Michel Friedman ausgeladen - aus Angst vor Rechtsextremen?
30. September 2025
Eine solche Demonstration hat der kleine Ort Klütz in Mecklenburg-Vorpommern wohl noch nicht erlebt: 500 Menschen sind an diesem Montagabend (29.9.) in den ostdeutschen Ort mit seinen rund 3000 Einwohnern gekommen. Medienvertreter sind da, Schriftsteller, Kulturschaffende. Die Schriftsteller-Vereinigung PEN hat den Abend kurzfristig organisiert. Aus Protest dagegen, dass eine geplante Lesung von Michel Friedman in Klütz abgesagt wurde.
Der Mann, um den sich alles dreht, ist auch da. Friedman, deutsch-französischer Publizist, Journalist, Talkmaster, früheres Mitglied der CDU, früherer Vize-Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er steht auf einer Bühne auf dem Markplatz des Ortes und sagt: "Ehrlich gesagt: Ich bin jetzt bei Ihnen und finde, wir passen alle sehr gut zueinander."
In den letzten Tagen konnte man einen anderen Eindruck gewinnen: Wollten die verantwortlichen Lokalpolitiker und Entscheidungsträger Friedman lieber nicht bei sich haben, aus Angst vor rechtsextremen Ausschreitungen? Oder ist die Affäre "Klütz und Friedman" nichts als ein großes Missverständnis?
Eine Einladung - und ein Rückzieher
Begonnen hatte alles mit einer Einladung. Friedman wurde gebeten, im Oktober 2026 in dem in Klütz ansässigen Literaturhaus aus seinem neuen Buch "Mensch! Liebeserklärung eines verzweifelten Demokraten" zu lesen. Das Literaturhaus ist nach Uwe Johnson benannt, einem Schriftsteller, der 1984 starb und sich der Opposition in der früheren DDR zugehörig fühlte. Friedman sollte über die Demokratie sprechen und sicher auch darüber, wo und vom wem sie heute bedroht wird.
Angst vor Rechtsextremen oder zu hohe Kosten?
Warum er wieder ausgeladen wurde, darüber gibt es unterschiedliche Erzählungen. Fest steht, dass der Bürgermeister von Klütz, Jürgen Mevius von der "Unabhängigen Wählergemeinschaft" (UWG), den Literaturhaus-Verantwortlichen am Telefon mitteilte, dass "städtische Gremien" lieber nicht wollten, dass Friedman nach Klütz käme. Mevius nannte auf einer Sitzung der Stadtvertretung finanzielle Gründe. Das Honorar für Friedman sei deutlich höher gewesen als die Honorare bei vergleichbaren Veranstaltungen im Literaturhaus.
Der Leiter des Literaturhauses, Oliver Hintz, stellt das anders dar. Die Kosten für die Einladung an Friedman, also auch sein Honorar, würden gar nicht von der Stadt Klütz, sondern von anderen Trägern übernommen. Ihm sei die Sorge der Stadtverantwortlichen übermittelt worden, dass es bei einem Auftritt von Friedman in Klütz zu Ausschreitungen "rechter Störer oder Hamas-Sympathisanten" hätte kommen können.
So stand einige Tage Aussage gegen Aussage. Am Ende legte Bürgermeister Mevius sein Amt nieder und räumte ein, dass die Ausladung Friedmans ein "missverständliches Signal" gesendet habe und fügte hinzu: "Umso mehr möchten wir bekräftigen, dass Toleranz, Vielfalt und Meinungsfreiheit stets klare Leitbilder unserer politischen Arbeit waren und sind."
Empörung und Schlagzeilen in ganz Deutschland
Aber da war der Schaden schon angerichtet. Die Ausladung Friedmans sorgte für Schlagzeilen im ganzen Land. Sicher auch deshalb, weil Mecklenburg-Vorpommern als eine der Hochburgen der teilweise rechtsextremen "Alternative für Deutschland" (AfD) gilt. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "infratest-dimap" von Mitte September gaben 38 Prozent der repräsentativ Befragten an, bei der Landtagswahl im kommenden Jahr die AfD wählen zu wollen. Damit wäre sie die mit Abstand stärkste Partei in dem Bundesland.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, meinte zur Ausladung des Publizisten, ein vorauseilendes Zurückweichen staatlicher Stellen vor Demokratiefeinden richte sich gegen die grundlegenden Werte der Gesellschaft. Friedman selbst kritisierte in einem Interview mit dem "Norddeutschen Rundfunk" (NDR) Bürgermeister Mevius scharf und sprach von einer "peinlichen Heuchelei".
Friedliche Stimmung bei Kundgebung in Klütz
Jetzt, hier in Klütz an diesem Montagabend, ist die Stimmung friedlich. Michel Friedman hält eine kurze Rede und diskutiert dann mit den Bürgern. Anschließend stellt er sich den Fragen der DW.
Warum ist er jetzt hier, wo er doch wenige Tage zuvor ausgeladen worden war? "Weil ich neugierig bin, weil ich mit Menschen reden will. Nicht über Klütz, sondern mit den Menschen hier. Ich bin ja ausgeladen worden, und das halte ich für unerträglich. Und mein erstes Signal ist: Dort, wo man mich auslädt, da gehe ich ganz besonders gerne und schnell hin." Der Austausch sei gut gewesen, so Friedman weiter, er habe ja auch nie von "den Klützern" gesprochen, so wie er auch nie von "den Juden" rede.
Auch die Kulturministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Bettina Martin (SPD) ist da. Sie sagt, die Ausladung Friedmans sei ein Fehler gewesen: "Das ist eine schwierige Situation auch für Klütz, und insofern ist, was gerade hier passiert - eine Debatte, bei der viele Bürgerinnen und Bürger da sind und kontrovers diskutieren - der erste Schritt, damit umzugehen."
Kontrovers ist die Stimmung durchaus. Viele Menschen in Klütz bedauern den Rücktritt des Bürgermeisters, der viele Jahre im Ort aktiv war. Ein Mann sagt der DW, er sei "enttäuscht, dass hier solche Verwerfungen" stattfänden. Ein anderer Mann sagt, dass die Ausladung ein Fehler sei, egal, wer dafür die Schuld trage. Aber eine ältere Frau sagt auch: Klütz sei halt ein "braun unterlaufenes Pflaster, das ist doch bekannt." Und natürlich sei das Antisemitismus, wenn Friedman ausgeladen werde.
Der zurückgetretene Bürgermeister Mevius trat am Montag nicht als Redner in Klütz auf. Bis der Ort wieder ganz zur Ruhe kommt, wird wohl noch Zeit vergehen.