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Politik

Migranten gegen die Mafia

Ylenia Gostoli ch
13. Juni 2018

Elf Geschäftsinhaber im sizilianischen Palermo haben dafür gesorgt, dass ein Mafia-Bandenführer ins Gefängnis kommt. Alle elf sind Migranten. Ylenia Gostoli berichtet aus Palermo.

Palermo Migranten gegen die Mafia
Bild: DW/Y. Gostoli

Es gab eine Zeit, da musste Ruben seine Ladentür sogar während der Öffnungszeiten ständig verschlossen halten. Ruben stammt aus Bangladesch. 2002 eröffnete er in der Via Maqueda, einer Durchgangsstraße in der Altstadt von Palermo, seinen Laden für Auslands-Geldüberweisungen. In der Straße mit ihren bröckelnden Fassaden und alten Palästen kann man in den Geschäften alles mögliche kaufen, von Reiseandenken über indische Saris bis zu nordafrikanischen Gewürzen. Es war hier, dass irgendwann elf Ladenbesitzer, zehn aus Bangladesch und einer aus Tunesien, die Nase voll hatten. Sie wollten das System aus Straßenkriminalität und Schutzgelderpressung der Mafia nicht länger schweigend hinnehmen.

Mit Unterstützung der ortsansässigen Anti-Mafia-Gruppe Addio Pizzo (Tschüss, Erpressung) meldeten die Ladenbesitzer die Verantwortlichen der Polizei. Das führte im Mai 2016 zur Verhaftung von neun Personen, die nun unter anderem wegen Erpressung, Raub, Brandstiftung und Körperverletzung vor Gericht stehen.

Schutzgeld war bis vor kurzem an der TagesordnungBild: DW/Y. Gostoli

Seit den Festnahmen, sagt Ruben, müssten seine Kunden nicht mehr klingeln, um in den Laden gelassen zu werden. "Früher gab es in dieser Straße viele bewaffnete Raubüberfälle", erzählt er und erinnert an die Zeit, als Emanuele Rubino, auch der "Wolf von Ballaro" genannt, das gleichnamige Viertel terrorisierte. "Sie versuchten, auf jede erdenkliche Weise an Geld zu kommen", sagt Ruben der Deutschen Welle. "Sie forderten Geld. Manchmal musste ich zahlen, nur um den Laden geöffnet zu halten." Die Erpresser verlangten normalerweise 40 bis 50 Euro Schutzgeld pro Woche.

2015 verschlimmerte sich die Lage für Ruben. "Nachdem sie einmal versuchten, mich auszurauben, hielt ich die Tür verschlossen. Viele Male haben sie versucht, in den Laden einzudringen. Sie waren immer da, eine Gruppe von acht bis zehn Leuten, Tag und Nacht." Heute steht die Tür weit offen, Kunden kommen und gehen.

Der Wendepunkt kam im April 2016, als Emanuele Rubino dem jungen Gambier Yusupha Susso am hellichten Tag nach einer Auseinandersetzung in den Kopf schoss. Susso überlebte wie durch ein Wunder. Doch der Vorfall führte zu einem Aufschrei und schließlich zu den Festnahmen der Mafiosi. Rubino wurde wegen der Schüsse zu einer zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt. Fünf seiner Komplizen wurden vom Vorwurf der Schutzgelderpressung freigesprochen, einer steht unter Hausarrest. Der Prozess soll demnächst weitergehen.

Viele der kleinen Läden werden von Migranten aus Bangladesch oder Tunesien betriebenBild: DW/R. Mudge

Multikulti und die Mafia

"Es ist das erste Mal, dass so viele Ladenbesitzer mit Migrationshintergrund zusammen jemanden verklagen", sagt Daniele Marannano von Addio Pizzo. "Wir haben immer dazu aufgerufen, gemeinsam Vorfälle zu melden, denn mehr Kläger bedeuten weniger Risiken." Das Ballaro-Viertel mit seinen engen Straßen und vielen kleinen Läden war lange eine Hochburg der Cosa Nostra, der sizilianischen Mafia. Doch die Dinge haben sich geändert.

Das alte System, dass ein Mafiaboss seinen Untergebenen bestimmte Stadtviertel zur Kontrolle zuweisen konnte, gebe es nicht mehr, meint Leoluca Orlando, der Bürgermeister von Palermo. "Nach den Rückschlägen, die die Mafia in den vergangenen Jahren einstecken musste, sind die Strukturen eher horizontal geworden. Das schließt nicht aus, dass es Verbindungen zur Führungsspitze gibt, aber das alte System ist nun geschwächt", sagt Orlando im Gespräch mit der DW.

Restaurantbesitzer atmen auf, weil sich die Lage entspannt hatBild: DW/Y. Gostoli

In einem Bericht des Forschungszentrums Transcrime über grenzüberschreitende Kriminalität von 2013 wird geschätzt, dass die sizilianische Mafia durch ihre illegalen Aktivitäten etwa halb so viel einnimmt wie die Camorra, die neapolitanische Mafia. Neue, mächtige Organisationen wie die nigerianische Schwarze Axt sind in den letzten Jahren auf den Plan getreten. Im vergangenen Monat wurden 14 Mitglieder der Schwarzen Axt unter anderem wegen Verbindungen zur Mafia verurteilt. Es war das erste Mal, dass ein italienisches Gericht ein solches Delikt einer ausländischen Organisation zuschrieb.

Kultureller Wandel

"Früher hatte ich so wenig Bargeld wie möglich in der Kasse. Heute brauche ich keine Angst mehr zu haben", sagt Faisal, der seinen richtigen Namen nicht nennen möchte, und zieht ein Bündel Geldscheine hervor. Er betreibt einen Supermarkt in der Via Maqueda und ist einer der elf Kläger gegen die Rubino-Bande.

Zwar sind viele der betroffenen Ladenbesitzer in der Via Maqueda vor Jahren aus dem Ausland zugezogen, aber unter den Opfern der Mafia waren auch Alteingesessene. Doch keiner von ihnen beteiligte sich an der gemeinsamen Klage. Viele von ihnen zahlten bis heute Schutzgeld, sagt Marannano von Addio Pizzo. Die Organisation versucht seit ihrer Gründung 2004 vor allem, dass Leute das Tabu brechen und über die Machenschaften der Mafia reden. "Heute ist es leichter zu reden", sagt Marannano, "doch gemessen am Umfang des Problems gibt es immer noch zu wenige, die das tun."

Daniele Marannano von Addio Pizzo: Das Tabu brechen und redenBild: DW/Y. Gostoli

Addio Pizzo hilft nicht nur Geschäftsleuten, die Opfer von Schutzgelderpressungen werden und sich an die Polizei wenden wollen. Die Organisation hat auch ein Netzwerk von rund 1000 Geschäften gegründet, die sich den Erpressern entgegenstellen, indem sie einen Aufkleber mit dem Addio-Pizzo-Zeichen gut sichtbar am Eingang zeigen. Kunden können damit durch die Wahl des Geschäfts den Widerstand gegen die Mafia unterstützen. "Die Polizeiarbeit mag wichtig sein", sagt Marannano, "doch solange sich das gesamte Denken nicht verändert, dürfte das Phänomen immer wieder auftauchen. Solange es einen Geschäftsinhaber gibt, der bereit ist zu zahlen, wird es auch jemanden geben, der die Hand aufhält."

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