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Milch, Milliarden und Mauscheleien

6. Februar 2004

Gegenseitige Anschuldigungen, eine immer höher wachsende Schuldenbilanz – die Parmalat-Affäre zieht weite Kreise. Nur langsam kommt Licht in das Wirrwarr aus Firmen, Fonds und Finanzen.

Parmalat - ein Milchimperium kipptBild: AP

Seit Mitte November 2003 steht Parmalat-Gründer Calisto Tanzi im Mittelpunkt des größten Wirtschaftsskandals in der europäischen Firmengeschichte. Bisher ist noch nicht geklärt, wie es dem Top-Managment – möglicherweise über Jahre hinweg – gelang, ein riesiges Bilanzloch zu verschleiern und den Konzern in die Insolvenz zu treiben. Ein Bilanzloch, das, laut Abschlussbericht der Wirtschaftsprüfer von Price Waterhouse Cooper (PWC), mit 14,3 Milliarden Euro acht Mal höher ist als von Parmalat angegeben.

Die Affäre zog am 21.1.2004 sogar den Selbstmord eines Parmalat-Mitarbeiters nach sich, der, so vermuten die Ermittler, Angst hatte, in den Skandal hineingezogen zu werden.

Das Schiff beginnt zu sinken

Eine Chronologie der Ereignisse: Im November 2003 äußerten die amerikanischen Wirtschaftsprüfer von Deloitte&Touche und die Börsenaufsichtsbehörde Consob Bedenken zu Investitionen von Parmalat in der Steueroasen der Cayman-Inseln. Im Dezember folgte der erste Kreditausfall: Parmalat kann ein fälliges Darlehen von 150 Millionen Euro nicht zurückzahlen. Der Parmalat-Aufsichtsrat engagierte Enrico Bondi, um das Unternehmen zu sanieren. Der Top-Manager hatte schon Großkonzerne wie Telecom Italia, den Stahlkonzern Lucchini oder den Energieversorger Montedison (heute Ericsson) aus der Patsche geholfen.

Der Kapitän gibt das Steuer ab

Daraufhin stürzten die Parmalat-Aktien an der Börse um rund 40 Prozent. Kurze Zeit später, am 15. Dezember, trat Parmalat-Chef Tanzi zurück, Bondi übernahm offizielle seinen Platz.

Parmalat-Aktien auf TalfahrtBild: AP

Der Absturz von Parmalat - seit 1962 vom Familienbetrieb zum Milchimperium aufgestiegen - beschleunigte sich seitdem: Auf den Konten der Parmalat-Tochter Bonlat auf den Cayman-Inseln klafft ein vier Milliarden Finanzloch, gab das Unternehmen am 19. Dezember bekannt. Darauf gingen die Parmalat-Aktien erneut auf Talfahrt: Minus 60 Prozent auf nur noch 30 Cent. Ende Dezember wurden sie an der Mailänder Börse ganz ausgesetzt – auf unbestimmte Zeit.

Regierung schmeißt Rettungsringe

Die italienische Staatsanwaltschaft begann Ermittlungen gegen unbekannt. Vorwurf: Bilanzfälschung und Betrug. Auch die Politik schaltete sich ein: Am 23. Dezember beschloss das Kabinett, ein Konzept erarbeiten zu wollen, um Arbeitsplätze und Unternehmen zu retten – notfalls mit staatlicher Hilfe. Die Europäische Union kündigt Bedenken an.

Milchtanker von ParmalatBild: AP

Am 27. Dezember überschlugen sich die Ereignisse: Parmalat wird offiziell für insolvent erklärt, Firmen-Gründer Calisto Tanzi auf offener Straße festgenommen. Langsam kommt Licht in die komplexe Affäre um verschwundene Millionen und gefälschte Dokumente. Mit Strohmännern und Scheinfirmen tanzte Tanzi allen auf der Nase herum.

Familienbande

Zeitungen berichten, der Familienclan Tanzi habe den Konten des Konzerns insgesamt 1, 7 Milliarden Euro abgezwackt. Alle drei Kinder von Tanzi saßen in Schlüsselpositionen des größten Milchkonzerns Italiens. Sohn Stefano war Generaldirektor bei Parmalat und Chef des Fußballclubs AC Parma. Sohn Giovanni saß im Parmalat-Aufsichtsrat. Und Tochter Francesca leitete die hoch verschuldete Tourismusfirma Parmatour, die wie der AC Parma nun verkauft werden soll.

Der bereits inhaftierte Ex-Finanzchef von Parmalat, Fausto Tonna, beschuldigt die Tanzi-Tochter nun, sie habe seit mindestens fünf Jahren über die Bilanzfälschungen beim Mutterkonzern gewusst. Francesca bestreitet dies.

Ins Wasser fällt ein Stein ...

Mittlerweile scheint halb Italien in dem Skandal verstrickt: Die Staatsanwälte in Parma und Mailand ermitteln nicht nur gegen das Parmalat-Management, sondern auch gegen Wirtschaftsprüfer und Banken. Letztere sind nämlich mit mehr als 1,5 Milliarden Euro bei Parmalat engagiert.

Neben dem finanziellen Desaster durch den Parmalat-Skandal – um Anleger wenigstens teilweise zu entschädigen, rechnet die römische Großbank Capitalia rund 60 Millionen Euro ein – droht ihnen auch eine enormer Vertrauensverlust der Anleger. Die fühlen sich geprellt: Auf Rat der Bank haben sie Parmalat-Aktien gekauft und fragen sich jetzt, warum keiner dort etwas von dem Riesen-Schwindel gewusst haben will.

... und zieht doch weite Kreise

Mittlerweile legt sich die Parmalat-Affäre wie ein dunkler Schatten über die internationale Geschäftswelt: Die Bank of America (mit 700 Millionen Parmalat-Hauptfinanzier), Citigroup (500 Millionen), die Deutsche Bank, verschiedene US-Investmentbaken, die Rating-Agentur Standard & Poor's: Alle hängen irgendwie mit drin – wie, das ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft.

Ebenso auf dem Prüfstand: Die Aufsichstgremien. Zwei Mailänder Mitarbeiter von Deloitte&Touche werden verdächtigt, Bilanzen gefälscht zu haben. Eine Diskussion über die Aufgaben der Gremien ist entfacht: Bisher trägt die Hauptprüfgesellschaft keine Verantwortung mehr, wenn die Probleme bei einer Konzerntochter auftraten, die von ihr nicht geprüft wurde. Ein Fehler im System, der schleunigst bereinigt werden muss, fordert nun die EU-Kommission. (herb)