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Politik

MH17-Ermittler: Rakete kam aus Russland

28. September 2016

Die Rakete, die im Sommer 2014 eine zivile Boeing in der Ost-Ukraine vom Himmel holte, stammte aus Russland. Aber von wem wurde sie bedient? Das können die Ermittler noch nicht beantworten. Aus Utrecht Bernd Riegert.

Ukraine Absturzort der MH17
Bild: Oleg Vtulkin

Die Angehörigen der 298 Insassen haben auch mehr als zwei Jahre nach dem Abschuss der Passagiermaschine MH17 über der östlichen Ukraine nicht erfahren, wer die Täter sind. Die internationalen Ermittler unter Leitung der niederländischen Staatsanwaltschaft hatten die Angehörigen und Hinterbliebenen in ein Konferenzzentrum in der Stadt Utrecht geladen, um ihnen die strafrechtlichen Ermittlungsergebnisse zu präsentieren.

Die Staatsanwaltschaft kann zwar mit einem Feld nahe des Dorfes Pervomaiske nunmehr den Raum eingrenzen, aus dem die BUK-Boden-Luft-Rakete am 17. Juli 2014 abgefeuert wurde. Sie ist aber nicht in der Lage zu bestimmen, ob das Waffensystem von russischen, ukrainischen oder anderen Soldaten oder Milizen bedient wurde.

Wer den Befehl zum Abschuss der zivilen Maschine gab, die in etwas über 10.000 Meter Höhe das umkämpfte Rebellengebiet überflog, ist erst recht nicht zu ermitteln gewesen. Bis jetzt. Denn die Ermittlungen sollen weitergehen, kündigte der leitende Staatsanwalt Fred Westerbeke vor der Presse an. In Utrecht konnten nur Zwischenergebnisse bekannt gegeben werden.

Angehörige müssen weiter abwarten

Zwei Stunden lang standen die Ermittler den Angehörigen Rede und Antwort. Erst danach wurde die internationale Presse im Konferenzzentrum informiert. Die Polizei versuchte die Angehörigen, so weit sie das wünschten, möglichst von der Presse und der Öffentlichkeit abzuschirmen.

Robbi Oehlers, der seine 20 Jahre alte Cousine Daisy in der abgeschossenen Boeing 777 verloren hat, wollte trotzdem mit den vielen Journalisten vor Ort sprechen. Er machte aus seiner Enttäuschung keinen Hehl. Es nütze ihm ja nicht viel zu wissen, wo die Rakete abgefeuert wurde. Robbi Oehlers will natürlich wissen, wer den Befehl dazu gab.

Warten auf die Wahrheit - Robby Oehlers hat beim MH17-Absturz seine Cousine verlorenBild: DW/B.Riegert

"Es ist aber gut, zweifelsfrei zu wissen, dass die Rakete aus Russland kam und die Abschussrampe auch dorthin zurückgebracht wurde. Das ist jetzt ganz klar. Die Ermittlungen sind noch ganz am Anfang, aber es ist mir egal, ob es ein Jahr, drei oder zehn dauert. Hauptsache, die Wahrheit kommt ans Licht", sagte Oehlers. "Wir haben jetzt eine grobe Vorstellung, was geschehen ist." Was er als nächstes tun werde, wollen die Journalisten von ihm wissen: "Ich werde abwarten. Was sonst?"

Schwierige Ermittlungen

Die Ermittlungen waren äußert schwierig, weil die rund 100 ermittelnden Staatsanwälte und Polizisten aus fünf Ländern eine unglaubliche Menge an Beweismitteln sichten mussten. Fred Westerbeke, der leitende Ermittler, berichtete in Utrecht von 750 Videos, 500.000 Fotos und 150.000 mitgeschnittenen Telefongesprächen. Mehr als 200 Zeugen wurden gehört. Die Ermittler konnten sogar in das Gebiet zwischen Donezk und Luhansk reisen, um sich selbst ein Bild zu machen.

Kein Zweifel mehr an den Abläufen - der niederländische Staatsanwalt Fred WesterbekeBild: DW/B.Riegert

"Es gibt keinen Zweifel mehr an den Abläufen", stellte Westerbeke fest. Man habe auch geheimes Material, Satellitenaufnahmen und andere Aufzeichnungen in den USA einsehen können. Angekündigte Radaraufzeichnungen aus Russland seien hingegen bis heute nicht zur Verfügung gestellt worden, sagte der niederländische Ermittler. Man könne rund 100 Menschen mit dem Transport und der Bedienung der BUK-Raktete in Verbindung bringen. Wer davon identifziert sei, wollte Westerbeke nicht sagen.

Gegenseitige Vorwürfe

Russland und die Ukraine werfen sich gegenseitig vor, für den Abschuss der Maschine von Malaysia Airlines, die von Amsterdam nach Kuala Lumpur unterwegs war, verantwortlich zu sein. Über die BUK-Raketen verfügen sowohl russische als auch ukrainische Einheiten. Die Rakete wurde aus einem Gebiet abgefeuert, dass die von Russland unterstützen Rebellen kontrollieren. Die Milizen selbst haben aber kaum die nötige Ausbildung, um das komplexe BUK-System zu bedienen.

Das private Journalisten-Netzwerk Bellingcat hatte schon früh aus öffentlichen Quellen und Internet-Fotos die These aufgestellt, dass eine russische Armee-Einheit die BUK-Rakete in die Ukraine transportiert und bedient hat. Bei dieser Version blieb Elliot Higgins von Bellingcat gegenüber der DW in Utrecht. Zu den jüngsten Versionen über den Hergang aus Russland sagte Elliot Higgins: "Entscheidend ist, was das russische Verteidigungsministerium behauptet." Kurz nach dem Anschlag gab es angeblich Beweise, dass ein ukrainisches Jagdflugzeug in der Nähe der MH17 war. Jetzt will die russische Seite davon nichts mehr wissen. "Wir müssen davon ausgehen, dass das Ministerium bereit war zu lügen", meint Elliot Higgins.

Wer hat es abgefeuert? Das russische Luftabwehrsystem BUK-2MBild: picture-alliance/dpa

Russische Journalisten wollten in Utrecht von den Ermittlern wissen, warum sie nicht auch andere Möglichkeiten als den Abschuss durch eine BUK-Rakete russischer Bauart geprüft hätten. Die Antwort darauf sei einfach, sagte Staatsanwalt Westerbeke: "Die Beweislast ist einfach zu eindeutig und zu erdrückend." Man mache aber der Russischen Föderation beim jetzigen Stand der Ermittlungen keine Vorwürfe, sondern sage nur, die Rakete kam aus Russland.

"Prozess ist unwahrscheinlich"

Der Rechtsanwalt Elmar Giemulla vertritt deutsche Opferfamilien, die beim Abschuss von MH17 Angehörige verloren haben. Nach der Unterrichtung in Utrecht geht er nicht davon aus, dass es jemals zu einem Prozess kommen wird. Welches Gericht zuständig sei, sei schon schwierig zu beantworten. Ein Gericht in Russland oder der Ukraine sei wahrscheinlich, da sich dort ja die meisten Täter und Zeugen aufhalten. "Ich kann mir das nicht vorstellen, denn das, was da passiert ist, ist ja mit Sicherheit keine Einzeltat. Ein Prozess in Russland gegen die ganze Befehlskette, bis ganz nach oben zum Präsidenten wird meiner Meinung nach kaum stattfinden."

Seine Mandanten, so sagte der Anwalt der DW, rechneten damit, dass die Schuldigen nie bestraft werden können. Man wolle aber erreichen, dass so eine Tragödie sich nicht wiederholen könne. Deshalb müssten Überflüge über Kriegs- und Unruhegebiete früher verboten werden als bisher.

Das Ermittlerteam in Utrecht rief Zeugen in der Ukraine und in Russland auf, die irgendetwas zu den Vorgängen um den Abschuss wissen, sich zu melden. Besonders interessiert sei man natürlich an Aussagen aus dem Kreis der 100 möglichen Tatbeteiligten. Das ukrainische Recht sehe für Kronzeugen erhebliche Anreize und Strafmilderung vor, sagte Staatsanwalt Westerbeke. Wann eine konkrete Anklage erhoben werden kann, dazu wollte Westerbeke sich nicht äußern.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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