Michelle Bachelet im Portrait
1. September 2018Sie ist gerade knapp über 20, als die Geheimpolizei von Chiles Diktator Augusto Pinochet Michelle Bachelet gemeinsam mit ihrer Mutter im Januar 1975 verhaftet. Ihr Vater Alberto Bachelet, ein Luftwaffenoffizier, war beim Militärputsch 1973 dem gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende loyal geblieben und hatte eine Mitwirkung an dem Putsch verweigert. Er wird inhaftiert und gefoltert. Die Folgen der Folter kosteten ihn das Leben.
Auch seine Frau, die Archäologin Angela Jeria, und seine Tochter Michelle werden ins berüchtigte Folterzentrum Villa Grimaldi gebracht, dort bei Verhören misshandelt. "Man hat mir eine Kapuze über den Kopf gezogen, mir gedroht und mich geschlagen. Aber der Grill ist mir erspart geblieben", berichtet Michelle Bachelet später. Mit dem "Grill" ist ein Gestell für Elektroschocks gemeint.
Wunsch, etwas für die Allgemeinheit zu tun
Diese Erfahrungen begleiten Michelle Bachelet durch ihr weiteres Leben, prägen sie und nehmen wohl auch Einfluss auf ihre spätere politische Karriere. Sie habe sich immer vom Wunsch leiten lassen, etwas für die Allgemeinheit zu tun, sagte die heute 66-Jährige einmal. Politik sei wie Medizin, aber in einem größeren Maßstab.
Ihr neues Amt als UN-Hochkommissarin für Menschenrechte bietet Michelle Bachelet nun den wohl größten Maßstab, den es gibt, um sich weltweit gegen Unterdrückung und Willkür einzusetzen. Was man ihr zuzutrauen scheint: Die UN-Vollversammlung nahm den Personalvorschlag von UN-Generalsekretär Antonio Guterres einstimmig an - abzustimmen hatten immerhin 193 Staaten. Als der Präsident der Vollversammlung, Miroslav Lajcák, das Abstimmungsergebnis offiziell bekannt gab, gab es Applaus im Saal.
Bachelet dankte den Delegierten in einem Video auf Twitter. Sie sei "tief bewegt und geehrt, diese wichtige Aufgabe" anvertraut zu bekommen, so Bachelet.
Michelle Bachelet steht für eine der ungewöhnlichsten Karrieren in Lateinamerika. Als sie und ihre Mutter schließlich von den Schergen der Militärjunta freigelassen werden, fliehen sie über Australien in die DDR. Der blutige Putsch in Chile löst insbesondere bei den sozialistischen Ländern eine Welle der Solidarität aus. Vor allem die DDR engagiert sich für die Flüchtlinge aus Chile, organisiert ihre Ausreise und nimmt mehrere Tausend von ihnen auf. Erich Honecker, dessen Schwiegersohn selbst aus Chile stammt, erklärt das Projekt zur Chefsache.
Michelle, die sich bereits in ihrer Jugend der sozialistischen Bewegung angeschlossen hatte, lebt fünf Jahre im Exil, studiert Medizin an der Berliner Humboldt-Universität und bringt ihr erstes von drei Kindern auf die Welt. Über ihre Zeit in Deutschland sagt Michelle Bachelet später, sie habe dort gelernt, sich einer fremden Gesellschaft zu öffnen und sie habe den Wert von Arbeit und Effizienz erkannt.
Gesundheits- und Verteidigungsministerin
Noch vor dem Ende der Diktatur kehrt die studierte Chirurgin und Kinderärztin 1979 in ihre Geburtsstadt Santiago de Chile zurück und tritt der Sozialistischen Partei bei. Ihren Beruf als Kinderärztin darf sie aus politischen Gründen zunächst nicht ausüben. Nach dem Ende der Diktatur in Chile 1990 startet Bachelet eine Karriere im Gesundheitsministerium, wird im Jahr 2000 schließlich zur Gesundheitsministerin ernannt.
2002 übernimmt sie das Verteidigungsministerium. Eine Frau, die Tochter eines ermordeten Generals als Führerin der Streitkräfte - eine Sensation im immer noch zutiefst von der Militärdiktatur geprägten Chile.
Bachelet zwingt dem Militär demokratische Reformen auf. Den Begriff der Versöhnung benutzt sie allerdings bis heute nicht. Sie bevorzugt das spanische Wort "reencuentro", übersetzt so viel wie Wiederbegegnung oder der Versuch eines vorsichtigen Aufeinanderzugehens.
Die erste Präsidentin Chiles
Als erste Frau wird Bachelet 2006 zur chilenischen Präsidentin gewählt - und das, obwohl sie, wie sie sagt, "alle Todsünden Chiles in sich vereint". Bachelet ist Sozialistin, hat drei Kinder von zwei unterschiedlichen Vätern und ist bekennende Atheistin. Ihre erste Präsidentschaft gilt als Wendepunkt in der chilenischen Geschichte. Sie setzt Verbesserungen im staatlichen Gesundheitswesen um, bringt Sozialprogramme für arme Familien auf den Weg, legalisiert die Scheidung und startet eine Kampagne gegen Analphabetismus.
Chiles Wirtschaft floriert in dieser Zeit. Als ihr ganz persönliches Projekt bezeichnet die Präsidentin das Menschenrechtsmuseum in Santiago: eine Dokumentations- und Erinnerungsstätte an die Verbrechen der Pinochet-Diktatur. Mit hohen Sympathiewerten scheidet Bachelet 2010 aus dem Präsidentenamt - eine zweite Amtszeit in Folge erlaubt die chilenische Verfassung nicht.
Missglückte zweite Amtszeit
Vier Jahre später, 2014, gelingt Bachelet ein weiterer Wahlsieg. Doch ihre zweite Amtszeit als Präsidentin wird überschattet von einem Korruptionsskandal in ihrer eigenen Familie, in dessen Mittelpunkt ihr Sohn steht. Der gibt zwar eine politische Beraterrolle auf, doch Bachelet bezieht öffentlich keine Stellung gegen ihn. Fast die Hälfte der Chilenen gibt zu dieser Zeit an, der Präsidentin nichts mehr zu glauben. Erfolgreiche Projekte Bachelets, wie die Reform des Abtreibungsrechts, eine weitgehende Abschaffung von Studiengebühren oder das Gesetz zur Einführung der Homo-Ehe und des Adoptionsrechts für gleichgeschlechtliche Paare erreichen kaum noch Beachtung im Volk.
Wenige Wochen vor dem Ende ihrer Präsidentschaft entschuldigt sich die Präsidentin im Namen des chilenischen Staates für das Unrecht, das dem Volk der Mapuche zugefügt wurde und stellt ein Programm vor, das die Rechte der Ureinwohner schützen soll.
UN-Menschenrechtskommissar/in - ein schwieriger Job
Die Tätigkeit bei den Vereinten Nationen ist für Michelle Bachelet kein Neuland. Zwischen ihren beiden Amtszeiten war sie Leiterin von UN Women, der neuen UN-Organisation für die Gleichberechtigung von Frauen. In ihrem Amt als UN-Menschenrechtskommissarin folgt sie auf den jordanischen Prinzen Said Raad al-Hussein. Der einst als Quotenmann aus dem Nahen Osten belächelte Al-Hussein hatte ohne Rücksicht auf mögliche Befindlichkeiten die Verschlechterung der Menschenrechtslage in vielen Ländern angeprangert.
Nachdem er die Unterstützung einflussreicher Länder wie den USA, Russland und China verloren hatte, kündigte der Prinz schließlich an, keine zweite Amtszeit mehr anzustreben. Said hatte sich unter anderem als scharfer Kritiker von US-Präsident Donald Trump profiliert. Den ungarischen Regierungschef Viktor Orban bezeichnete er als "rassistisch". Auch über die Hetzjagden auf Ausländer in Chemnitz zeigte sich Zeid schockiert
Neuer Glanz für das Hochkommissariat
Angesichts der Kritik hatten Menschenrechtsgruppen befürchtet, UN-Generalsekretär Guterres könne möglicherweise einen weniger kritischen Nachfolger benennen. Mit der Wahl von Michelle Bachelet dürfte diese Befürchtung abgewendet sein. Nach Irlands ehemaliger Staatspräsidentin Mary Robinson, die das Amt von 1997 bis 2003 innehatte, steht nun wieder eine ehemalige Staatschefin an der Spitze des UN-Kommissariats für Menschenrechte. Nicht zuletzt dürften die politischen Kontakte Bachelets aus dieser Zeit dem Amt und ihren Aufgaben dienlich sein.
Chiles Ex-Präsidentin sei für den Posten "perfekt geeignet", zeigte sich Guterres überzeugt, machte aber dennoch deutlich, dass es keine leichte Aufgabe sein wird, der sich Bachelet nun annimmt. Erst im Juni verließen die USA den UN-Menschenrechtsrat aus Protest gegen eine Verurteilung Israels. Auch fließen die Mittel aus Washington für die UN-Organisation derzeit nur dürftig.
Und um die Menschenrechte ist es derzeit vielerorts nicht gut bestellt. "Hass und Ungleichheit sind im Aufstieg begriffen", mahnte der UN-Generalsekretär. Die Zivilgesellschaft sei in der Defensive und die Pressefreiheit unter Druck. Menschenrechtsverletzungen nähmen derzeit weltweit zu. Es wartet viel Arbeit auf Michelle Bachelet.