Migranten sind in Deutschland unersetzlich
12. Januar 2013 Wahrscheinlich wäre es eine sportliche Blamage geworden. Gerade mal sechs deutsche Spieler hätten im Halbfinale der Fußball-EM gegen Italien auf dem Platz gestanden, wenn es die Spieler mit Migrationshintergrund nicht gegeben hätte: Sami Khedira (Tunesien), Mesut Özil (Türkei), Jerome Boateng (Ghana), Lukas Podolski (Polen) und Mario Gomez (Spanien) sind alle im Ausland geboren oder in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern. Dank ihres deutschen Passes sind sie für die Nationalmannschaft spielberechtigt. Die Bedeutung der Migranten für die deutsche Gesellschaft ist nicht hoch genug einzuschätzen.
15,7 Millionen Migranten in Deutschland
7,1 Millionen Menschen leben ohne deutschen Pass in Deutschland. Dazu kommen 8,6 Millionen Deutsche mit Migrationshintergrund, wie die Bundesagentur für Arbeit in ihrer Arbeitsmarktanalyse für Juni 2012 angibt. Das macht zusammen 15,7 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, oder anders ausgedrückt: 19 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Der Journalist Pitt von Bebenburg und sein Kollege Matthias Thieme haben sich intensiv mit der Bedeutung der Migranten für Deutschland beschäftigt. In ihrem Buch "Deutschland ohne Ausländer" zeichnen sie ein Szenario: Was wäre, wenn allein die Migranten ohne deutschen Pass – also rund sieben Millionen – Deutschland von einem Tag auf den anderen verlassen müssten? "Es gäbe keinen Lebensbereich, der nicht betroffen wäre", sagt von Bebenburg. "Am dramatischsten würde es sich in den Ballungsgebieten in Westdeutschland auswirken". Zum Beispiel in der hessischen Metropole Frankfurt am Main, die ein Viertel ihrer Einwohner verlieren würde.
3, 4 Millionen Ausländer sind in sämtlichen Arbeits- und Wirtschaftsbereichen tätig. "Die Gastronomie hat mit 20 Prozent den höchsten Ausländeranteil", erklärt von Bebenburg. Würden die Ausländer das Land verlassen, müssten viele Deutsche Verzicht üben, denn: der Döner hat schon vor Jahren die Currywurst als beliebtesten Imbiss abgelöst. 122.000 Tonnen Dönerfleisch werden derzeit jährlich in Deutschland verspeist, wie der Berliner "Tagesspiegel" kürzlich berichtete.
Interkultureller Beitrag der Migranten
Doch die Bedeutung der Migranten für Deutschland geht weit über Arbeitsmarktzahlen und Döner Kebab hinaus. Ayşe Demir, stellvertretende Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde Deutschland, betont: "Die Migranten leisten hier auch aufgrund ihrer interkulturellen Kompetenzen einen sehr wertvollen Beitrag." Davon, dass dank der Migranten "Multi-Kulti" auch für immer mehr Deutsche zur Normalität zu werden scheint, zeugen unter anderem 1,8 Millionen deutsch-ausländische Eheschließungen, die das Statistische Bundesamt allein im Jahr 2010 registrierte. Die Zahl der interkulturellen Ehen steigt auch weiterhin.
Türken stellen mit 2,9 Millionen die mit Abstand größte Gruppe von Migranten in Deutschland. Viele von ihnen gehören zu Familien sogenannter "Gastarbeiter", die im Zuge des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens von 1961 in die Bundesrepublik kamen. Ähnliche Abkommen hatte es in der Nachkriegszeit bereits mit Italien und Griechenland gegeben. Das sogenannte "Wirtschaftswunder", also der Aufschwung der Bundesrepublik nach dem Krieg, wäre ohne die Hilfe der Gastarbeiter nicht möglich gewesen – davon ist Ayşe Demir überzeugt: "Die Migranten waren im produzierenden Gewerbe tätig und haben viel zum Aufschwung der Wirtschaft beigetragen."
Im 21. Jahrhundert ziehen besonders viele hochqualifizierte Ausländer nach Deutschland: Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft belegt beispielsweise, dass 2009 mehr als 20 Prozent der Einwanderer hochqualifizierte Fach- und Führungskräfte waren. Wegen der Euro-Krise entscheiden sich immer mehr Ärzte, Ingenieure und IT-Spezialisten aus Spanien, Portugal oder Griechenland für einen Job in Deutschland.
Ablehnung spürbar und messbar
Die Geschichte der Migration nach Deutschland – eine einzige große Erfolgsgeschichte also? Nicht alle denken so. Eine Studie der Universität Bielefeld ergab, dass 47 Prozent aller Deutschen den Migranten gegenüber kritisch eingestellt sind.
Mit ihrem Buch "Deutschland ohne Ausländer" wollten die Autoren Bebenburg und Thieme Vorurteile mit Fakten bekämpfen. "Wir sind derzeit an einem Übergang, an dem es noch Spannungen und Konflikte gibt, aber ich glaube, dass es bald selbstverständlich sein wird, einen Migrationshintergrund zu haben", meint von Bebenburg. Denn eine Willkommenskultur gebe es bereits in Deutschland. Eine, wie sie in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft schon heute normal ist – und die dem deutschen Multikulti-Team hoffentlich schon bald den nächsten internationalen Titel bringen wird.