1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Migration: Kehrtwende in Lateinamerika

Gabriel González Zorrilla | Ines Eisele
12. Juli 2025

Der harte Anti-Einwanderungskurs von US-Präsident Donald Trump hat Auswirkungen auch in Süd- und Mittelamerkia: Tausende Migranten brechen ihre Flucht in Richtung USA ab und kehren in ihre Herkunftsländer zurück.

Matschbespritze Beine von vier Migranten am Rande eines schlammigen Abhangs
Die Reise durch Mittelamerika ist voller Gefahren: Migranten 2024 im panamaischen DschungelBild: Matias Delacroix/AP Photo/picture alliance

Ein beispielloser Wandel zeichnet sich ab: Die Zahlen irregulärer Grenzübertritte zwischen Mexiko und den USA sind im Juni im Vergleich zum Vorjahr um 92 Prozent zurückgegangen. Nur 6070 Personen wurden nach US-Angaben an der Südwestgrenze festgenommen - der niedrigste Wert seit 25 Jahren.

Im Darién Gap, einem etwa 100 km breiten, größtenteils von Regenwald bedeckten Landstreifen in der Grenzregion zwischen Panama und Kolumbien, wurden im April 99,7 Prozent weniger Grenzübertritte im Vergleich zum Vorjahresmonat verzeichnet, so Panamas Präsident José Raúl Mul. Der Darién Gap ist eigentlich eine wichtige - und brandgefährliche -  Route für Migranten auf dem Weg nach Norden. Nun haben Panamas Behörden dort sogar das größte Aufnahmezentrum für Migrantinnen und Migranten geschlossen.

Auch Honduras erlebt einen drastischen Rückgang der Migrationsbewegungen nach Norden. Laut einem Bericht der Internationalen Organisation für Migration (IOM) machten sich zwischen Januar und März 2025 nur 14.270 Menschen auf den Weg Richtung Norden, verglichen mit 133.518 im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Abschottungspolitik der USA kehrt Migrationsströme um

Dieser Rückgang markiert ein neues Kapitel in der Migrationsgeschichte der Region. Bedingt wird er durch die restriktive und umstrittene Migrationspolitik der USA unter Präsident Donald Trump: Er setzt auf den Ausbau der Grenzmauer an der Südgrenze zu Mexiko, rief den nationalen Notstand aus und schickte Truppen zur Grenzsicherung. Zudem verschärfte er die Asylregeln und leitete Massenabschiebungen ein, die teils sogar Personen mit dauerhaftem Aufenthaltsstatus oder US-Staatsbürgerschaft betreffen können.

Hunderte Festnahmen irregulärer Einwanderer in den USA

02:49

This browser does not support the video element.

Diejenigen etwa, die bereits in den USA leben und dort keine Aufenthaltsgenehmigung haben, werden von den USA im Rahmen sogenannter "Selbstabschiebungsprogramme" ermutigt, freiwillig in ihre Heimatländer zurückzukehren. Melden sich die Migranten dafür, so zahlen die USA ihnen 1000 Dollar und übernehmen die Reisekosten.

"Viele sitzen fest"

Maureen Meyer, Leiterin des Programms für Lateinamerikafragen bei der Menschenrechtsorganisation WOLA in Washington, beschreibt im DW-Interview die Stimmung unter Migrantinnen und Migranten: "Es herrscht ein Klima der Angst." Viele säßen nun in Mexiko fest, ohne Perspektive, ihre Reise fortzusetzen oder zurückzukehren.

Denn oft haben diejenigen, die vor staatlicher Repression, Armut und Gewalt in ihren Heimatländern geflohen sind, eine kräftezehrende und lebensgefährliche Reise hinter sich, die sie nicht erneut antreten wollen - und die finanziellen Ressourcen sind aufgebraucht. Während ein Teil der Migranten also in Mexiko ausharrt, treten andere trotz aller Widrigkeiten den Rückweg an.

Amy Pope, Direktorin der IOM, warnt im Gespräch mit der DW vor den sozialen und wirtschaftlichen Folgen der "Offensive der USA gegen irreguläre Migration" in Lateinamerika.

Erneut Menschenhandel und sexueller Gewalt ausgesetzt

In Kolumbien beispielsweise ist das  Anwachsen der umgekehrten  Migrationsbewegung von Norden nach Süden bereits spürbar, nach offiziellen Angaben sind seit Jahresbeginn circa 9000 Migrantinnen und Migranten wieder zurückgekehrt.

Doch es dorthin zu schaffen, ist nicht einfach: Wie schon auf dem Hinweg stellt auch auf dem Rückweg der Darién Gap ein schwer überwindbares Hindernis dar. Die Alternative - mit einem Boot über die Karibik weiterzureisen - ist ebenfalls risikoreich und mit hohen Kosten verbunden. Nachdem ihnen die Mittel ausgegangen sind, warten Dutzende Migranten in Miramar, einem kleinen Küstendorf an der panamaischen Karibikküste, darauf, nach Kolumbien übersetzen zu können. Die meisten von ihnen sind Venezolaner.

Nach Angaben der panamaischen Behörden sind seit November 2024 mehr als 12.700 Migranten - davon 94 Prozent Venezolaner - von Norden nach Süden unterwegs. In Panama berichten einige Migranten wie Jesús Alfredo Aristigueta, ein 32-jähriger Venezolaner, von Entführungen in Mexiko und Erpressungen auf dem Rückweg. Sie beklagen, dass die Hilfe der venezolanischen Behörden, die früher die Passage nach Norden erleichterte, verschwunden sei.

Der Darién Gap steckt voller Tücken: Haitianische Migranten bei der Überquerung des Acandi-Flusses auf dem Weg nach Norden (2023)Bild: Ivan Valencia/AP Photo/picture alliance

Die Rückkehrenden sind auf ihrem Weg zurück erneut Menschenhandel und sexueller Gewalt ausgesetzt - angesichts von weniger Behördenpräsenz, der Schließung von Aufnahmezentren etc. auf dem Rückweg vielleicht sogar stärker als zuvor. Und selbst wenn sie die Rückreise meistern, warten in ihren Heimatländern oft weitere Probleme.

Rückkehrer brauchen Starthilfe

Kolumbien, Panama, Honduras, Venezuela und die Dominikanische Republik stehen im Zentrum dieser Krise. Meyer warnt: "Kein Land in der Region ist auf so viele Rückkehrende vorbereitet." Mangelnde Ressourcen, Gewalt in den Herkunftsregionen und fehlende oder unzureichende Reintegrationprogramme erschwerten die Lage.

Einige Regierungen, wie die venezolanische, haben jedoch  Rückkehrprogramme reaktiviert. Das dortige Programm "Große Mission Rückkehr in die Heimat" hat zwischen Januar und Mai die Rückkehr von mehr als 5600 aus den USA abgeschobenen Venezolanern erleichtert. Es stellt vor Ort medizinische Versorgung bereit und unterstützt die Rückkehrer bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt.

Insgesamt ist Meyer aber besorgt, dass in Lateinamerika "mit steigenden Rückkehrerzahlen auch Spannungen zunehmen und Gewalt gegen verletzliche Bevölkerungsgruppen eskaliert".

Folgen auch für die USA

Auch die US-Wirtschaft steht durch die Abschottungspolitik vor einem Dilemma: In wichtigen Sektoren wie Landwirtschaft und Bauwesen fehlen Arbeitskräfte, die oft von Migranten ohne regulären Status gestellt werden. Selbst die, die noch da sind, meiden aus Angst vor Abschiebungen zum Teil ihre Arbeitsplätze meiden.

IOM-Direktorin Pope beklagt, dass es "keine ausreichenden legalen Wege für reguläre Migration" gibt. "Migration hört nie auf. Menschen werden sich immer bewegen." Bleibt die Frage, wie weit die Trump-Regierung ihre drastische Anti-Einwanderungspolitik noch treiben wird - mit Folgen für den ganzen Kontinent.