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Politik

MH17: Kein Hass, aber offene Fragen

Mikhail Bushuev mo
9. Dezember 2019

Vor fünf Jahren verlor Piet Ploeg beim Abschuss der Boeing MH-17 über der Ukraine mehrere Angehörige. Heute leitet er eine Stiftung für Hinterbliebene. Sie alle hoffen auf Aufklärung beim bald beginnenden Strafprozess.

Niederlande Utrecht
Piet Ploeg, Vorsitzender der Stiftung "Flugkatastrophe MH17"Bild: DW/Mikhail Bushuev

"Ich werde an der gesamten Gerichtsverhandlung teilnehmen, weil ich wissen will, wer die Schuld trägt", sagt der Niederländer Piet Ploeg. Am 9. März beginnt in den Niederlanden der Strafprozess wegen des Abschusses einer vollbesetzten Boeing 777 über dem Donbass.

Am 17. Juli 2014 ist die Maschine der Malaysian Airlines mit der Flugnummer MH17 auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur. "Dieser Tag hat alles verändert", erinnert sich Ploeg. Über der Ostukraine nahe der russischen Grenze wird die Boeing von einer vom Boden abgefeuerten Rakete getroffen. Die Maschine stürzt ab, alle 298 Insassen, darunter auch 80 Kinder, kommen ums Leben. Die niederländische Regierung ist überzeugt, dass Russland die Hauptschuld für den Absturz der Maschine trägt. Fünf Jahre nach der Tragödie identifizieren Ermittler des Joint Investigation Team (JIT), an dem die Niederlande, Australien, Belgien, Malaysia und die Ukraine beteiligt sind, vier Verdächtige: drei Russen und einen ukrainischen Staatsbürger. Sie alle befinden sich vermutlich in Russland oder in dem Teil der Ostukraine, der von prorussischen Separatisten kontrolliert wird. Daher wird der Prozess in deren Abwesenheit geführt.

Laut den Ermittlern stammte das Flugabwehrsystem "Buk", von dem die Rakete abgefeuert wurde, von der 53. Luftabwehrbrigade der russischen Streitkräfte, die in Kursk, nahe der ukrainischen Grenze, stationiert ist. Die russische Armee habe das "Buk"-System heimlich auf ukrainisches Territorium gebracht, das aber nicht von Kiew kontrolliert wird. In diesem Punkt sind sich die Ermittler sicher. Moskau weist die Vorwürfe zurück.

MH-17-Abschuss: "Weder Leiche noch Gepäck gefunden"

Piet Ploeg verlor bei der MH17-Katastrophe seinen älteren Bruder, seine Schwägerin und seinen Neffen. Sein Bruder war begeisterter Biologe und hatte seine Frau und seinen Sohn auf eine Reise in die Tropen mitgenommen. Deren sterblichen Überreste konnten identifiziert werden, die seines Bruders jedoch nicht. Von zwei Passagieren fehlt bisher jede Spur: vom 16-jährigen Gary Slok und vom 58-jährigen Alex Ploeg. "Weder die Leiche noch das Gepäck wurden gefunden", sagt sein Bruder Piet. Es gebe nur noch eine kleine Hoffnung: "Mehrere hundert Fragmente, die noch nicht identifiziert wurden, werden mit Hilfe neuer Technologien analysiert. Die Ergebnisse werden erst im Juni oder Juli nächsten Jahres vorliegen", sagt Ploeg.

Die beiden Töchter seines Bruders seien nicht mit auf die Reise gegangen. "Jetzt kümmere ich mich um die beiden", so Ploeg. Die jüngere wolle wie ihr Vater Biologin werden. Für seine Eltern sei der Verlust ihres Sohnes, der Schwiegertochter und des Enkels "der letzte Schlag" gewesen, von dem sie sich nie mehr erholt hätten. Sie seien im Jahr 2019 verstorben. Nach der MH17-Tragödie legte Ploeg seine Arbeit bei der Regionalverwaltung nahe Utrecht nieder. Wie viele Angehörige der Opfer war er lange auf die Hilfe eines Psychologen angewiesen.

Was Piet Ploeg über Russland und die Verdächtigen denkt

Später wurde Piet Ploeg Leiter der Stiftung "Flugzeugkatastrophe MH17". Ihr haben sich fast alle Angehörige der Opfer angeschlossen. Ploeg arbeitet ehrenamtlich, fast den ganzen Tag. Er hilft bei der Vorbereitung auf den Strafprozess, löst Probleme bei der Unterstützung von Angehörigen der Opfer und koordiniert deren Vorgehen bei Klagen, die bereits vor internationalen Gerichten gegen Russland eingereicht wurden, insbesondere beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Durch die Tragödie habe sich, so Ploeg, auch sein Bekanntenkreis verändert, es seien neue Kontakte hinzugekommen. Viele Freunde würden ihn nach seiner Einstellung zu Russland und der Ukraine fragen. "Alle denken, dass ich Russen hasse. Aber ich verspüre keinen Hass. Es ist die russische Armee oder der russische Staat, die seltsame Dinge tun, aber das sagt nichts über die Menschen in Russland aus", betont Ploeg.

Vor der Tragödie interessierten ihn die Ereignisse in Osteuropa wenig. Die MH17-Katastrophe zwang ihn der Frage nachzugehen, was im Osten der Ukraine passiert. Heute interessiert ihn vor allem die Frage, wer die Täter sind: "Für uns ist es wichtig herauszufinden, welche Strukturen hinter diesen Personen stehen, die dies getan haben, und wie sie die Maschine abgeschossen haben: Ob es ein gezielter Angriff auf ein ziviles Verkehrsflugzeug war oder nicht."

Vor dem Gericht im niederländischen Schiphol beginnt im März der MH17-ProzessBild: AFP/R. de Waal

MH17-Prozess kann viele Jahre dauern

Dem Prozess will Ploeg nicht nur seiner selbst willen, sondern auch stellvertretend für die Angehörigen beiwohnen, die nicht persönlich teilnehmen können. Das Verfahren wird mindestens anderthalb Jahre dauern, wenn die Angeklagten auf ihr Recht verzichten, sich Anwälte zu nehmen. Sollte Anwälte vor Gericht erscheinen, würde sich das Verfahren über Jahre hinziehen. "Fünf, sechs Jahre - niemand kann es mit Sicherheit sagen. Aber das spielt keine Rolle. Für mich ist das jetzt der Sinn meines Lebens", sagt Ploeg.

Was die Ukraine angeht, so hält er die Frage nach ihrer Verantwortung für zweitrangig. "Der Staat Ukraine hat das Flugzeug nicht abgeschossen. Aber wir würden gerne mit der Ukraine darüber sprechen, warum sie ihren Luftraum für zivile Flugzeuge nicht gesperrt hatte", so Ploeg. Seine Stiftung will unter anderem erreichen, dass Länder, in denen militärische Konflikte toben, dazu verpflichtet werden, ihren Luftraum zu sperren. "Wir wollen verhindern, dass sich so etwas wiederholt", sagt Ploeg und fügt hinzu, dass der niederländische Sicherheitsrat vor einigen Monaten in einem Bericht festgestellt habe, dass der Luftraum über Ländern mit bewaffneten Konflikten nach wie vor unsicher sei.

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