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Politik

Mexiko will Studentenmassaker aufarbeiten

Eva Usi
2. Oktober 2018

Das Massaker von Tlatelolco ist nach 50 Jahren immer noch eine offene Wunde für Mexiko. Es ist laut vielen Beobachtern auch ein Symbol für Straflosigkeit und Gewalt, worunter das Land bis heute leidet.

Mexiko Tlatelolco Massaker in 1968
Bild: picture-alliance/AP/Proceso

Der 50. Jahrestag der brutalen staatlichen Unterdrückung der Studentenbewegung von 1968 hat in Mexiko eine Debatte über die Nachwirkung dieses Datums für das Land angestoßen. Dem Jahrestag ging das überraschende Ergebnis einer Untersuchung einer Regierungskommission voraus, dass es sich bei dem Massaker an protestierenden Studenten um ein Staatsverbrechen handele. Der Präsident der staatlichen Kommission für Opferhilfe (CEAV), Jaime Rochin, bestätigte am 25. September, dass "das Massaker von Tlatelolco für eine Zeit steht, in der der mexikanische Staat sein autoritärstes Gesicht zeigte und die Stimmen der Zivilgesellschaft zum Schweigen brachte".

Anne Hufschmid, Forscherin an der Freien Universität Berlin, die seit 15 Jahren das Phänomen der Gewalt in Mexiko untersucht, begrüßt diese Anerkennung. "Es ist zweifellos wichtig, dass ein Organ des Staates das Massaker zum ersten Mal als das anerkennt, was es war, ein Verbrechen des Staates, wie es schon seit Jahrzehnten von unzähligen Experten, nationalen und internationalen Aktivisten, eingestuft wurde. Aber die Anerkennung kommt spät und kommt nicht von der Bundesregierung oder einer anderen Behörde mit Rechtsbefugnissen". Als Grund hierfür sieht sie eventuelle Forderungen nach Wiedergutmachung.

68er-Bewegung in Mexiko

Das Jahr 1968 ging weltweit als Jahr der Studentenrevolten und Proteste in die Geschichte ein. Hufschmid, die von ihren Eltern zu den Studentenprotesten an der Universität und auf den Straßen Berlins mitgenommen wurde, kam in den 90er Jahren zum 25. Jahrestag der Ereignisse vom 2. Oktober nach Mexiko. "In Mexiko betrachtete man '68 weniger als ein globales Ereignis. Die Erinnerung an diese Zeit wird durch das Geschehen an diesem einen Tag überschattet. Für Mexiko steht '68 eher im Zeichen von Repression, Massaker und Straflosigkeit", sagt Hufschmid.

Im Sommer des Jahres 1968 protestierten die Studenten monatelang gegen die autoritäre und repressive Politik der Regierung und der "Partei der institutionalisierten Revolution" (PRI).

Protestierende fordern eine Aufarbeitung der Vergangenheit. Bild: Reuters/J. L. Gonzalez

Die Regierung des damaligen Präsidenten Gustavo Díaz Ordaz versuchte gerade, Mexiko auf der internationalen Bühne als Land des Fortschritts zu präsentieren, um die Olympischen Spiele in die mexikanische Hauptstadt zu holen. Doch die protestierenden Studenten riefen auf den Straßen: "Wir wollen keine Olympischen Spiele, wir wollen Revolution".

Die italienische Journalistin und Kriegsberichterstatterin Oriana Fallaci kam nach Mexiko, um über die Studentenproteste zu berichten, und nahm am 2. Oktober an der Kundgebung in Tlatelolco teil. Etwa 8000 hatten sich versammelt, als am Ende der friedlichen Kundgebung Scharfschützen von den Dächern aus das Feuer auf die Menge eröffneten. Fallaci, die selbst auch verwundet wurde, schrieb später, dass der Angriff auf die Studenten schlimmer war als das, was sie in Vietnam erlebt hatte.

Täter: Die Präsidentengarde

"Es war eine Gräueltat, weil sie auf eine wehrlose Menge schossen. Die Scharfschützen waren Angehörige der Präsidentengarde, die wahllos auf Soldaten, Polizisten und Studenten schossen", erzählt Sergio Aguayo, Politikwissenschaftler am Lehrinstitut COLMEX in Mexiko-Stadt. Aguayo war selbst Teil der damaligen Studentenbewegung und untersucht die Ereignisse seit 1995. "Wir haben die Wahrheit herausgefunden, ohne Gerechtigkeit zu erlangen", sagt der.

Der designierte Präsident, Andrés Manuel López Obrador, will die Präsidentengarde auflösen. Bild: imago/Agencia EFE

Das Ziel des Scharfschützenfeuers war es, Chaos zu verbreiten und eine Rechtfertigung für eine Unterdrückung der Proteste zu schaffen. Die Gegenreaktion des Militärs verwandelte den Platz, auf dem die Kundgebung stattfand in einen Kriegsschauplatz. 37 Tote wurden offiziell identifiziert. Schätzungen gehen aber von mehr als 300 Opfern aus.

Die mexikanische Präsidentengarde, mit mehr als 2000 Angehörigen, ist ein Elitekorps zum persönlichen Schutz des Präsidenten. Der designierte Präsident Andrés Manuel López Obrador, kündigte seine Absicht an, diese Einheit aufzulösen, sobald er am 1. Dezember sein Amt antritt.

Anne Hufschmid betont den Ruf der Öffentlichkeit nach Gerechtigkeit und einer ehrlichen Aufarbeitung. "Das Massaker vom 2. Oktober und der anschließende sogenannte schmutzige Krieg seitens der Regierung war nichts anderes als eine Art Staatsterrorismus, den die mexikanische Regierung in den 70er Jahren selektiv ausgeübt hat. Ohne eine funktionierende Strafverfolgung wird es schwierig sein, die Kultur der Straflosigkeit aufzubrechen. Es ist eines der größten Hindernisse hin zu einer echten Demokratie in Mexiko".