1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ngadeu: "Fußball ist wie Religion"

Silja Fröhlich
25. Juni 2019

2017 gewann Michael Ngadeu Ngadjui mit Kameruns Nationalteam den Afrika Cup. Nun gilt es, den Titel zu verteidigen. Im DW-Interview spricht Ngadeu über Favoriten, Kameruns Schwächen und seine Zeit in Deutschland.

Africa Cup of Nations Kamerun gegen Ghana | Michael Ngadeu-Ngadjui
Bild: Reuters/A. Abdallah Dalsh

Verteidigt Kamerun den Afrika-Cup-Titel?

08:02

This browser does not support the video element.

DW: 2017 hat die kamerunische Mannschaft den Afrika Cup gewonnen. Welche Bedeutung haben der Pokal und das Turnier für Sie persönlich?

Michael Ngadeu Ngadjui: Der Afrika Cup ist das wichtigste Sportereignis für das afrikanische Volk. Fußball ist für uns wie eine Religion. Bei diesem Ereignis sprechen alle Afrikaner die gleiche Sprache: Fußball. Der Sieg 2017 ist und war für mich unbeschreiblich. Als Kind aus Maroua hätte ich mir in meinen wildesten Träumen niemals vorstellen können, den Pokal nach Hause zu holen. Es ist eine Ehre für mich, Teil des Teams zu sein, das den fünften Stern auf das kamerunische Trikot gesteckt hat. Als wir 2017 mit der Trophäe nach Kamerun zurückkehrten, war die ganze Stadt Yaoundé auf den Straßen, um uns willkommen zu heißen und zu feiern. Es war verrückt, es war großartig. Ich denke, wir haben in Kamerun noch nie etwas so sehr gefeiert wie diesen Pokal.

Wie ist das Gefühl, beim Afrika Cup 2019 in Ägypten wieder dabei zu sein?

Ich freue mich, dass es wieder los geht [Kamerun bestreitet an diesem Dienstag ab 19 Uhr MESZ sein erstes Gruppenspiel gegen Guinea-Bissau - Anm. d. Red.]. Zu schade, dass der Cup eigentlich in Kamerun hätte stattfinden sollen. Das hat leider nicht geklappt. Jetzt gehen wir nach Ägypten, um unseren Titel zu verteidigen. Viele sehen in Kamerun wieder den Favoriten, natürlich zusammen mit anderen Nationen. Wir wissen, was das kamerunische Volk von uns erwartet, wir sind uns des Drucks bewusst. Und wir gehen mit der größtmöglichen Motivation in das Turnier - zu Ehren des kamerunischen Volkes und des kamerunischen Fußballs.

"Ein Team mit einer Stimme"

Sie sind der Titelverteidiger, beim Afrika Cup wird Ihnen sicher eine besondere Aufmerksamkeit zuteil. Was sind die Stärken und Schwächen des Teams?

Unsere Stärken sind unser Zusammenhalt und unsere Solidarität, unser Kampfgeist. Wir spielen mit Verbitterung und mit aller Liebe, um das kamerunische Trikot zu verteidigen. Wir sind ein sehr großes Team, dass vielleicht keine weltbekannten internationalen Spieler hat. Das mag vielleicht sein, was uns schwach macht. Aber die Spieler, die wir haben, bilden zusammen ein sehr gutes Team, das mit einer Stimme spricht.

Ngadeu (hintere Reihe, 3.v.r.) war bereits 2017 Mitglied des kamerunischen Nationalteams, das den Afrika-Cup gewannBild: Getty Images/AFP/I. Sanogo

Welche Teams sind für Sie die Titelfavoriten im diesjährigen Turnier?

Der Wettbewerb wurde auf 24 Teams ausgeweitet. Das gibt vielen großen afrikanischen Fußballnationen die Möglichkeit zur Teilnahme. Für mich gehören Ägypten und Senegal zu den Favoriten, mit ihrer ganzen Armada an großen Spielern. Auch die Elfenbeinküste, Marokko, Tunesien und Nigeria sind nicht zu unterschätzen. Und natürlich Kamerun.

International spricht man viel vom europäischen Fußball. Denken Sie, dass afrikanische Spieler in Europa spielen müssen, um groß herauszukommen?

Das glaube ich nicht. Es ist wahr, dass der europäische Fußball in den Medien viel größer ist. Um heute bekannt zu werden, sollte man in Europa spielen. Aber es gibt auch einige berühmte Spieler, die nur in Afrika gespielt haben. So wie Mohamed Aboutrika, der für Ägypten gespielt hat. Er hat nie für europäische Vereine gespielt und ist eine der führenden Persönlichkeiten im afrikanischen Fußball. Das schließt aber nicht aus, dass viele afrikanische Fußballer in Europa spielen wollen, um sich zu entwickeln, um sich zu zeigen und ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Das größte Problem für afrikanische Fußballspieler, die nach Europa möchten, ist, ein Visum zu bekommen. Ich bin von den Qualitäten überzeugt, die afrikanische Fußballer haben. Mit ihnen hätten die europäischen Klubs sehr viele gute junge Spieler mit viel Talent aus Afrika.

"Pfandflaschen für 25 Cent"

Als Sie nach Deutschland kamen, kamen Sie nicht dorthin, um Fußball zu spielen, sondern um zu studieren. Wie sind Ihre Erinnerungen an die Zeit hier?

Wenn ich heute an die Zeit in Deutschland zurückdenke, denke ich an den Oktober 2010. Es war fast Winter. Ich kam aus 35 Grad in Kamerun, und in Deutschland war es nur drei Grad warm. Das war nicht einfach. Ich erinnere mich an die Momente, die ich mit meinen Freunden in unserem neun Quadratmeter großen Zimmer verbracht habe. Ich erinnere mich an die Zeiten, als wir unterwegs waren, um Pfandflaschen zu sammeln und sie für 25 Cent bei Lidl einzutauschen, damit wir etwas essen konnten. Das sind Momente, die mich geformt haben.

Und ich erinnere mich an die erste deutsche Mannschaft, für die ich gespielt habe, den Kirchhörder SC, mit Trainer Adrian Alipour. Es sind all diese Momente, die mich glauben lassen, dass mit Glauben, Entschlossenheit und guter Arbeit alles möglich ist. Ich werde meine Vergangenheit in Sandhausen und in Nürnberg nicht vergessen, im Ausbildungszentrum bei der U23. Es war eine fabelhafte Erfahrung. Ich habe mir immer gesagt, was Gott tut, ist wunderbar. Alles ist gut gelaufen. Ich habe ein wunderbares Leben und danke Gott dafür.

Eine Zukunft in Deutschland ist für Ngadeu durchaus vorstellbarBild: DW/S. Fröhlich

Sie gehören zum Kader des kamerunischen Nationalteams und sind heute einer der großen Spieler beim tschechischen Spitzenklub Slavia Prag, für den Sie seit 2016 spielen. Warum haben sich vorher nicht die deutschen Topklubs bei Ihnen gemeldet?

Ich würde sagen, in Nürnberg hat mein Berufsleben wirklich begonnen. Ich habe dort zwei Saisons verbracht [von 2012 bis 2014 - Anm. d. Red.]. Am Ende dachte ich für meinen Teil, dass ich eine Chance verdient hätte, in der ersten Mannschaft des 1. FC Nürnberg zu spielen, der zu der Zeit in der zweiten Liga war. Ich bin mir sicher, dass ich dann noch mehr gewachsen wäre. Gott allein weiß, wo ich heute wäre. In Deutschland ist es nicht leicht, vor allem für Spieler, die das Trainingszentrum verlassen. Wir waren dort 22 Spieler, ich war der Älteste. Von der damaligen U23 in Nürnberg sind, glaube ich, heute nur drei professionelle Fußballspieler: Florian Ballas, der bei Dynamo Dresden spielt, Jann George bei Regensburg und ich bei Slavia Prag. Ich war mir wirklich sicher, dass alle diese Spieler Großes erreichen würden und Profis in der Bundesliga werden könnten. Ich weiß nicht, ob das Problem Nürnberg war oder die Spieler, aber eines ist sicher: Diese Spieler hatten für mich eine Zukunft im deutschen Fußball.

Wie sieht es heute aus? Dürfen die deutschen Teams auf eine zweite Chance hoffen, Sie unter Vertrag zu nemen?

Ja, natürlich, warum nicht. Es kommt auf den Verein und die Bedingungen an.

Michael Ngadeu Ngadjui ist kamerunischer Nationalspieler und Innenverteidiger bei Slavia Prag in Tschechien. Der 28-Jährige begann seine Fußballkarriere im Oktober 2010 während seines Studiums in Deutschland beim Dortmunder Amateurverein Kirchhörder SC. Anschließend spielte er für die U23-Teams des SV Sandhausen und des 1. FC Nürnberg. Seit 2016 spielt er für die Nationalmannschaft Kameruns und gewann 2017 mit den "unbezähmbaren Löwen" den Afrika-Cup. 

Das Interview führte Silja Fröhlich.

Silja Fröhlich Redakteurin, Reporterin und Moderatorin