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Politik

Migration: "Die EU muss ihren Ansatz überdenken"

Daniel Pelz
1. Februar 2019

Mehr Kontrollen, mehr Abschiebungen: Europäische Länder wollen so die Zuwanderung begrenzen. Funktioniert nicht, sagt der ghanaische Migrationsexperte Stephen Adaawen im DW-Interview - und schlägt Alternativen vor.

Symbolbild | Flüchtlinge im Mittelmeer
Bild: Getty Images/NurPhoto/C. Marquardt

DW: Die Europäische Union setzt auf eine Abschreckungsstrategie, um die Migration aus Afrika einzudämmen. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit afrikanischen Regierungen beim Grenzschutz, mehr abgelehnte Asylbewerber sollen abgeschoben werden. Glauben Sie, dass diese Strategie funktionieren wird?

Stephen Adaawen: Ich denke, der Ansatz der EU sollte überdacht werden. Die EU scheint Aspekte wie Grenzsicherung, die Unterbindung von Migration und die Rückführung überzubetonen.  Aber Migration ist Teil der menschlichen Natur. Menschen verlassen ihre Herkunftsländer aus den verschiedensten Gründen - aufgrund von Krisen und Konflikten oder der wirtschaftlichen Lage. Ich sehe nicht, dass der starke Fokus auf Migrationskontrolle erfolgreich sein wird. Wenn man sich verschiedene Entwicklungen ansieht - das Bevölkerungswachstum, die wirtschaftliche Lage, den Klimawandel oder bewaffnete Konflikte - dann sehe ich nicht, dass Migration reduziert werden kann, wenn man die Gründe nicht angeht. Es wäre besser, Migration gut zu organisieren, statt sie einfach begrenzen zu wollen. Wenn Migration gut organisiert ist, kann sie zur Entwicklung beitragen.

Wie sehen das die afrikanischen Regierungen? Sie bekommen viel Druck aus Europa, aber wollen sie das Migrationsthema eigentlich angehen oder sind sie mit der aktuellen Situation zufrieden?

Die afrikanischen Regierungen sind damit sicher nicht zufrieden. Keine Regierung will, dass ihre Bürger im Mittelmeer ertrinken oder in der Sahara sterben. Die Regierungen profitieren auch von den Rücküberweisungen ihrer Bürger, die im Ausland leben. Nicht nur von Geldtransfers, sondern auch von sozialen Transfers, weil manche  Bürger mit neuen Kenntnissen und Kompetenzen heimkehren. Warum sollte daher eine afrikanische Regierung froh sein, wenn ein europäisches Land ihre Staatsbürger abschiebt?

Stephan Adaawen, Migrationsexperte aus GhanaBild: DW/D. Pelz

Auch die Agenda 2063 (ein Programm der Afrikanischen Union zur Entwicklung des Kontinents, Anm. d. Red.) strebt ein integriertes Afrika an, und die Bevölkerungsmobilität ist dabei ein wichtiger Aspekt. Gerade die Arbeitsmobilität ist wichtig. Es soll auch einen gemeinsamen Pass geben, der die Mobilität auf dem Kontinent verbessern soll. Initiativen, die die freie Bewegung von Menschen einschränken, sind daher kontraproduktiv. Im Fokus sollte vielmehr stehen, eine sichere und geordnete Mobilität zu fördern, wie es der neue UN-Migrationspakt anstrebt.

Wie könnte das praktisch aussehen?

Nötig sind flexible Migrationsregime. Damit meine ich zum Beispiel, dass man jungen Menschen ermöglicht, zum Studium oder für eine Berufsausbildung nach Europa zu kommen. Oder Partnerschaften zur Arbeitsmobilität, zum Beispiel für Fachkräfte im Gesundheitswesen. Etwa für Krankenschwestern: Ghana hat viele Krankenschwestern, die gar nicht alle (im Land) Arbeit finden können. Deutschland hat bereits entsprechende Programme, die man auf Ghana ausweiten könnte.

Zur Vorbedingung könnte man Menschen, die in Deutschland arbeiten möchten, erst einmal Sprachkurse machen. Dann könnten sie eine Verpflichtung unterschreiben, um in Deutschland zu lernen, zu arbeiten und der Wirtschaft zu helfen. Deutschland werden in der Zukunft 150.000 Krankenpfleger fehlen. Zugleich könnten diese Menschen Geld zurück in die Heimat schicken und nach einigen Jahren mit neuen Kompetenzen und Erfahrungen nach Ghana zurückkehren.

Manche Experten sagen: Wenn Menschen nach Deutschland kommen und hier gute Jobs finden, dann bleiben sie und gehen nicht mehr zurück. Ein gefährlicher "Brain Drain" wäre die Folge. Was denken Sie?

Ich glaube nicht, dass das der Fall sein wird. Man könnte bindende Verträge einführen, die klar festlegen, dass Menschen für drei bis vier Jahre nach Deutschland kommen und dort arbeiten können, aber dann nach Hause zurückkehren müssen, damit das Programm auch wirklich nachhaltig ist. Es soll eine Win-Win-Situation sein. Dann wäre ein "Brain Drain" auch kein Thema. Ein solches Programm muss durch verbindliche Verträge gut organisiert werden. Außerdem würden die Rücküberweisungen auch ihren Familien helfen, die im Heimatland geblieben sind.

Glauben Sie, dass die Regierungen in Europa schon in diese Richtung denken?

Deutschland und andere Länder setzen auf verstärkte KontrollenBild: DW/M. Hussein

Es gibt eine Bewegung in diese Richtung. Die deutsche Regierung hat ein Einwanderungsgesetz beschlossen, das die Integration von Fachkräften aus anderen Ländern ermöglichen soll. Dabei gab es in Deutschland lange die Meinung, man sei gar kein Einwanderungsland. Aber Deutschland erkennt, dass es Menschen hierher holen muss, um weiter eine starke Wirtschaftsmacht zu bleiben und  die Sozialsysteme stabil zu halten, weil die Bevölkerung altert. Man kann die Wirtschaft nur stützen, wenn man Menschen hierher bringt, die nicht vom Sozialsystem abhängig sind, sondern die durch Arbeit dieses System stützen. 

Wie Deutschland begreifen auch andere europäische Länder das allmählich. Entscheidend ist, wie man diese Botschaft kommuniziert, weil es Menschen gibt, die Angst haben. Sie glauben, dass Ausländer in ihr Land einfallen und ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen. Das ist aber nicht der Fall. Die Medien und auch Wissenschaftler müssen ganz klar sagen: "Dies sind die Vorteile und dies sind die Risiken von Migration, aber wenn man sie gut organisiert, dann hat man eine Win-Win-Situation".

Wer muss denn jetzt seine Hausaufgaben machen, damit legale und sichere Migration Realität wird? Ist das eine Aufgabe für die Entwicklungszusammenarbeit oder für afrikanische Regierungen?

Es ist nicht allein die Aufgabe der Regierungen in den Heimatländern und auch nicht allein die Aufgabe der europäischen Länder. Beide Seiten müssen zusammenarbeiten. Ein Aspekt ist die Entwicklungszusammenarbeit: Die GIZ leistet in diesen Bereichen schon eine Menge Arbeit. Die Europäische Union und Deutschland sollten durch ihre Entwicklungsorganisationen Initiativen zur Ausbildung junger Afrikaner starten. Die meisten afrikanischen Länder fokussieren sich auf die akademische Ausbildung und kümmern sich wenig bis gar nicht um Berufsbildung. Hier muss umgedacht werden und durch die Entwicklungszusammenarbeit könnte man Wege finden, um die Systeme zur Berufsbildung wiederzubeleben und auch unternehmerische Kenntnisse zu vermitteln. Mit Unterstützung und den nötigen Mitteln könnten Menschen lernen, sich selbst zu ernähren, statt sich auf die gefährliche Flucht zu begeben. Und Deutschland würde auch profitieren, weil der Arbeitsmarkt gut ausgebildete Migranten braucht.

Der ghanaische Wissenschaftler Stephen Adaawen hat an der Universität Bonn in Geografie promoviert. Zurzeit arbeitet er als unabhängiger Berater für die Themen Migration und Entwicklungszusammenarbeit für verschiedene Forschungseinrichtungen und Organisationen in Deutschland und Afrika.

Das  Interview führte Daniel Pelz.