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PolitikMexiko

Mexiko größtes Ziel von "Pegasus"

22. Juli 2021

Die Affäre um die Spähsoftware "Pegasus" zieht weite Kreise: Allein in Mexiko könnten 15.000 Handys ausspioniert worden sein. Unter den mutmaßlichen Opfern dort sind auch Journalisten - eine von ihnen ist Marcela Turati.

Israel, Tel Aviv I Cyber Horse I Pegasus
Das "Cyber Horse" in Tel Aviv - Ähnlichkeiten mit dem Trojanischen Pferd sind nicht von der Hand zu weisenBild: Amir Cohen/REUTERS

Marcela Turati erfährt am Samstagnachmittag, dass sie wohl zu den 25 Journalistinnen und Journalisten in Mexiko gehört, die von der Pegasus-Software ausgespäht wurden, einige Stunden bevor ein internationales Recherchenetzwerk Informationen über das Pegasus-Projekt veröffentlicht - eine Nachricht, die weltweit einschlägt wie eine Bombe.

Im ersten Moment ist Turati überrascht und kann es kaum glauben, andererseits war es ihr irgendwie sonnenklar. Denn sie gehört zu denjenigen, die mit ihrer Arbeit ziemlich vielen Menschen in Mexiko ein großer Dorn im Auge ist - und damit mächtige Feinde hat.

Turati ist eine der anerkanntesten Investigativjournalistinnen in Mexiko. Sie geht seit Jahren unermüdlich Menschenrechtsverletzungen in dem lateinamerikanischen Land nach, hat zahlreiche Bücher über den Drogenkrieg geschrieben und gibt den Opfern dieses Kampfes eine Stimme. "Als Journalist hast Du hier in Mexiko immer das Gefühl, überwacht und ausgespäht zu werden. Aber Pegasus? Ich dachte, das sei viel zu teuer. Ich muss das erst einmal verdauen", sagt sie.

Investigativjournalistin Turati: "Dass man Handys nicht trauen kann, gehört quasi zu unserer DNA"Bild: Privat

So wie Turati geht es derzeit vielen Mexikanerinnen und Mexikanern. Dass aus dem Datenleak mit mehr als 50.000 Telefonnummern, die von dem internationalen Reporter-Netzwerk "Forbidden Stories" ausgewertet wurden, beinahe jede dritte aus Mexiko stammt, erstaunt nur auf den ersten Blick. Denn Mexiko war weltweit 2011 das erste Land, das die Pegasus-Software erwarb.

Spionage Teil der mexikanischen Kultur

Das Verteidigungsministerium, der Generalstaatsanwalt und der Geheimdienst sollen das Programm gekauft haben. Über die mexikanische Tarnfirma "KBH Track" machten sie mit der Software der israelischen NSO Group Mexiko zu einer Art Versuchslabor für die Spähtechnologie.

"Die Menschen hierzulande waren weder besonders überrascht noch abgestoßen. Alle wussten, dass die 70 Jahre regierende PRI mit solchen Praktiken gearbeitet hat", sagt Turati, "und dass man hierzulande den Handys nicht trauen kann, gehört quasi zu unserer DNA. Und Spionage zu unserer Kultur."

Die Journalistin muss jetzt ein wenig lachen, als sie davon erzählt, wie Kollegen aus dem Ausland sich immer ein wenig über ihre extreme Vorsicht lustig gemacht hätten. Bei wichtigen Besprechungen und Trainings, vor allem mit den Lokaljournalisten auf dem Land, werden Handys immer weit weggelegt - auch schon mal in die Mikrowelle. "Ihr Mexikaner seid ja alle paranoid", sagten ihr daraufhin die Journalistinnen und Journalisten aus Europa.

Gefährliches Land für Journalisten

Vielleicht muss man aber ein wenig paranoid, oder besser gesagt achtsam sein, wenn man sich diesen Beruf in Mexiko ausgesucht hat. Das Land ist einer der gefährlichsten Staaten für Reporter weltweit. Immer wieder werden in Mexiko Journalisten ermordet - erst vor einem Monat wurde im Bundesstaat Oaxaca der Lokalreporter Gustavo Sánchez Cabrera umgebracht.

Demonstration in Mexiko-Stadt (im September 2020): Gedenken an die 43 ermordeten StudentenBild: Rebecca Blackwell/AP Photo/picture-alliance

Für Marcela Turati gehört es nicht nur zu ihrem Job, Morde an Migranten minutiös aufzuklären oder das Verschwinden der 43 Studenten in Ayotzinapa, das weltweit für Aufsehen sorgte. Mit dem von ihr mitgegründeten Netzwerk Periodistas de a pie will sie mit Trainings für Lokalreporter auch dafür sorgen, ihre Kolleginnen und Kollegen zu schützen.

"Es besteht hierzulande für Journalisten immer die Gefahr, dass man unaufmerksam wird und die Angst verliert, weil die Bedrohungen so zahlreich und massiv sind, dass das Risiko quasi zum Normalzustand wird", sagt Turati. Sie und ihre Kollegen hätten deswegen immer eine Liste mit Kontakten zur Hand, falls ein Reporter in ein gefährliches Gebiet geht oder sich nicht meldet.

Hat Pegasus mit einem Mord zu tun?

Die Pegasus-Affäre bringt nun einen Mordfall von 2017 wieder auf die Agenda. Damals wurde der Journalist Cecilio Pineda Birto erschossen, nachdem er viele Jahre über das organisierte Verbrechen und die Drogenmafia im Süden Mexikos und die Verwicklungen örtlicher Politiker und der Polizei berichtet hatte.

Protest in Mexiko nach Journalisten-Morden (2014): "Bedrohungen sind zahlreich und massiv"Bild: Marco Ugarte/AP/picture alliance

Auch Birtos Telefonnummer steht auf der Pegasus-Liste, sie wurde lange vor seinem Tod als mögliches Spähziel registriert. Sein Handy tauchte danach nie wieder auf. Wurde Birto also ausgerechnet mit der Software aufgespürt, die eigentlich für den Einsatz gegen Drogenschmuggler und Terroristen gedacht ist?

Auch der Präsident Ziel der Spionage

Jetzt, wo sie darüber nachdenkt, erinnert sich Marcela Turati an viele Dinge, die ihr in dem Augenblick ein wenig merkwürdig vorkamen. Das Handy einer Kollegin, auf dem urplötzlich alles gelöscht war. Der andere Kollege, der von einem Moment auf den anderen keinen Zugriff mehr auf sein Smartphone hatte.

Und die Tatsache, dass manchmal bei einigen Journalisten gleichzeitig das Handy verrückt spielte. "Wir haben immer unsere Scherze darüber gemacht, dass unseren Spähern jetzt wohl langweilig geworden ist."

Mutmaßliches Pegasus-Opfer López Obrador: Erhöhte Chance auf Nachforschungen?Bild: Henry Romero/REUTERS

Das Problem in Mexiko sei auch, sagt Turati, dass es sich die Journalisten schlichtweg nicht leisten könnten, sich alle paar Monate ein neues Smartphone zuzulegen. Wird sich in Mexiko, einer Art Epizentrum des Pegasus-Skandals, also am Ende gar nichts ändern? Marcela Turati hofft auf eine Kommission, welche die ganze Wahrheit über Pegasus ans Licht bringt.

"Dass Präsident Andrés Manuel López Obrador selbst von der Spionage betroffen war, erhöht die Chance auf Nachforschungen", sagt die Journalistin. Die Welt würde nun auf Mexiko schauen. "Und wir begreifen vielleicht, dass Ausspähen nicht so normal ist, wie wir in Mexiko immer gedacht haben."

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