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Politik

Italien droht Flüchtlingshelfern

4. Juli 2017

Die Zahl der Migranten auf dem Mittelmeer steigt. Italien droht jetzt Hilfsorganisationen, die Menschen aus dem Mittelmeer retten, mit stärkeren Kontrollen. Ein Hilferuf in Richtung EU? Aus Brüssel Bernd Riegert.

Doku - Flucht übers Mittelmeer
Bild: AP Photo/E. Morenatti

Nach Angaben der "Internationalen Organisation für Migration" (IOM), einer Agentur, die mit den Vereinten Nationen zusammenarbeitet, sind im ersten Halbjahr 2017 rund 85.000 Migranten per Boot von Nordafrika aus nach Italien geflüchtet. Die Zahl liegt um 19 Prozent höher als im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres. Der Höhepunkt der "Saison" ist laut IOM damit aber noch nicht erreicht. Die seeuntüchtigen Schlepperboote, die meist völlig überladen sind, würden hauptsächlich von Juni bis September auf die Reise geschickt, weil dann das Mittelmeer zwischen Libyen und Italien einigermaßen ruhig sei. Die Chance, so lange durchzuhalten, bis Rettung naht, sei damit einfach größer. Etwas mehr als 2000 Tote auf der sogenannten zentralen Mittelmeerroute hat die IOM in den ersten sechs Monaten des Jahres gezählt.

Alle Versuche der Europäischen Union, die Zahl der Migranten zu senken, schlugen bislang fehl. Offizielles Ziel der EU ist es, die Mittelmeerroute ähnlich wie die Route zwischen der Türkei und Griechenland möglichst zu schließen. Im Seegebiet vor Libyen kreuzt eine Flottille des europäischen Grenzschutzes, die Migranten retten, aber auch Schlepper abschrecken soll. Die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache läuft zaghaft an, teilt die EU-Kommission mit. Es fehlt an Schiffen und konkreten Ansprechpartnern auf der libyschen Seite.

Fast die Hälfte der geretteten Flüchtlinge und Migranten wurde nicht von EU-Schiffen eingesammelt, sondern von Schiffen, die von zehn privaten Hilfsorganisationen betrieben werden. Frontex, die EU-Grenzschutzbehörde, und Italien hatten die Nichtregierungsorganisationen vor zwei Jahre um Mithilfe gebeten. Jetzt werfen der Chef von Frontex, Fabrice Leggeri, und italienische Politiker den freiwilligen Helfern vor, sie würden den Schleppern eher assistieren und Migranten ermutigen, die gefährliche Fahrt anzutreten. Auf Sizilien ermittelt sogar die Staatsanwaltschaft, die einzelnen Helfern Kollaboration mit Schleusern an der libyschen Küste vorwirft. Auch auf Malta hatte es ähnliche Ermittlungen gegeben.

Italien schreibt neue Regeln

Die italienische Regierung will nun die Arbeit der Hilfsorganisationen stärker kontrollieren und bereitet neue Verhaltens- und Verfahrensregeln vor. Koordiniert werden die Einsätze von Frontex und den NGO-Schiffen bislang von der italienischen Marine. Die wirft einzelnen Helfern vor, sie würden die Transponder ihrer Schiffe ausschalten. Diese Geräte geben automatisch die Position der Schiffe an.

Hilfsorganisationen in Italien unter Druck

04:44

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Ohne Transponder fahren die Helfer angeblich in libysche Hoheitsgewässer, um dort Migranten von Schlauchbooten und morschen Holzkähnen zu übernehmen. Dabei stünden Helfer und Schleuser in engem Kontakt. Diese Vorwürfe erhebt der Sprecher der libyschen Küstenwache, Ayyoub Qasem. "Sie scheren sich nicht um die libysche Hoheit über die Gewässer", beklagte Qasem. Italien will die privaten Rettungsschiffe nun verpflichten, die Transponder immer eingeschaltet zu lassen, Mannschaften zu registrieren und die Leitstelle der Marine zu informieren, bevor eine Rettungsaktion beginnt.

Kritik vom UN-Flüchtlingskommissar

Der Sonderbeauftragte des UN-Flüchtlingshilfswerkes für die Mittelmeer-Route, Vincent Cochetel, kritisierte in Brüssel scharf den Versuch, den Hilfsorganisationen die Schuld zuzuweisen. "Wenn es Verhaltensregeln geben soll, dann müssen die für alle gelten. Wir beobachten oft, dass Handelsschiffe in dem Seegebiet ihre Transponder ausschalten, um keine Menschen retten zu müssen." So könnten die Handelsschiffe von der Seenot-Einsatzzentrale der italienischen Marine nicht erfasst und angewiesen werden, im Notfall zu helfen. Das gleiche gelte für Schiffe der NATO, die dort unterwegs seien. "Können Sie mir sagen, wie viele Menschen diese Schiffe in den letzten Jahren gerettet haben?" fragte der UNHCR-Beauftragte rhetorisch und wies darauf hin, dass die Marine lieber ohne Transponder unterwegs ist und das vom Seerecht her auch darf. 

Frontex-Chef Leggeri hält die privaten Rettungsaktionen für eine Ermutigung an die Schlepper, noch mehr Menschen für horrende Preise in seeuntüchtige Schlauchboote zu setzen.

Italien könnte Häfen schließen

Italien droht damit, künftig Schiffe mit Migranten an Bord, die von Nichtregierungsorganisationen betrieben werden, nicht mehr in seine Häfen einfahren zu lassen. "Wenn die einzigen Häfen, die Asylbewerber aufnehmen, in Italien liegen, stimmt etwas nicht in Europa", hatte der italienische Innenminister Marco Minniti am Wochenende gesagt.

Italiens Innenminister Minniti: Häfen schließen?Bild: Getty Images/AFP/T. Fabi

Die italienische Marine könnte sich außerdem weigern, die geretteten Migranten bereits auf hoher See von den meist kleineren NGO-Schiffen zu übernehmen. Das würde den Aktionsradius dieser privaten Retter erheblich einschränken. So weit ist es aber noch nicht. Die Innenminister Frankreichs und Deutschlands haben Italien mehr Unterstützung zugesagt. Die neuen Regeln, die Italien den privaten Rettungsschiffen auferlegen will, sollen von der Europäischen Union am kommenden Wochenende in Tallinn bei einem informellen Treffen der 28 EU-Innenminister gut geheißen werden.

Keine Solidarität mit Italien

Das tiefer liegende Problem, nämlich die gescheiterte Umverteilung von Flüchtlingen auf andere EU-Staaten, ist nach zwei Jahren Dauerstreit immer noch nicht gelöst. Eigentlich wären die anderen Staaten verpflichtet, Italien und auch Griechenland monatlich Tausende Migranten abzunehmen. Das geschieht aber nicht, obwohl die EU-Kommission dies ständig anmahnt und sogar schon Vertragsverletzungsverfahren gegen einige Staaten eröffnet hat. Italiens Ministerpräsident Paolo Gentiloni hat angekündigt, dezentrale Abschiebezentren im ganzen Land einzurichten. Der heutige Zustand sei nicht haltbar, sagte Gentiloni.

Die italienische Regierung bereitet den Bau von zusätzlichen Auffanglagern vor. Die vorhandenen Einrichtungen seien bald voll, heißt es von der italienischen Regierung. Die Lasten müssen in Europa unbedingt geteilt werden. "Das Verlangen Italiens nach mehr Solidarität ist total gerechtfertigt", sagte EU-Kommissar Frans Timmermans in Straßburg. "Wir wollen den Druck auf Italien verringern. Die EU-Staaten müssten dazu endlich tun, was sie versprochen haben."

"Aquarius", Rettungsschiff von SOS Mediterranee: Tausende gerettetBild: picture-alliance/dpa/L. Klimkeit

SOS Mediterranee weist Vorwürfe zurück

Die Sprecherin der Organisation SOS Mediterranee, Jana Ciernioch, wies die Vorwürfe der italienischen Regierung gegenüber der DW zurück. Die im Verhaltenskodex verlangten Auflagen würden bereits erfüllt. Die Schiffe der Hilfsorganisation seien gesetzlich verpflichtet, ihre Transponder einzuschalten. Besatzungen würden bei jedem Einlaufen in einen Hafen registriert. Die Vorwürfe, die Retter arbeiteten mit den Menschenschmugglern zusammen, seien an den Haaren herbeigezogen, so Jana Ciernioch. "Es findet keine praktische Zusammenarbeit mit Schleppern statt." Die Forderungen Italiens gingen an der Wirklichkeit vor. "Das ist wohl eher ein Hilferuf. Das Problem sind nicht wir. Die Lösung liegt bei der EU."

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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