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PolitikGeorgien

Saakaschwili: "Ich spüre, dass ich in Gefahr bin"

Alexandra Induchova
26. Juli 2023

Der georgische Ex-Präsident Michail Saakaschwili berichtet im DW-Interview über seine Haft in Georgien und seinen Gesundheitszustand. Er äußert seine Sicht auf Russlands Krieg gegen die Ukraine und die Zukunft Georgiens.

Michail Saakaschwili in der Vivamed-Klinik in Tiflis während einer Gerichtsanhörung per Videoschalte im Juli 2023
Michail Saakaschwili in der Vivamed-Klinik in Tiflis während einer Gerichtsanhörung per Videoschalte im Juli 2023Bild: Irakli Gedenidze/REUTERS

Die Deutsche Welle hat mit dem in Georgien inhaftierten Michail Saakaschwili ein Interview geführt. Die zugesandten Fragen wurden schriftlich beantwortet. Der ehemalige Präsident Georgiens berichtet der DW von seinem Gesundheitszustand und der Haft in Georgien, äußert seine Haltung gegenüber dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und beurteilt die Zukunftsaussichten des Putin-Regimes in Russland. Ein persönliches Gespräch mit Nachfragen ist mit Saakaschwili derzeit nicht möglich.

Saakaschwili sitzt seit Herbst 2021 in Untersuchungshaft. Er wurde aufgrund früherer Verurteilungen festgenommen, nachdem er illegal die georgische Grenze überquert hatte und in das Land zurückgekehrt war. In seiner Heimat wurden gleich mehrere Strafverfahren gegen Saakaschwili eingeleitet, darunter eines wegen Machtmissbrauchs während seiner Amtszeit als Präsident. Seit Mai 2022 befindet sich der Politiker in der Vivamed-Klinik in Tiflis. Ihm zufolge wurde er im Gefängnis "systematisch körperlich und psychisch gefoltert". Aus dem engsten Kreis des Politikers heißt es, er sei im Gefängnis vergiftet worden.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Georgien dazu aufgerufen, Saakaschwili, der ukrainischer Staatsbürger ist, der Ukraine zur medizinischen Behandlung zu übergeben. Saakaschwili hatte vor seiner Rückkehr nach Georgien einige Jahre lang in der Ukraine gelebt. 2015 erteilte der damalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko Saakaschwili die ukrainische Staatsbürgerschaft und ernannte ihn zum Gouverneur der Oblast Odessa. Schon anderthalb Jahre später kündigte Saakaschwili seinen Rücktritt an und warf der ukrainischen Staatsführung Betrug und Korruption vor. Das hatte zur Folge, dass Poroschenko Saakaschwili 2017 die Staatsbürgerschaft wieder entzog. Anschließend wurde er aus dem Land ausgewiesen. 2019 stellte Präsident Selenskyj die ukrainische Staatbürgerschaft Saakaschwilis wieder her.

DW: Herr Saakaschwili, wie geht es Ihnen? Erhalten Sie die medizinische Versorgung, die Sie benötigen? Konnten die Ärzte Ihren Gesundheitszustand verbessern?

Michail Saakaschwili: Was meinen Gesundheitszustand betrifft, habe ich gestern zweimal das Bewusstsein verloren (Stand: 12. Juli - Anm. d. Red.). Ich fühle mich sehr schwach und das wird immer schlimmer. Ich habe Probleme wegen einer schweren neurologischen Erkrankung. Darüber hinaus leide ich an einem fast vollständigen Muskelschwund und habe viele andere Symptome.

Fühlen Sie sich sicher? Wie behandeln Sie die Mitarbeiter des Gefängnisses?

Der georgische Strafvollzugsdienst verstößt gegen das Gesetz, indem er keine Besuche von Abgeordneten und auch nicht von Dmytro Lubinez (Menschenrechtsbeauftragter des ukrainischen Parlaments - Anm. d. Red.) erlaubt. Natürlich spüre ich, dass ich in Gefahr bin. Die georgischen Geheimdienste kooperieren sehr eng mit den Russen und russische Panzer stehen 40 Kilometer von meinem Gefängnis entfernt.

Demonstration für eine EU-Mitgliedschaft Georgiens und eine Freilassung von Michail Saakaschwili in Tiflis im April 2023Bild: VANO SHLAMOV/AFP/Getty Images

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die georgischen Behörden wiederholt aufgefordert, Sie zur Behandlung in die Ukraine oder einen Drittstaat ausreisen zu lassen. Offenbar sind die Stimmen Ihrer Freunde in der EU und den USA, die Sie unterstützen, nicht stark genug. Warum ist das so?

Das Europäische Parlament hat eine sehr klare Resolution verabschiedet, auch die PACE (Parlamentarische Versammlung des Europarats - Red.). Emmanuel Macron (Präsident Frankreichs - Red.) und Maia Sandu (Präsidentin der Republik Moldau - Red.) haben ebenfalls meine Freilassung gefordert. Ich bin Präsident Wolodymyr Selenskyj, Andrij Jermak (Leiter des Büros des ukrainischen Präsidenten - Red.), Dmytro Kuleba (Außenminister der Ukraine - Red.), David Arachamia (Fraktionsvorsitzender der regierenden ukrainischen Partei "Diener des Volkes" - Red.), Ruslan Stefantschuk (Parlamentsvorsitzender - Red.) und dem Parlament insgesamt sehr dankbar. Auch Polen ist sehr aktiv. Meine Lage wurde in Washington mehr als einmal auf sehr hoher Ebene zur Sprache gebracht.

Sie haben kürzlich erklärt, dass es notwendig sei, sich auf die Befreiung der Regionen Abchasien und Innerkartlien vorzubereiten. Meinen Sie, das sollte die georgische Armee tun? Unter welchen Umständen ist dies realistisch?

Ich glaube nicht, dass Georgien Kampfhandlungen braucht. Nach der unvermeidlichen Niederlage in der Ukraine wird Russland unsere Gebiete verlassen. In Südossetien gibt es fast keine Bevölkerung mehr und Abchasien ist halb leer. Doch solange der Krieg andauert, ist Georgien weniger sicher als je zuvor.

Georgien nimmt ukrainische Flüchtlinge auf. Gleichzeitig kommen viele russische Bürger auf der Flucht vor der Mobilisierung nach Georgien. Welche Risiken birgt die hohe Anzahl russischer Staatsbürger in Georgien?

Ich freue mich sehr, dass Ukrainer in Georgien Zuflucht gefunden haben, aber die Anwesenheit von Russen ist sehr gefährlich. Da, wo Russen sind, gibt es immer Probleme.

Wenn die Ukraine und Georgien 2008 Aktionspläne zur NATO-Mitgliedschaft erhalten hätten, hätte man dann die Kriege vermeiden können, die Russland 2008 gegen Georgien und dann 2014 gegen die Ukraine begann?

Wenn wir die Aktionspläne zur NATO-Mitgliedschaft in Bukarest (NATO-Gipfel - Red.) erhalten hätten, hätte es keinen Krieg gegeben. Die Kriegsmaschinerie wurde unmittelbar nach der Verweigerung der Aktionspläne in Gang gesetzt.

Beim jüngsten NATO-Gipfel in Vilnius gab es erneut keine klare und eindeutige Einladung an die Ukraine, der NATO beizutreten. Sind Sie vom Ergebnis des Gipfels enttäuscht?

Ich halte den Gipfel von Vilnius und die Streichung des Punkts bezüglich eines Aktionsplans auch für eine Sicherheitsgarantie und für eine große Errungenschaft von Selenskyj und der ukrainischen Diplomatie.

Im Gegensatz zur Ukraine scheinen Georgiens euroatlantische Ambitionen nicht auf der Tagesordnung zu stehen. Glauben Sie immer noch, dass Georgien eines Tages Mitglied der NATO werden wird?

Georgien wird in der NATO sein, sobald wir die prorussische Regierung absetzen - und der russische Oligarch wird die Macht verlieren.

Wie wird Ihrer Meinung nach der Sieg der Ukraine über Russland aussehen?

Ein Sieg der Ukraine wird sein, wenn die Grenzen von 1991 wieder erreicht sind und es zu einem Regimewechsel in Moskau kommt. Putin wackelt derzeit sehr und jeder Erfolg der Ukraine an der Front - der Zugang zum Meer oder die Rückeroberung von Bachmut - wird sein Ende beschleunigen. Mir gefällt übrigens der undiplomatische Stil von Wolodymyr Selenskyj. Im Jahr 2008 bat mich der damalige US-Präsident George W. Bush persönlich, den damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko davon zu überzeugen, positiv auf die Entscheidung in Bukarest zu reagieren. Wir haben das getan, aber es hat nicht geholfen. Wolodymyr Selenskyj, Andrij Jermak und Dmytro Kuleba haben eine neue Schule der Diplomatie für die Welt geschaffen, und sie zeigt Wirkung. Es gibt keine wirklichen Führer mehr auf der Welt, und Selenskyj ist wirklich zum Führer der freien Welt geworden - darauf kann man nur stolz sein.

Was möchten Sie dem ukrainischen und georgischen Volk sagen?

Die Hälfte meines bewussten Lebens habe ich in der Ukraine verbracht. Ich trenne für mich nicht zwischen der Ukraine und Georgien. Georgien hat ohne die Ukraine keine Zukunft. Und wir beide (die Ukraine und Georgien - Red.) haben eine große Zukunft. Davon bin ich zutiefst überzeugt.

Das Gespräch führte Alexandra Induchova

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