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Politik

"Wir müssen positive Signale in die Region aussenden"

4. Oktober 2019

Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien wird sich positiv auf Westbalkan auswirken, meint Michael Roth. Von den wahlen in Kosovo erhofft er sich eine pro-europäische Mehrheit im Parlament.

Deutschland Michael Roth
Bild: DW/A. Shuka

Deutsche Welle: Der Bundestag hat erst vor kurzem grünes Licht für den Beginn der Gespräche mit Nordmazedonien und Albanien gegeben. Sie haben sich schon seit längerer Zeit dafür stark gemacht. Sind Sie jetzt erleichtert?

Michael Roth: Ich freue mich über dieses klare Votum des Deutschen Bundestages. Man muss das unseren Freundinnen und Freunden in der Europäischen Union, aber auch im Westlichen Balkan ja erklären, dass ich als Europaminister im Allgemeinen Rat nur dann zustimmen kann, wenn wir vorher das Einvernehmen mit dem Bundestag hergestellt haben. Das ist jetzt der Fall und ich hoffe, dass es uns am 15. Oktober in Brüssel gemeinsam gelingt, grünes Licht für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien, aber eben auch mit Albanien, zu geben.

Der französische Präsident hat immer noch kein "Ja" signalisiert. Was wäre die Gefahr, wenn die Länder erneut keine Beitrittsgespräche mit der EU beginnen können.

Die Europäische Union muss verlässlich bleiben und zu ihren Zusagen stehen. Wir stehen ja nicht kurz vor dem Beitritt, sondern wir wollen jetzt Beitrittsverhandlungen aufnehmen. Das Problem ist, dass viele Bürgerinnen und Bürger und Politiker des Westlichen Balkans ernüchtert sind. Auch viele Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind enttäuscht. Die sozialen und wirtschaftlichen Erfolge bleiben aus. Es mangelt gelegentlich auch noch an demokratischer Kultur. Aber es ist uns allen klar, welche Bedeutung der Westliche Balkan hat. Er ist ja nicht irgendwie der Hinterhof, wie manche immer noch zu glauben scheinen, sondern er ist der Innenhof Europas. Und es muss unser vorrangiges Ziel sein, auch im westlichen Balkan für Frieden, Versöhnung, Stabilität, Demokratie zu sorgen.

Der Deutsche Bundestag hat dennoch für Albanien neun Bedingungen für die Eröffnung des ersten Kapitels gestellt. Wie sollte die albanische Politik diese Bedingungen lesen?

Die Bedingungen an Albanien stellt letztlich nicht der Bundestag sondern die EU-Kommission. Die Konditionierungen von der Europäischen Kommission müssen nach Rücksprache mit allen Mitgliedsstaaten auf den Weg gebracht werden. Und es kann keine Sonderregelungen geben. Aber aus Sicht des Bundestages sind sowohl die vollständige Besetzung der obersten Gerichte als auch ein neues Wahlgesetz wichtig. Das unterstützen wir selbstverständlich. Und es sind ja keine neuen Bedingungen, sondern die werden sicher jetzt rasch erfüllt werden. Das wird alles gut laufen.

Schauen wir kurz nach Kosovo. Am Sonntag gibt es in Kosovo Wahlen. Was erwarten Sie von diesen Wahlen?

Ich erwarte erst einmal freie faire gleiche Wahlen, die den strengen europäischen Standards genügen. Zweitens hoffe ich, dass wir am Ende eine breite pro-europäische Mehrheit im Parlament schmieden können, die auch ihrer Verantwortung für die Menschen im Kosovo gerecht wird. Dazu ist es natürlich auch wichtig, dass der Dialog zwischen Serbien und Kosovo fortgesetzt wird. Hier liegt die Verantwortung natürlich nicht alleine nur an der kosovarischen Politik. Hier trägt natürlich auch die serbische Politik ein großes Maß an Mitverantwortung.

Michael Roth und der albanische geschäftsführender Minister für Äußeres, Gent Cakaj, bei ihrem ersten offiziellen Treffen in Berlin, am 13.03. 2019Bild: MPJ e Shqipërisë

Wird Deutschland bei dem Dialog eine besondere Rolle übernehmen, etwa indem es einen deutschen Sonderbeauftragten für den Dialog ernennt?

Das wichtigste für uns ist, dass die Europäische Union ihre Sichtbarkeit auf dem Westlichen Balkan erhöht. Es muss immer deutlich werden, es geht um einen Beitritt zur Europäischen Union. Selbstverständlich wird aber Deutschland auch seiner Verantwortung gerecht und hilft da, wo es möglich ist. Wir haben beispielsweise auch in den Verhandlungen zwischen Griechenland und Nordmazedonien zu helfen versucht. Und selbstverständlich stehen wir an der Seite derjenigen, die den europäischen Werten verpflichtet sind. Wir hoffen jetzt auch darauf, dass die neue EU-Kommission ihrer Verantwortung für den Westlichen Balkan auch entsprechend nachkommt. Das heißt, wir brauchen einen starken EU-Kommissar oder eine starke Kommissarin, der oder die für die Erweiterungsverhandlungen zuständig ist, um auch die Arbeit von Herrn Hahn fortzusetzen. Und ich erwarte mir auch eine große Präsenz des Hohen Beauftragten für Außen- und Sicherheitspolitik, weil es sich dort auch um Sicherheitsfragen und außenpolitische Fragen geht, die im Interesse der gesamten Europäischen Union sind.

Ist es nicht ein Problem, wenn gerade dieser Außenbeauftragte der EU aus einem Land kommt, das die Kosovo-Unabhängigkeit nicht anerkennt?

Wenn ein Politiker aus einem Mitgliedsland eine europäische Aufgabe und Verantwortung für die gesamte Europäische Union übernimmt, dann ist er nicht mehr ein spanischer Politiker, sondern, dann ist er ein Europäer der aus Spanien kommt, genauso wie Frau von der Leyen, die aus Deutschland stammt, nicht mehr deutsche Interessen in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt. Und da habe ich bei unserem alten Freund Josep Borrell überhaupt keine Zweifel.

Sind Grenzverschiebungen immer noch eine mögliche Lösungsoption?

Nein. Es kann keine Grenzverschiebungen geben. Diese Büchse der Pandora wollen wir nicht öffnen und ich kann nur allen raten, diese Diskussion nicht abermals zu eröffnen. Wir brauchen Versöhnung über Ethnien und Entitäten hinweg, deshalbsollten wir nicht Ethnien separieren, um den Frieden zu ermöglichen. Das ist ein gescheitertes Konzept aus dem neunzehnten und aus dem frühen 20. Jahrhundert. Es ist nicht tauglich für eine europäische Perspektive für die Staaten des Westlichen Balkans.

Kosovo ist immer noch das einzige Land auf dem Balkan, das noch keine Visa-Liberalisierung genießt. Gibt es Anzeichen dafür, dass das sich bald ändert.

Die Kommission hat ihre Hausaufgaben gemacht. Aber manche Mitgliedsstaaten sind nicht bereit zuzustimmen. Wir hier im Auswärtigen Amt kämpfen sehr dafür, dass die EU ihren Verpflichtungen nachkommt. Ich sehe aber derzeit noch keine Chance, dass wir uns im Rat einstimmig auf die Visa-Liberalisierung verständigen können. Ich kann deshalb die große Enttäuschung vor allem der jungen Menschen im Kosovo sehr gut verstehen. Der Kosovo ist das einzige Land des westlichen Balkans ohne Visa-Liberalisierung. Und das halte ich für keinen guten Zustand.

Das Gespräch führte Anila Shuka

Michael Roth ist Staatsminister für Europäische Angelegenheiten im Auswärtigen Amt