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Migration: Zurückweisung an deutschen Grenzen kaum möglich

5. September 2024

In Deutschland wird über Verschärfung der Asylverfahren diskutiert. Rechtlich und praktisch sind die Vorschläge kaum umsetzbar. EU-Recht überlagert deutsches Recht und wäre nur schwer zu ändern. Ein Überblick.

Ein Beamter der Bundespolizei ist von hinten zu sehen und stoppt den Fahrer eines Kleintransporters mit einer Kelle bei der Einreise am Grenzübergang
Grenzkontrollen und sofortige Zurückweisungen aus Deutschland? Rechtlich umstritten und praktisch für die Bundespolizei ohne massiven Personalaufwuchs kaum zu machen.Bild: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Die Forderungen, die vom Vorsitzenden der größten Oppositionspartei im Bund, Friedrich Merz (CDU), erhoben werden, um die Einreisen von Asylsuchenden und Migranten zu drosseln, sind rechtlich umstritten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will verschiedene Vorschläge prüfen. Die Forderungen werden auch vom Städte- und Gemeindebund unterstützt. Das ist eine Lobbygruppe der deutschen Gemeinden, die letztlich für die Unterbringung von Asylbewerbern und Flüchtlingen verantwortlich sind und über Überlastung klagen. In der kommenden Woche soll weiter beraten werden.

Der Druck auf die Politik, etwas zu unternehmen, ist groß.  Nach dem mutmaßlichen Terroranschlag eines zur Ausweisung anstehenden Asylbewerbers aus Afghanistan in Solingen und den Wahlerfolgen der rechtspopulistischen und in Teilen rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) in Thüringen und Sachsen, fordern mehrere Parteien rasches Handeln. Nicht nur die konservativen Parteien Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) und die Christlich-Soziale Union (CSU), sondern auch die Freie Demokratische Partei (FDP) und Bündnis 90/Die Grünen. Die liberale FDP und die Grünen regieren im Bund mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) in der sogenannten Ampelkoalition.

Migrationsdebatten beherrschen die Wahlkämpfe: CDU-Chef Merz fordert Beschlüsse statt neuer ArbeitskreiseBild: Steffen Proessdorf/foto2press/Imago Images

Sofortige Zurückweisungen an der Grenze?

CDU-Chef Merz fordert die sofortige Zurückweisung von Menschen an der bundesdeutschen Grenze, die über sichere Drittstaaten angereist sind und kein Visum besitzen.

Das ist bei der derzeitigen Rechtslage schwer möglich: Wenn der einreisende Mensch um Asyl nachsucht, müssen deutsche Behörden zunächst die Einreise zulassen und prüfen, ob Deutschland für einen möglichen Asylantrag zuständig ist. Kann dem Antragsteller nachgewiesen werden, dass er zum Beispiel in Bulgarien die EU-Außengrenze überschritten hat, wäre Bulgarien für das Asylverfahren zuständig. Deutschland würde dann nach den europäischen Vorschriften, den sogenannten Dublin-Regeln, eine Übernahme des Antragstellers durch bulgarische Behörden beantragen. Stimmt Bulgarien zu, kann der Antragsteller überstellt werden. Das alles muss innerhalb von sechs Monaten geschehen, ansonsten geht die Zuständigkeit automatisch auf Deutschland über.

Constantin Hruschka, Asylrechtsexperte beim Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München, weist darauf hin, dass es vor Zurückweisungen umfassende Grenzkontrollen bräuchte. Aber schon die punktuellen Grenzkontrollen, die es heute gebe, seien seit Jahren nicht mehr rechtmäßig. Sie sollen nach den EU-Bestimmungen für Binnengrenzen nämlich nur eine befristete Ausnahme sein, nicht die Regel. "Man müsste erst einmal eine Grundlage für Grenzkontrollen finden, bevor man sich über Zurückweisungen unterhalten kann", sagte Constantin Hruschka im Gespräch mit der DW.

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Kann man Menschen an der Grenze zu Österreich einfach dorthin zurückschicken?

Nein, nach den Dublin-Regeln ist meistens das Land der ersten Einreise, nicht ein mögliches Transitland zuständig. Ein Zurückweisen nach Österreich oder andere Nachbarländer, die nicht das Land der ersten Einreise waren, ist kaum möglich. Der Europäische Gerichtshof hat die "Dublin-Regeln" in zahlreichen Urteilen bestätigt. Zurückweisen kann die Bundespolizei allerdings Menschen, die kein Asyl begehren oder nicht als Flüchtling anerkannt werden wollen.

Kann Deutschland seine Grenzen schließen und eine "Notlage" ausrufen?

Bei massenhaftem Zustrom von Migranten oder Asylsuchenden kann Deutschland nach EU-Recht eine Notlage bei der EU-Kommission in Brüssel anmelden. Die Kommission würde dann Maßnahmen empfehlen. Dazu kann die flächendeckende Einführung von Grenzkontrollen gehören, allerdings nur für einen begrenzten Zeitraum. Wenn Migranten in großen Gruppen an der Grenze erscheinen und sich in der Masse - gegebenenfalls gewaltsam - Zutritt verschaffen, können diese Menschen ohne weitere Prüfung abgewehrt und zurückgeschickt werden. Nur dann ist nach EU-Rechtsprechung die vorgeschriebene Prüfung des individuellen Rechts auf ein Asylverfahren nicht möglich und nicht nötig.

Kann Deutschland seine Grenzen für bestimmte Gruppen wie Syrer oder Afghanen schließen?

"Nein, und ich wüsste auch nicht, wie man das rechtfertigen könnte", sagt dazu Asylrechtsexperte Constantin Hruschka. "Einzelne Terrortaten von Syrern oder Afghanen rechtfertigten in keiner Weise eine kollektive Nichtannahme von Asylanträgen." Das haben bereits Ungarn und Litauen in anderem Zusammenhang an ihren EU-Außengrenzen versucht. Der Europäische Gerichtshof hat diese pauschalen Grenzschließungen verworfen. Das Recht auf individuelle Prüfung eines Asylbegehrens, das sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und der UN-Flüchtlingskonvention ableitet, bleibt bestehen.

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Einseitiges Handeln Deutschlands in der EU?

Mit Hinweis darauf, dass die Ersteinreiseländer, also Griechenland, Italien, Spanien, Kroatien, Bulgarien, ihre Pflichten nicht erfüllen und sich nicht um alle Asylsuchenden kümmern, sollte Deutschland möglicherweise seinerseits Dublin-Regeln missachten und Zurückweisungen an den Grenzen vornehmen. Das ist mutmaßlich auch ein Vorschlag der konservativen Schwesterparteien CDU und CSU. Dieser könnte aber zu erheblichen Spannungen innerhalb der Europäischen Union (EU) führen und wäre vor Gerichten sehr angreifbar. "Man kann nicht sagen, wenn ihr euch nicht an Recht haltet, halten wir uns auch nicht an Recht. Die Dublin-Verordnung ist ja kein völkerrechtlicher Vertrag zwischen zwei Staaten, sondern das ist ein gemeinsames europäisches Projekt", meint Asylrechtsexperte Hruschka.

Sinnvoller scheint es da, politischen Druck auf die Ersteinreiseländer zu machen, ihre Pflichten ernster zu nehmen. Unter anderem Griechenland und Italien argumentieren oft mit ihrer Überlastung. Eine angestrebte verbindliche Verteilung auf die übrigen Mitgliedsstaaten ist bis heute nicht zustande gekommen.

Asylverfahren außerhalb der EU?

Es ist erklärtes Ziel des neuen EU-Migrationspaktes, Verfahren so weit wie möglich an den EU-Außengrenzen in speziellen Lagern abzuwickeln. Das käme ungarischen Modellen der letzten Jahre recht nahe. Ungarn nahm jahrelang nur an zwei Grenzübergängen wenige Asylanträge an und wickelte die Verfahren in Transitzonen ohne Einreise nach Ungarn ab. Der Europäische Gerichtshof stoppte dieses System wegen der Haftbedingungen in den Transitzonen. Zurzeit nimmt Ungarn Asylanträge nur in seinen Botschaften in Belgrad und Kiew an. Auch das ist nach einem Urteil des EuGH rechtswidrig. 

Einige Staaten arbeiten daran, die Verfahren in Länder außerhalb der EU auszulagern. Italien hat ein entsprechendes Lager in Albanien errichten lassen, das demnächst in Betrieb gehen soll. Für Asylsuchende, die über Flughäfen nach Deutschland einreisen, gibt es diese "extraterritorialen" Verfahren schon lange. Sie werden in den Transitbereichen der Flughäfen innerhalb von zwei Tagen durchgeführt.

Asylrecht ändern?

Der CDU-Politiker Thorsten Frei und der bayrische CSU-Vorsitzende Markus Söder fordern, das individuelle Grundrecht auf Asyl abzuschaffen. Es sei nicht mehr zeitgemäß. Um das wirkungsvoll umzusetzen, müsste Deutschland auch eine entsprechende Änderung des EU-Rechts erwirken und aus der UN-Flüchtlingskonvention aussteigen. Die Flüchtlingskonvention beinhaltet ein individuelles Recht auf Asylverfahren sowie das Verbot der pauschalen Zurückweisung an Grenzen, wenn im Herkunftsland Verfolgung oder unmenschliche Behandlung droht.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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