Sohn und seine Arbeit."

In Schmiergeldzahlungen verwickelt: Der staatliche Ölkonzern PemexBild: picture-alliance/dpa/Pemex

Mexiko: ein korruptes Land

Daneben gibt es noch andere Organisationen wie "Mexico Evalua", das mexikanische Institut für Wettbewerbsfähigkeit oder "Fundar", die regelmäßig unbequeme Studien anstellen. Zuletzt machte "Fundar" Schlagzeilen mit einer Studie, wie die Regierung mit ihrem Anzeigenbudget in Millionenhöhe Druck auf die Berichterstattung der Medien ausübt. Die Repressalien von offizieller Seite ließen nicht lange auf sich warten. MCCI bekommt eine Steuerprüfung nach der anderen, die Handies von Claudio X. González und anderer investigativer Reporter wurden mit Spionagesoftware abgehört, unbequeme Journalisten verloren ihre Radiosendungen bzw. Kolumnen.

Rückhalt bekam die mexikanische Zivilgesellschaft durch die internationale Gemeinschaft nach dem Verschwinden von 43 Studenten im September 2014 in Iguala. Nachdem der bis heute nicht abschliessend geklärte Fall ans Licht brachte, dass Sicherheitskräfte und Politiker mit dem Organisierten Verbrechen zusammenarbeiteten und die Justiz wenig Interesse an Aufklärung hatte, sah sich Peña zu einem Massnahmenpaket gezwungen, das unter anderem ein "Nationales Anti-Korruptions-System" vorsieht. Herzstück ist eine personell und wirtschaftlich unabhängige, professionell ausgestattete und von der Zivilgesellschaft überwachte Staatsanwaltschaft. Dem Projekt legten die Parteien jedoch so viel Steine wie möglich in den Weg. Die PRI wollte einen treuen Parteisoldaten auf den Posten hieven - ein Ansinnen, das die übrigen Parteien verhinderten. Bislang kam aber keine Mehrheit für einen anderen Kandidaten zustande. Der Posten ist vakant.

Korruption sei in Mexiko tief verankert, schreibt der Analyst Luis Rubio in der US-Zeitschrift Foreign Affairs. Sie habe nach der blutigen Revolution Anfang des 20. Jahrhunderts für politische Stabilität gesorgt, indem sie sichergestellt habe, dass jede der kriegerischen Fraktionen im Gegenzug für politische Loyalität ein Stück vom Kuchen der Macht und des Geldes abbekomme. Mit diesem System, das der Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa "die perfekte Diktatur" taufte, hielt sich die PRI 70 Jahre lang an der Macht. "Persönliche Bereicherung war schon immer der Kern der mexikanischen Politik. Das kann nur eine Revolution ändern", schliesst Rubio vom Studienzentrum für Forschung und Entwicklung (CIDAC).