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Migranten gegen Einheimische: Kulturkonflikte am Golf

Cathrin Schaer
15. September 2025

Neue Maßnahmen in den Golfstaaten sollen ausländische Arbeitskräfte anziehen und gleichzeitig Einheimische in den privaten Sektor locken. Doch diese Politik behagt den Bürgern der Golfstaaten wenig.

Ein saudischer Stand auf der Immobilienmesse MIPIM in Cannes, 2024: "Invest Saudi"
Werbung für Wirtschaftsstandort Golf: ein saudischer Stand auf der Immobilienmesse MIPIM in Cannes, 2024Bild: Coust Laurent/ABACA/picture alliance

Zwei Jahre ist es her, da sorgte ein Fastfood-Restaurant der Subway-Kette in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) mit einer Stellenanzeige für einen landesweiten Skandal. Die Anzeige forderte Emiratis auf, bei Subway zu arbeiten und Sandwiches zuzubereiten. Die Bürgerinnen und Bürger des Emirats empfanden das Stellenangebot als "Beleidigung", "Verhöhnung" und "Angriff auf die Einheimischen". Die nationale Staatsanwaltschaft kündigte eine Untersuchung des "umstrittenen Inhalts" an.

Die Anzeige vom Dezember 2022 stammte von einem großen Unternehmen mit Sitz in Dubai, der Kamal Osman Jamjoom Group. Sie versuchte lediglich, neue Vorschriften umzusetzen. Ziel der 2022 eingeführten Regelung ist es, den Anteil von Staatsbürgern des Emirats in Unternehmen mit 50 oder mehr Beschäftigten bis Ende 2026 auf zehn Prozent der Belegschaft zu erhöhen.

Umbruch am Arbeitsmarkt: Messe der kleinen und mittleren Unternehmen (SME) im katarischen Doha, 2024Bild: Noushad Thekkayil/NurPhoto/picture alliance

"Allerdings handelte es sich um einen schlecht bezahlten Dienstleistungsjob, der typischerweise nicht von Einheimischen ausgeübt wird. Zudem haben selbst arbeitslose Emiratis in der Regel zumindest einen Hochschulabschluss", sagt ein in den VAE forschender Wissenschaftler, der anonym bleiben möchte. "Die Empörung richtete sich aber gegen das Unternehmen, nicht gegen die Regierung. Wobei auch eine indirekte Kritik an der neuen Politik mitschwang."

Saudi-Arabien hat ähnliche Regeln, um seine Staatsbürger in Arbeit zu bringen. Diese hat das Königreich in den letzten zwei Jahren sogar noch verschärft. So etwa sollen Unternehmen mit 100 Beschäftigten nun mindestens 30 Prozent saudische Staatsbürger beschäftigen. Dem anonymen Forscher zufolge ist der Subway-Jobskandal nur ein Beispiel von vielen dafür, wie solche neuen Arbeitsmarktpläne in den Golfstaaten zu Spannungen führen.

Ein neuer Gesellschaftsvertrag am Golf?

Experten des Carnegie Endowment for International Peace wiesen in einem Kommentar darauf hin, dass diese Art der Wirtschaftspolitik in den Golfstaaten dazu führe, "bestehende Gesellschaftsverträge zu untergraben".

In der Vergangenheit wurden Arbeitsplätze, Wohnraum und andere Leistungen weitestgehend durch den Staat bereitgestellt und durch Öleinnahmen finanziert. Im Grunde lief diese Praxis auf eine Art Gesellschaftsvertrag hinaus: Der Staat sorgt für die Bürger, die im Gegenzug ein autoritäres Regierungsmodell akzeptieren. Angesichts niedrigerer Ölpreise, der weltweiten Abkehr von der Erdölförderung und einer wachsenden Zahl junger Menschen - inklusive hoher Jugendarbeitslosigkeit - fällt es den Ölförderstaaten des Nahen Ostens nun allerdings immer schwerer, diesen Vertrag aufrechtzuerhalten.

Als Reaktion darauf fördern die Regierungen der Golfstaaten zunehmend privatwirtschaftliche Unternehmen, deren Geschäftsgrundlage nicht auf dem Erdöl basiert. Zugleich kürzen sie die öffentlichen Haushalte und ermutigen junge Bürger, Unternehmer zu werden.

Junge Menschen sollen nach Vorstellung der Regierung der Golfstaaten künftig vor allem im privaten Sektor arbeitenBild: Hazem Bader/AFP

"Der Umstand, dass die Regierungen der Golfstaaten versuchen, Bürger aus dem öffentlichen Sektor in prekärere Beschäftigungsverhältnisse in der Privatwirtschaft zu drängen und zugleich die Sozialleistungen zu kürzen, sorgt für wachsendes Unbehagen", sagt Frederic Schneider, derzeit Gastforscher am Middle East Council on Global Affairs (ME Council) in Katar. 

So führte die saudische Regierung im Januar beispielsweise ein Programm namens "Goldener Handschlag" ein, das mittels Anreizen versucht, saudische Staatsbürger zu einem Wechsel aus dem öffentlichen in den privaten Sektor zu bewegen.

"All diese neuen Wirtschaftsprojekte wurden zudem von einem Diskurs begleitet, der die öffentlichen Jobs als geradezu einfache oder gar bequeme Wahl darstellt", sagt der in den VAE forschende Wissenschaftler der DW.

Ausländer werden zu Konkurrenten am Arbeitsmarkt

Gleichzeitig versuchen die Golfstaaten, attraktiver für ausländische Arbeitskräfte zu werden, die in Sektoren außerhalb der Erdölindustrie beschäftigt sind. Dazu ändern sie etwa die gesetzlichen Regeln für ausländisches Eigentum und langfristige Aufenthaltsgenehmigungen. Zudem lockern sie religiöse und soziale Beschränkungen.

Öl aus Saudi-Arabien: Profite bis zum letzten Tropfen?

06:26

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In den VAE setzte dieser Prozess Mitte der 2000er Jahre ein. Saudi-Arabien hingegen begann erst kürzlich damit. So führte das Königreich Mitte 2025 ein Visum für Fachkräfte ein und wird Ausländern ab 2026 den Besitz von Immobilien erlauben.

Doch führen diese Projekte für einen wirtschaftlichen Kulturwandel zu neuen sozialen Spannungen. Denn es liege auf der Hand, dass sie bestimmte Gruppen von Ausländern bevorzugten", sagt der in den VAE ansässige Forscher. Hinzu kommt: Weil Emiratis und Saudis in den privaten Sektor gedrängt werden oder dort einsteigen wollen, nehmen sie neue Migranten zunehmend als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt wahr.

Dies führe zu neuen sozialen und kulturellen Spannungen, so der Forscher. So seien konservative Einheimische verärgert über die neue staatliche Willkommenskultur. Dazu gehörten Debatten über das Ansinnen, das traditionell von Freitag bis Samstag reichende Wochenende durch die internationale Praxis zu ersetzen, bei der das Wochenende von Samstag bis Sonntag dauert. Auch monieren sie, dass nicht-islamische Feiertage wie Weihnachten stärker berücksichtigt werden sollen. Ebenso ist ihnen der angeblich auf Ausländer zurückgehende Anstieg von Prostitution und Alkoholkonsum ein Dorn im Auge.

"In gewisser Weise entstand der in den 2000er Jahren einsetzende Wandel in den VAE dadurch, dass neue Praktiken und Lebensstile als notwendiges Übel dargestellt wurden", so der Soziologe. So wurde der - in islamischen Ländern traditionell verbotene - Verkauf bestimmter alkoholischer Getränke erlaubt, um in den VAE lebenden Ausländer entgegenzukommen.

Freitagsgebet in Dubai, 2022: Die VAE haben ihr Wochenende 2022 auf die Zeit von Samstag bis Sonntag verlegt. Bild: Karim Sahib/AFP

"In Saudi-Arabien, wo dieser Wandel gerade erst beginnt, werden diese verbotenen Dinge nun als unverzichtbar dargestellt", so der Forscher. "Auf diese Weise wollen die Autoritäten Saudi-Arabien bekannt machen und Riad in eine für ausländische Touristen und Investoren gleichermaßen attraktive Weltstadt verwandeln."

Wachsende Enttäuschung über den Westen

In Gesprächen mit Staatsbürgern der Golfstaaten bemerkt der in Katar forschende Schneider zudem eine wachsende Enttäuschung gegenüber dem Westen im Allgemeinen. Diese gründe auf zwei Faktoren: zum einen auf einer von ihnen diagnostizierten Heuchelei und Komplizenschaft hinsichtlich des Gaza-Konflikts. Und zum anderen auf einer schwindenden Zuverlässigkeit ehemaliger Verbündeter wie etwa der USA.

"Viele Einheimische haben den Eindruck, ausländische Unternehmen nähmen lokalen Unternehmen Geschäfte weg", sagt Schneider. "Ministerien und Regierungsbehörden kritisieren etwa die hohen Summen, die Saudi-Arabien mit Blick auf die geplante Zukunftsstadt Neom und andere Transformationsprojekte an westliche Beratungsunternehmen gezahlt hat. Auch junge, auf den Markt drängende einheimische Consulting-Firmen äußern in dieser Hinsicht Kritik."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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