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Tyson-Comeback mit 54 - ein No Go?

Julia Dorny
23. November 2020

Stählerne Muskeln und strenger Blick - mit 54 Jahren bestreitet Mike Tyson sein Comeback im Boxring. Box-Fans freuen sich auf sein Duell mit Roy Jones Jr., doch das gesundheitliche Risiko ist nicht zu unterschätzen.

USA Boxen Mike Tyson
Bild: David Rosenblum/Icon SM/imago images

"Am 28. November wird es brutal", schreibt Mike Tyson auf Instagram: "Im Leben verliere ich vielleicht manchmal, aber im Ring werde ich an diesem Tag nicht verlieren!" Der frühere Schwergewichtsweltmeister wird in Los Angeles gegen Roy Jones Jr. antreten - ein Schaukampf zweier Box-Ikonen und das Doppel-Comeback des Jahres. "Iron Mike" ist 54 Jahre alt, sein Gegner, der vom Mittel- bis hoch ins Schwergewicht in fünf Gewichtsklassen Weltmeister war, nur drei Jahre jünger. Tysons letzter Profikampf liegt bereits 15 Jahre zurück. 2005 verlor er gegen den Iren Kevin McBride durch technischen K.o. nach sechs Runden. Nach dieser bitteren Niederlage erklärte er seinen Rücktritt.

Jones hingegen hat 2018 das letzte Mal gekämpft. Gegen den Kanadier Scott Sigmon errang er einen einstimmigen Punktsieg. Dass er im anstehenden Kampf der beiden Ü50-Boxer mehr Probleme haben könnte als damals, ist Jones bewusst. Im Podcast des Comedians und Ring-Moderators Joe Rogan gab er zu: "Wenn du von Mike Tyson getroffen wirst, kann alles passieren. Er ist kein normaler Puncher."

Allerdings haben die Organisatoren viel getan, um das Gesundheits- und Verletzungsrisiko zu mildern: Der Showkampf, der auch wohltätigen Zwecken dienen soll, ist auf acht statt zwölf Runden angesetzt, mit einer Rundenzeit von zwei statt drei Minuten. Es wird mit stärker gepolsterten Handschuhen als üblich geboxt, außerdem kann der Ringrichter den Kampf jederzeit abbrechen, wenn er die Meinung hat, dass es übertrieben hart zugeht: "Mit Mike Tyson in den Ring zu gehen, hat nichts mit Show zu tun", weiß Jones.

Axel Schulz: "Jeder soll seine Träume ausleben"

Tysons letzter Gegner, Kevin McBride, dürfte deutschen Boxfans vor allem durch seinen Kampf gegen Axel Schulz in Erinnerung geblieben sein. Schulz bezwang den Zwei-Meter-Mann 1997 in Berlin durch technischen K.o. in Runde neun. Seine Karriere, in der er dreimal um die WM boxte, beendete der damals beliebteste deutsche Schwergewichtsboxer 1999 nach einer K.o.-Niederlage gegen Wladimir Klitschko.

Axel Schulz wurde einem großen Publikum bekannt, als er 1995 gegen George Foreman um die WM boxteBild: Uwe Koch/Eibner/imago images

Seinen Comeback-Kampf gegen Brian Minto im November 2006 verlor der damals 38-jährige Schulz - danach war endgültig Schluss mit Boxen. Dem Tyson-Jones-Kampf steht er aber offen gegenüber: "Ich finde es völlig okay, dass die beiden den Kampf bestreiten. Sie wissen, was sie machen und worauf sie sich da eingelassen haben", sagt der einstige WM-Anwärter im Schwergewicht der DW. "Jeder soll seine Träume ausleben."

Jedoch äußert der inzwischen 52-Jährige auch einige Bedenken: "Ich habe selbst - bei meinem gescheiterten Comeback 2006 - die Erfahrung gemacht, dass die Wettkampf-Problematik nicht zu unterschätzen ist. Ich habe mich damals im Training sehr gut gefühlt, und die Sparringseinheiten liefen super", erinnert er sich. "Die Situation im Ring ist eine andere. Es ist sehr schwer, wieder in den früheren Wettkampf-Modus zurückzufinden."

Schlechtere Reflexe, geringere Leidensfähigkeit

Vor allem aber gehen Boxer ein gesundheitliches Risiko ein, wenn sie im höheren Alter noch in den Ring steigen: "Wenn Boxer die Kurve nicht kriegen, kann es zu gravierenden Schäden kommen", bestätigt Sportmediziner Walter Wagner der DW. Der 69-Jährige ist Deutschlands bekanntester Ringarzt und hat in seiner langen Karriere zahllose Boxer untersucht und behandelt. "Einem habe ich mit 40 keine Lizenz mehr gegeben", erzählt Wagner. "Der ist jetzt schwer dement, weil er sich mit 55 noch einen schweren K.o. eingefangen hat."

Beim Boxen wirken gewaltige Kräfte - besonders ungeschützte Kopftreffer können schwere Folgen habenBild: Imago Images

In der Jugend sei man schneller erholungsfähig, erklärt Wagner. Das gelte für Gelenke, Muskeln und das Gehirn. "Mit dem Alter nehmen diese Dinge kontinuierlich ab. Die Reflexe und Reaktionen verlangsamen sich, wenn auch unbemerkt." Und weil die Schutzbereitschaft geschwächt werde - Deckung und Ausweichen - sei es, so Wagner, im Alter auch gefährlich, schwere K.o. oder Kopftreffer zu kriegen. "Auch die Leidensfähigkeit für die Schläge nimmt ab”, sagt Wagner und hat daher eine klare Meinung zum "Frontline-Battle" (Kampf an vorderster Front), wie der Kampf in Los Angeles getauft wurde: "Das Comeback von Mike Tyson gegen Roy Jones Jr. müsste aus medizinischer Sicht - für beide ­- abgesagt werden!"

Wagner: "Generell zu gefährlich"

Axel Schulz argumentiert dagegen mehr aus Sicht der Kämpfer und kann den Reiz nachempfinden, noch einmal in den Ring zu steigen: "Beide fühlen sich damit wohl und die Gründe kennen nur sie", sagt er. "Die Frage ist, ob man es angeht oder es lieber lässt? Wenn man es nicht tut, wird ewig der Gedanke bleiben: Hätte ich es mal gemacht!"

"In Tysons Alter ist Boxen generell zu gefährlich. In seinen Trainingsvideos wirkte er extrem fit, trotzdem ist das alles grenzwertig", entgegnet Wagner, der seit über 40 Jahre Unfallchirurg ist und als Verbandsarzt beim Bund Deutscher Berufsboxer (BDB) eingesetzt wird. "Früher hieß es, ab 40 nur in Ausnahmefällen! Dazu muss aber medizinisch alles 100-prozentig abgeklärt sein."

Walter Wagner (l.) ist ein erfahrener RingarztBild: Imago Images

Um zu veranschaulichen, was im Schädel der Boxer passiert, wählt Wagner ein plastisches Beispiel: "Nehmen Sie sich mal einen Apfel und einen Hammer und schlagen da 20 Mal drauf. Was passiert? Ja, er wird braun - und so ist das im Gehirn", sagt er, räumt aber ein, dass der Hirn-Apfel-Vergleich nicht auf wissenschaftlicher Basis zu belegen sei. "Aber ich kenne sehr viele Boxer", so Wagner, "die mit 50 oder knapp 60 schon in die Demenz kommen, obwohl sie gesund gelebt haben. Hirnveränderungen, Boxerdemenz und Schäden an Gelenken sind nun mal Begleitschäden des Sports."

Kurzer Prozess - auch diesmal?

Der Kampf zwischen Tyson und Jones hat auch eine politische Botschaft. Auf dem "Frontline Battle"-Gürtel des Weltverbands WBC prangen Slogan und Symbol der "Black Lives Matter"-Bewegung. Tyson und Jones reihen sich damit in die große Gruppe der Sportler ein, die ihre Bühne nutzen, um ein klares Statement gegen Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze abzugeben.

In erster Linie aber geht es um das Duell zweier in die Jahre gekommener Ausnahme-Boxer, auf das sich sicher viele Box-Enthusiasten freuen. "Ich bin ein richtiger Tyson-Fan", sagt Axel Schulz. "Er war eine Maschine, und wenn er damals losgerollt ist, waren das immer sehr schnelle Knock-Outs. Er war ein brillanter Boxer." Auch Wagner gibt zu, ein großer Bewunderer von Tyson zu sein: "Wie er in den Ring gegangen ist und kurzen Prozess gemacht hat!"

Allein 22 seiner 44 K.o.-Siege machte Tyson bereits in der 1. Runde perfekt. Um möglichst viel vom Comeback-Kampf zu haben, werden die meisten Box-Fans wohl hoffen, dass es diesmal länger dauert. Tyson wird bei den Buchmachern als Favorit gehandelt, seinem Gegner bleibt nur die Außenseiterrolle. Doch auch wenn die Gefahr besteht, harte Treffer zu kassieren, will Jones nach eigenen Worten das Duell mit Mike Tyson genießen. "Ich liebe Boxen", sagte Jones. "Also, wenn ich beim Boxen sterbe, dann sterbe ich als glücklicher Mann!"

 

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