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Spitzenpolitiker auf der Suche nach Wählern

Matthias von Hellfeld9. Mai 2012

In Nordrhein-Westfalen touren derzeit Spitzenpolitiker durch Moscheen oder über Märkte - auf der Suche nach Migranten. Zwei Millionen von ihnen sind wahlberechtigt, ihre Stimmen könnten den Ausschlag geben.

Migrantin bei der Wahl (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Im bevölkerungsreichsten Bundesland wird am Sonntag (13.05 2012) ein neuer Landtag gewählt. Die bisherige rot-grüne Minderheitsregierung unter Leitung der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat für ihren Haushaltsentwurf nicht genügend Stimmen bekommen, so dass vorgezogene Neuwahlen notwendig geworden sind.

Wenn am Sonntagabend die Wahllokale schließen, könnten die Stimmen der Wählerinnen und Wähler mit Migrationshintergrund den Ausschlag für das Ergebnis geben. 4,1 Millionen  Einwohner Nordrhein-Westfalens stammen aus Familien mit Zuwanderergeschichte. Etwa die Hälfte von ihnen kann zur Wahl gehen. Sie machen rund 15 Prozent der Wahlbevölkerung aus.

Konkurrenten: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, Herausforderer Norbert Röttgen von der CDUBild: picture-alliance/dpa

Rot-grün vorne

Bei den türkeistämmigen Migranten liegt in der so genannten Sonntagsfrage die SPD klar vorne. In einer Studie des Duisburger Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung kam Martina Sauer 2010 zu dem Ergebnis, dass in Nordrhein-Westfalen 37 Prozent von ihnen SPD, 20 Prozent Grüne, aber nur 4 Prozent die CDU und weniger als ein Prozent die FDP wählen würden. Diese klaren Parteipräferenzen sind für Tayfun Keltek, dem Vorsitzenden des nordrhein-westfälischen Integrationrates, logisch: "Diese beiden Parteien haben viele Forderungen der türkischstämmigen Bevölkerung in ihre Parteiprogramme geschrieben. Sie setzen sich also für die Belange der Türken ein."

Keltek macht das daran fest, dass die Sozialdemokraten und Bündnis90/Die Grünen sowohl die doppelte Staatsbürgerschaft als auch ein kommunales Wahlrecht für Türken fordern. "Für Türken, die schon 50 Jahre hier leben, ist das bisher nicht möglich", sagt Keltek, der für die SPD politisch aktiv ist. SPD und Grüne punkten auch auf einem anderen Politikfeld bei den türkischen Migranten. Denn beide Parteien stehen einem türkischen EU-Beitritt wohlwollender gegenüber als CDU oder FDP, die - so Keltek - "einen Beitritt der Türkei bekämpfen".

Tayfun Keltek: "SPD setzt sich für Migranten ein"Bild: T. Keltek

Unterschiedliche Präferenzen

Seit rund zehn Jahren werden die Parteipräferenzen von türkischen Migranten erforscht. In Nordrhein-Westfalen zeigen sie einen stabilen Trend für das rot-grüne Lager. Die Zustimmung für die SPD lag zwischen knapp 40 und 50 Prozent. Die Werte für die Grünen hingegen sind starken Schwankungen ausgesetzt. Zwischen einem und rund 20 Prozent liegen die Werte für diese Partei. Leicht, aber stetig zulegen, kann die Linke. Sie rangiert derzeit bei etwa acht Prozent.

Ganz anders die Zahlen bei Aussiedlern. Sie sind Angehörige von deutschen Minderheiten, deren Familien teilweise seit Generationen in Ostmitteleuropa, Osteuropa, Südosteuropa und teilweise in Asien gelebt haben. Mit ihrer Einreise erhalten sie alle Bürgerrechte und sind wahlberechtigt. Nach einer Untersuchung aus dem Jahr 2007 votieren sie sehr viel stärker für das konservativ-bürgerliche Lager.

Aussiedler bei ihrer Ankunft - die meisten kommen aus RusslandBild: picture alliance/dpa

Während viele Aussiedler ihre neue Heimat häufig als das Ziel ihrer oft jahrelangen Bemühungen sehen, fühlen sich viele Türkeistämmige in Deutschland nicht als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft. Für Tayfun Keltek ist hier der größte Nachholbedarf für die deutsche Politik. Vielleicht, sagt er, ist das der Grund, warum etwa ein Fünftel der Wahlberechtigten aus dieser Gruppe nicht zur Wahl geht. Außerdem seien die türkischen Migranten bei den Landtagskandidaten nicht ausreichend berücksichtigt worden: "Viele Türkischstämmige gehen nicht wählen, weil sie mit den Kandidaten nichts anfangen können."

Einschränkungen

Die von Martina Sauer vorgelegten Zahlen sollen die Parteien aber nicht in Sicherheit wiegen oder in vollkommene Resignation stürzen. Parteipräferenzen geben Stimmungen wieder, die nicht unbedingt identisch sein müssen mit tatsächlichen Wahlentscheidungen. Je weiter eine tatsächliche Wahlentscheidung entfernt ist, desto unverbindlicher sind auch die Aussagen über die Parteipräferenzen. Die letzte Erhebung der Parteipräferenz hat unmittelbar nach der Landtagswahl im Jahr 2010 stattgefunden. Damals konnte niemand wissen, dass rund zwei Jahre später eine Neuwahl notwendig werden würde. Insofern ist die tatsächliche Stimmabgabe der wahlberechtigten Migranten in Nordrhein-Westfalen also völlig offen.

Alles offen: Parteipräferenz heißt nicht, die Partei auch zu wählenBild: DW
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