1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Vorschusslorbeeren für den Neuen

3. August 2018

Vor einem Monat gewann Andrés Manuel López Obrador, genannt "Amlo", die Präsidentschaftswahlen in Mexiko. Die Angst vor dem Linkspopulisten war groß. Sandra Weiss zieht eine Bilanz der ersten 30 Tage nach der Wahl.

Mexiko Der gewählte Präsident Andres Manuel Lopez Obrador gibt Pressekonferenz in Mexiko-City
Bild: Reuters/D. Becerril

Groß war die Furcht vor einem Linkspopulisten in Mexiko. Der Stabschef im Weißen Haus John Kelly war während des Wahlkampfs "alarmiert". Wirtschaftsbosse rieten ihren Angestellten, bloß nicht für Andrés Manuel López Obrador, genannt "Amlo", zu stimmen, da dann eine Massenflucht der Investoren drohe. Die mexikanischen Wähler ließen sich nicht beeindrucken.

Einen Monat ist die Wahl López Obradors von der Bewegung für Nationale Erneuerung (Morena) nun her. Und obwohl der neue Präsident sein Amt erst am 1. Dezember antritt, ist der mexikanische Peso schon jetzt so stark wie zuletzt vor zwei Jahren. US-Präsident Donald Trump lobte Amlo als "großartigen Typ". Nach der Unsicherheit des Wahlkampfes seien die Aussichten für Mexiko positiv, erklärte der Direktor der Bank BBVA in Mexiko, Carlos Torres. "Die Signale der neuen Regierung sind positiv, alles ist positiv", lobte er bei der Bilanzpressekonferenz. Von der Panik zur großen Liebe in einem Monat? Vorschusslorbeeren für eine Regierung, die erst in vier Monaten ihr Amt antritt? Oder vielleicht doch eher ein konfuses Sommertheater?

Angst vor der "vierten Transformation"

Für die Finanzmärkte trifft Torres' Einschätzung derzeit zu. Was dort passiert, wird mehr durch Erwartungen und kurzfristige Spekulationen beeinflusst als durch Politik. Für Rating-Agenturen und Börsenmakler, die sich auf Umfragen stützen, war der Sieg Amlos schon lange ausgemachte Sache - entsprechend schichteten sie ihre Portfolios um und waren vorbereitet. "Wir gehen davon aus, dass der heimische Konsum anzieht", erklärte Gabriela Siller, Chefökonomin der Banco BASE. Das dürfte sich zunächst positiv auf die Börse auswirken.

Doch ob Mexiko langfristig weiter mit Investitionen rechnen kann, hängt zu einem Großteil von den Neuverhandlungen des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta) ab. Wie diese ausfallen, ist offen, zumal Trump auf ein bilaterales Abkommen ohne Kanada noch vor den US-Kongresswahlen im Herbst drängt. López Obrador tritt sein neues Amt erst am 1. Dezember an, weshalb sich die scheidende Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto von der Partei der Institutionellen Revolution (PRI) damit befassen muss. Die allerdings ist diskret in der Versenkung verschwunden. Nachdem er haufenweise öffentliche Bauaufträge vergeben und Getreue noch schnell auf Regierungspöstchen gesetzt hat, verabschiedete sich Peña Nieto am Wochenende in den Sommerurlaub. Stattdessen beherrschen Amlo und sein Team die Schlagzeilen.

Nach der Wahl abgetaucht: Der bisherige Präsident Enrique Peña NietoBild: Reuters/D. Becerril

Trotz unzähliger Artikel und Erklärungen ist nur schemenhaft zu erkennen, was ab Dezember auf Mexiko politisch zukommt, ob eine "vierte Transformation" stattfindet, wie Amlo versprochen hat, oder ob es bei Kurskorrekturen bleibt. Für beides gibt es Anzeichen, wie die Journalistin Denise Dresser in ihrer Kolumne in der Zeitung "Reforma" schreibt. "Wie Janus mit zwei Köpfen schauen Amlo und die Seinen sowohl in die Zukunft als auch in die Vergangenheit."

Populistische Versprechungen

Da sind zum einen die populären Wahlkampfversprechen, die Amlo in den vergangenen Wochen bekräftigt hat: die Halbierung seines Präsidentengehalts, die Reduzierung des aufgeblähten Staatsapparats und die Abschaffung von Weihnachtsgeld, Bodyguards, privaten Krankenversicherungen und Chauffeuren für Staatsdiener. Weitere Beispiele sind der Verkauf des Präsidentenflugzeugs und die Verteilung der Ministerien über ganz Mexiko - beides nach der Meinung von Experten ineffiziente Vorschläge, die eher mehr als weniger Geld kosten. Auch die geplante Reduzierung der staatlichen Parteienfinanzierung um 50 Prozent ist ein zweischneidiges Schwert, wie Fachleute warnen, wenn nicht zugleich die private kontrolliert oder verboten wird, das bisherige Einfallstor illegaler Wahlkampffinanzierung.

Amlo versprach, die Mexikaner nicht im Stich zu lassenBild: Reuters/C. Jasso

Zum anderen sind da die Ideen, die seine designierten Minister und Berater der Presse zukommen lassen. Die umstrittenen Strukturreformen seines Vorgängers in den Bereichen Bildung und Energie versprach Amlo zurückzunehmen. Dann jedoch erklärte der designierte Bildungsminister Esteban Moctezuma, er werde das beibehalten, was "fürs Lernen nützlich" sei. Der Bau des neuen Hauptstadtflughafens sollte erst gestoppt, nun aber neu geprüft werden.

Bei der inneren Sicherheit - einem der laut Umfragen dringlichsten Probleme der Mexikaner - soll die bisher herrschende Strategie des Drogenkriegs durchbrochen werden. So sprach sich die designierte Innenministerin Olga Sánchez Cordero für eine Legalisierung von Drogen aus - etwas, was Amlo stets ablehnte. Der künftige Sicherheitsminister Alfonso Durazo bereitet seinerseits ein Amnestiegesetz für Kriminelle vor, was auf Widerstand der Opferverbände stößt. Wie bei anderen strittigen Themen, in  denen die künftige Regierung einflussreiche Gruppen wie Unternehmer, das Militär oder die Kirche verprellt, soll es hierbei "vorherige Konsultationen der Bevölkerung" geben. Wie die genau aussehen, ist aber unklar.

Ende des Drogenkrieges? Der neue Präsident ist gegen eine Legalisierung, seine Innenministerin dafürBild: picture alliance/dpa/S. Gutierrez

Ob die Partizipation eine ernsthafte Strategie der Demokratisierung ist oder nur ein Feigenblatt für einen autoritären Regierungsstil, dürfte eine der spannendsten Fragen der nächsten Regierungszeit werden. Spannungen sind vorprogrammiert. So drängen Unternehmer und Zivilgesellschaft auf eine unabhängige Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft. Amlo glaubt, es reiche, wenn er mit gutem Beispiel vorangehe und besteht darauf, einen Vertrauten zum Chefermittler zu machen. Von unabhängigen Institutionen hält Amlo offensichtlich wenig. Als die Wahlbehörde gegen Morena wegen Betrugs eine hohe Geldstrafe verhängte, sprach Amlo von "bösartiger Rache".

Fachleute und Polit-Dinosaurier

Widersprüche gibt es auch bei der Personalpolitik. Anerkannte Fachleute wie Sánchez Cordero stehen neben umstrittenen Polit-Dinosauriern. So soll der ehemalige PRI-Politiker Manuel Bartlett Direktor des staatlichen Stromversorgers CFE werden. "Es gab bessere Optionen, aber der Herr (Amlo) hat das letzte Wort", kritisierte sogar Amlos Wahlkampfmanagerin Tatiana Clouthier. Bartlett hatte als PRI-Innenminister in der Wahlnacht von 1988 den seltsamen Stromausfall zu verantworten, nach dem die Hochrechnungen eine wundersame Wendung zugunsten des PRI-Kandidaten Carlos Salinos, gegen den Linkskandidaten Cuauthémoc Cárdenas nahmen.

Die Kakophonie dürfte sich in den kommenden Monaten legen. Als Regierungschef des Bezirks Mexico-Stadt sorgte Amlo seinerzeit für geschlossene Reihen im Kabinett und gab in morgendlichen Pressekonferenzen die Linie vor. Eine erste Bewährungsprobe steht ihm bei der Verabschiedung des neuen Haushalts im Herbst bevor. Eingebracht wird er noch von Peña, verabschiedet aber von einem Kongress, in dem Morena die Mehrheit hat. Dann wird klar, welche politischen Prioritäten die neue Regierung hat, und wie etwa die versprochenen Renten- und Stipendienprogramme sowie neue Raffinerien finanziert werden sollen - ohne Neuverschuldung oder Steuererhöhungen.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen