1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

MIGs für die Ukraine: Alles nur Ablenkung?

Christopher Nehring
10. März 2022

Sollen MIG-Kampfflugzeuge aus NATO-Beständen an die Ukraine geliefert werden? Und wenn ja, wie kommen sie dorthin? Die laute Diskussion im Westen könnte am Ende ein Ablenkungsmanöver sein.

Polen polnische MiG-29
Zwei polnische MIG-29 auf dem Militärflughafen von Malbork im August 2021Bild: Cuneyt Karadag/AA/picture alliance

Kommen sie oder kommen sie nicht, die MIG-29-Kampflugzeuge aus NATO-Beständen für die Ukraine? Und wenn ja - wie kommen sie dorthin? Über kaum eine Frage wurden diese Woche heißer zwischen Washington, Kiew, Warschau, Brüssel und Berlin gestritten.

Die Regierungen Polens und der USA diskutieren, wer die Lieferung wie durchführen soll. "Ernsthafte Bedenken" haben alle NATO-Partner dabei wegen eines möglichen russischen Vergeltungsschlags. Bundeskanzler Olaf Scholz schloss die Lieferung - im Widerspruch zu Außenministerin Annalena Baerbock - sogar aus. So zumindest die offiziellen Statements.

Zwei ukrainische MIG-29 beim Trainingsflug nahe Kiew im August 2016Bild: Roman Pilipey/dpa/picture alliance

Es geht um schnelle, wendige Kampfjets, die der sowjetische Flugzeugbauer "Mikojan i Gruewitsch" (MIG) in den 1970er Jahren für den Luftkampf entwickelt hat. Spätere Modelle wie die MIG-29 eignen sich auch zum Transport von Bomben. Heute haben noch drei NATO-Staaten MIG-29 in Betrieb: Bulgarien und die Slowakei verfügen offiziell über 16 bzw. 12 Stück, Polen soll zwischen 26 und 33 besitzen. 22 davon lieferte Deutschland dem Nachbarland und NATO-Mitglied 2003 zum Preis von einem Euro aus Restbeständen der DDR. Rumänien hingegen hat seine 20 MIG-29 vor Jahren außer Betrieb genommen, Verbleib unbekannt.

Die reine Anzahl der MIG-29 sagt allerdings nichts über deren Einsatzbereitschaft aus. Die alten Sowjetflieger sind extrem wartungsanfällig. Polen hat dazu eigene Reparaturkapazitäten geschaffen, Bulgarien und die Slowakei ließen ihre Maschinen bisher in Russland warten. Derzeit soll Bulgarien gerade mal vier bis sechs MIG-29 in Betrieb haben. Auch deshalb erteilte Premier Kiril Petkow in der ersten Märzwoche 2022 allen Spekulationen über eine Lieferung eine Absage. Der bulgarische Luftraum wird seit Mitte Februar 2022 vor allem von spanischen NATO-Jets gesichert, die auf den Stützpunkt Graf Ignatiewo in Zentralbulgarien verlegt wurden.

Keine Game Changer

Wie die DW aus bulgarischen Regierungskreisen erfuhr, hat die Absage Sofias auch innenpolitische Gründe: Die traditionell moskaufreundliche Bulgarische Sozialistische Partei, eine der vier Mitglieder der Regierungskoalition, könnte bei Waffenlieferungen an die Ukraine die Koalition aufkündigen. "Aus politischen Gründen halte ich die polnischen MIGs für die wahrscheinlichsten", fasst Gustav Gressel, Militärexperte des European Council on Foreign Relations, im Gespräch mit der DW zusammen.

Gustav Gressel, Militärexperte des European Council on Foreign RelationsBild: DW

Was macht die MIG-29 so wichtig? "Sie sind für die Ukraine sofort einsatzbereit, ohne wochenlange Schulungen für die ukrainische Armee", sagt Carlo Masala, Sicherheitsexperte der Bundeswehr-Universität in München. Doch es geht auch um militärtaktische Überlegungen: "Russland hat immer noch nicht die volle Luftherrschaft über die Ukraine, und solange für die russische Luftwaffe das Risiko besteht, auf ukrainische Jagdflugzeuge zu stoßen, wird sie ihre verwundbaren Maschinen, vor allem Bomber, nur zögerlich oder gar nicht einsetzen. So sinkt das Risiko von Teppichbombardements und erhöht die Überlebenschance ukrainischer Städte", sagt Gustav Gressel. Aber, so gibt Carlo Masala zu bedenken: "Die Lieferung von MIGs wäre kein Game Changer für den Kriegsverlauf - aber sie stellt eine neue Stufe des westlichen Engagements dar."

Säbelrasseln und psychologische Spielchen

Russlands Präsident Wladimir Putin hat unterdessen angekündigt, dass Russland eine Lieferung von MIGs an die Ukraine als direkte Einmischung in den Konflikt betrachten würde. Sprich: Er droht mit Vergeltung. Diese könnte den NATO-Bündnisfall auslösen und zu einem Krieg mit Russland führen. Die Frage, von wo und wie die Kampfjets in die Ukraine geliefert werden, ist also von größter Bedeutung. "Ein direkter Transport - entweder durch ukrainische Piloten, die die MIGs in Polen abholen oder durch polnische, die sie in die Ukraine fliegen - wäre absolut irre. Das hieße, das man sein Territorium für eine konfliktführende Partei zur Verfügung stelle", sagt Carlo Masala. Die von Viktor Orban geführte Regierung in Ungarn hat daher bereits am 7.03.2022 verboten, Waffen an die Ukraine "direkt" über ungarisches Territorium zu liefern.

Carlo Masala, Sicherheitsexperte der Bundeswehr-Universität in MünchenBild: imago/Eibner

Die Gefahr, dass Russland einen Gegenschlag gegen Polen oder ein anderes NATO-Land führen könnte, hält Gressel für gering. "Das sind Säbelrasseln und psychologische Spielchen. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass Russland irgendwelche Angriffsvorbereitungen unternimmt. Und sie brauchen alle Kräfte in der Ukraine. Ein Angriff auf Polen oder ein anderes Land würde ihre militärische Lage extrem verkomplizieren."

Geheimer Transport?

Wie könnten die MIG-29 letztlich doch in die Ukraine kommen? "Ein geheimer Transport wäre die klügste Lösung", erklärt Carlo Masala. US-Militär und -Geheimdienste haben bei solchen Aktionen viel Erfahrung, wie sie zuletzt in Syrien zeigten. Ein Transport auf dem Seeweg von der polnischen Ostsee an die ukrainische Schwarzmeerküste sei dagegen so gut wie ausgeschlossen: Zum einen würde er lange dauern, zum anderen hat die russische Marine die ukrainische Küste mit dem einzig verbliebenen Hafen Odessa abgeriegelt.

 

Auf dem Landweg wäre ein Transport über die Karpaten eine große Herausforderung. Militärexperte Gressel ist sich deshalb sicher: "Ein Transport auf dem Landweg ist kaum möglich, schon alleine wegen der großen Flügelspannweite der MIGs. Sie müssen fliegend übergeben werden. Da gibt es durchaus Möglichkeiten: Sie bekommen über Nacht eine neue Farbe. Entweder werden ukrainische Überführungspiloten ins Land gebracht oder polnische fliegen sie rüber. In einer wolkigen Nacht werden alle elektronischen Systeme ausgeschaltet, die US-Luftwaffe führt einen Deckungsflug durch und begleitet die Maschinen bis zum ukrainischen Luftraum. Am nächsten Morgen sind sie einfach nicht mehr da und niemand verliert ein Wort darüber."

Nur ein Ablenkungsmanöver?

Das wäre ein radikaler Kurswechsel, denn bislang kommunizieren die Staatschefs in den USA, Polen, Brüssel oder Deutschland über die Lieferung der MIGs erstaunlich freimütig - und erstaunlich widersprüchlich. "Die Frage um die MIG-Lieferungen wurde aufgebauscht, es wurde zu viel öffentlich darüber geredet und zu wenig gemacht", urteilt Carlo Masala. Egal ob Stützpunkte (Ramstein), Ursprungsland (Polen), Zusage (Baerbock), Absage (Scholz) oder das Tauziehen zwischen Warschau und Washington: Kein Tag vergeht ohne neue Wortmeldung. Was dabei wirklich Disput ist und was strategische Kommunikation, ist schwer zu unterscheiden.

"Dieser Krieg ist begleitet von massiven Operationen der psychologischen Kriegsführung, die es fast unmöglich machen, zwischen Wahrheit und Täuschung zu unterscheiden und Informationen zu verifizieren", meint Carlo Masala. Auch Gustav Gressel ist sich sicher: "Das ganze Gerede kann auch nur Ablenkung sein. Die MIGs können nur fliegend an die Ukraine übergeben werden - und sie werden fliegen, wenn sie nicht sogar schon geflogen sind." Schließlich kündigte auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem TV-Auftritt am 6.03.2022 vielsagend an: "Nicht alles, was geplant ist, wird öffentlich verkündet."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen