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Migranten im Wahlkampf

Karin Jäger10. Mai 2012

4,3 Millionen Bürger haben in Nordrhein-Westfalen ausländische Wurzeln, fast jeder vierte Einwohner. Als Wähler werden sie umworben, als Kandidaten haben sie im Wahlkampf kräftig mitgemischt.

Flyer der Partei BIG zur Landtagswahl in NRW am 13.05.2012. (Foto: Karin Jäger, DW)
Migranten bei der NRW-Wahl 2012Bild: DW

Für die Mehrheit ist Moussa Acharki ein Held, wenigen Extremisten mag er vielleicht als Verräter erscheinen. Es ist Samstag, der 5.Mai 2012: Eine kleine Gruppe Vertreter der rechtsradikalen Partei ProNRW trifft an der Bonner König-Fahd-Akademie auf 800 Muslime, darunter auch radikale Salafisten. Diese fühlen sich provoziert, bewerfen Polizisten mit Steinen und Flaschen. 29 Beamte werden verletzt. Moussa Acharki versucht, seine islamischen Brüder per Megafon zu besänftigen.

Serap Güler ist vier Tage nach den Ausschreitungen an gleicher Stelle im Bonner Stadtteil Lannesdorf eingetroffen, einem früherem Diplomatenviertel. Seit die Bundesregierung nach Berlin umzog, haben sich hier viele Muslime rund um die Moschee angesiedelt. Die BIG (Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit) ist auf den meisten Wahlplakaten präsent.

Friedensbotschaft der CDU-Musliminnen

Serap Güler ist in Begleitung von Gonca Türkeli-Dehnert gekommen, die unter einer möglichen CDU-geführten Landesregierung in Düsseldorf Staatssekretärin für Integration werden soll. Die zwei jungen Frauen, auffallend gut gekleidet und geschminkt, wollen sich im Namen der deutsch-türkischen Vereinigung der CDU für die Krawalle entschuldigen.

Gonca Türkeli-Dehnert (l.) und Serap Güler in BonnBild: DW

Serap Güler ist Landtagsabgeordnete. "Ich wollte vieles werden und irgendwann habe ich nach meiner Ausbildung zur Hotelfachfrau, Kommunikationswissenschaft und Germanistik studiert." Die 32-Jährige ist ein Medien-Profi. Das Interview mit der Deutschen Welle ist reine Routine.

Fußball-Nationalmannschaft als Vorbild

Ganz anders Moussa Acharki. Er sei ziemlich aufgeregt, gesteht er zu Beginn des Gesprächs. Mögliche Antworten hat er ausformuliert und als Ausdruck vor sich liegen, doch als es um Inhalte und seine politischen Belange geht, legt er sofort alle Scheu ab. "Wir müssen die Menschen ins Boot holen", und wenn er das sagt, meint er die Migranten, "die, die sich ausgegrenzt fühlen." Und die Menschen, mit ausländischen Wurzeln brauchten unbedingt Vorbilder, die zeigen, Erfolg, Aufstieg ist machbar. Als Beispiel führt Acharki die deutsche Fußball-Nationalmannschaft an, in denen unter anderen mit Mesut Özil und Sami Khedira Nachkommen von Zuwandern spielen.

Moussa Acharki in der Bonner BIG-FraktionBild: DW

Auch Moussa Acharki hat beim Fußballspielen in Bonn die Stärke einer Mannschaft zu schätzen gelernt. Acharki war sechs Jahre alt, als er mit seiner Familie aus Marokko nach Deutschland kam: "Sehen Sie, ich lebe jetzt 30 Jahre hier in Bonn, ich bin doch auch ein Teil von Deutschland."

Sein zurzeit wichtigster Posten ist der stellvertretende Vorsitz in der Partei BIG. Die Partei will Sprachrohr derjenigen sein, die Vielfalt nach Deutschland bringen".

Auf Integration kommt es nicht an

Er habe sich von keiner der renommierten Parteien richtig vertreten gefühlt, wie die Mehrheit der Migranten, daher sei die Gründung von BIG, 2010 längst überfällig gewesen. 400 Mitglieder aus 25 Nationalitäten hat die Partei. Man sei sehr bürgernah, erklärt Acharki. Das beträfe nicht nur die Integrationspolitik, ein Wort, das er gar nicht mehr hören könne. Die Zuwanderer seien doch längst integriert, es komme viel mehr darauf an, die Potentiale der einzelnen zu erkennen, zu fördern und auszuschöpfen.

Bonn ist eine Multikulti-Stadt mit 210 Nationen. 30 Prozent der Bewohner haben einen Migrationshintergrund, aber in den Verwaltungen und noch mehr in Führungspositionen seien Einwanderer stark unterrepräsentiert. Die BIG hat erreicht, dass ein Förderplan für Migranten erarbeitet wird. Es gebe doch auch Behinderten- und Frauenförderpläne, argumentiert Acharki.

Deutschland wird bunter

Deutschland werde zwangsläufig vielfältiger, weil eben auch Zuwanderer gebraucht würden, um dem Fachkräftemangel und dem demografischen Wandel entgegenzuwirken. So sei es auch wichtig, die Muttersprache der Migranten zu erhalten oder zu erlernen, für die kulturelle Identität und weil dies die für die exportorientierte Wirtschaft Deutschlands förderlich sei, argumentiert  Acharki.

Werbung, die Mut machen sollBild: BIG

Auch wenn seine Partei die 5-Prozent-Hürde nicht geschafft hat, die zum Einzug in den Landtag Voraussetzung ist, so glaubt er doch an die langfristige Wirkung von BIG.

Beruf und Politik verbinden

Er selbst brauche keine der großen Parteien, um Karriere zu machen und außerdem habe er noch eine Stelle als Einrichtungsberater. "Ich bin sehr erfolgreich in dem Unternehmen", sagt Moussa Acharki fast beiläufig, "weil es mir Spaß macht, so wie meine ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Politik mir Spaß machen."

Serap Güler ist überzeugte CDU-Frau. "Um integrationspolitische Interessen durchzusetzen braucht man keine eigene Partei, dafür hat man doch die CDU", sagt die Wahlkampfstrategin, und fügt mit einem hörbaren Ausrufezeichen hinzu: "die CDU ist die Integrationspartei schlechthin!"

In ihrer Studentenzeit habe sie die CDU sehr kritisch beäugt, gesteht die Politikerin, die in Marl im Ruhrgebiet geboren wurde und aufwuchs, wo viele Migranten aus der Türkei in den letzten fünf Jahrzehnten ihr Zuhause gefunden haben.

Magisterarbeit als Bewerbungsschreiben

Über Armin Laschet hatte sie Gelegenheit, sich mit den Inhalten der CDU auseinander zu setzen und lernte dann auch andere Politiker der Partei kennen. Rita Süßmuth, Heiner Geißler, Ruprecht Polenz, Wolfgang Schäuble und Bundeskanzlerin Angela Merkel, das sind Persönlichkeiten, die Serap Güler imponieren. Sie alle hätten sich für die Integration der Muslime in Deutschland eingesetzt.

Ihre Magisterarbeit über "Parallelgesellschaften aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht“ schickte sie damals an Armin Laschet. Das war so etwas wie ein Bewerbungsschreiben. Der damalige Integrationsminister der CDU/FDP-Regierung im Landtag in Düsseldorf stellte die junge Frau ein. Serap Güler schrieb die Reden für den CDU-Politiker, ehe sie in die Pressestelle des Landtags wechselte. Heute ist sie als Beamtin beurlaubt und arbeitet als Landtagsabgeordnete der CDU.

Quotenfrau der CDU

Gesicht der CDU: Serap GülerBild: DW

Jung, weiblich, gebildet, attraktiv, mit Einwanderungsgeschichte: das sind Attribute, mit denen sie für ihre Partei Stimmen gewinnen soll. Auf der Landesliste zur Wahl steht Serap Güler an 14.Stelle, sehr weit oben. Natürlich ist sie sich bewusst, eine Quotenfrau zu sein, die im von türkischen Einwanderern dominierten Köln-Mülheim für die CDU wirbt.

Eins würde Serap Güler sofort ändern: den Begriff Migrationshintergrund durch Zuwanderungsgeschichte ersetzen und sich für eine stärkere Förderung der deutschen Sprache einsetzen, fordert die CDU-Kandidatin. Diesbezüglich ist Serap Güler ihrer Mutter heute noch dankbar. "Ich hatte das Glück, dass meine Mutter so klug war, mich mit drei Jahren in einem Kindergarten anzumelden. So habe ich früh Deutsch gelernt." Und das Studium nahm sie auch nur auf Betreiben ihrer Eltern auf: "Ich wurde nicht zur Ehe, aber zum Studium gezwungen."

Und ohne Studium hätte sie wohl niemals Armin Laschet kennengelernt, und nun keinen Platz und keine Stimme als Vertreterin vieler Migranten im Landtag Nordrhein-Westfalens.

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