25. Todestag von Miles Davis
28. September 2016Weich und rein schwebt der Ton seiner Trompete über Bass und Schlagzeug. Einsam schwingt er sich hoch und lässt sich wieder fallen. Cool und relaxed dreht er seine Runden über die Harmonien, immer wieder findet er eine neue melodische Route, bis er sanft landet und den Raum für das nächste Solo-Instrument freigibt.
"Bag's Groove" dauert elf Minuten und 12 Sekunden - doch beim Zuhören vergeht die Zeit wie im Flug. Die Aufnahme ist das Ergebnis einer Studiosession am Weihnachtsabend 1954 mit Miles Davis' Band und den damals schon hochdekorierten Gastmusikern Milt Jackson (Vibraphon) und Thelonious Monk (Piano). Die Session steht unter keinem guten Stern: Miles Davis' Plattenboss hat die beiden Gastmusiker ohne sein Wissen eingeladen. Gegen Jackson hat Davis nichts. Aber dieser Monk spielt seiner Ansicht nach "nur falsche Akkorde", daher verbittet er es sich, dass Monk ihn in den Solophasen am Piano begleitet. Was sich als enormer Glücksfall herausstellt. Denn so hat Davis Platz für seine Improvisationen - und der Unterschied zu Monk und Jackson wird wunderbar herausgespielt. Gleich zwei Versionen werden aufgenommen und drei Jahre später auf das gleichnamige Album gepresst - die extrem unterschiedlichen Spielweisen der Musiker machen "Bag's Groove" zu den spannendsten Jazzaufnahmen der 50er Jahre.
Grundstein des Modern Jazz
Auf dem Album folgen fünf weitere Songs, die ebenfalls Jazzgeschichte geschrieben haben, darunter die Sonny Rollins-Komposition "Oleo". Hier hört man zum ersten Mal diesen typischen näselnden Trompetensound, der durch einen Metalldämpfer entsteht und für immer Miles Davis' Markenzeichen werden wird.
Der Jazzkritiker Whitney Balliett schreibt zu dieser Platte, die erst 1957 erscheint, Miles Davis spiele "wie ein Mensch, der auf Eierschalen geht". In der Szene ist man sich einig: Dieses Album ist der Grundstein des Modern Jazz. Und dabei soll es nicht bleiben.
Angetrieben von Neugier und Kreativität
Seit Saxofon-Legende Charlie Parker den jungen Trompeter Mitte der 1940er in dessen Bebop-Kombo geholt hat, arbeitet Miles Davis wie ein Besessener, bewegt sich in immer wieder neuen musikalischen Dimensionen. Er gründet sein legendäres erstes Quintett, nimmt in einem Jahr vier LPs auf. Zum Miles Davis Quintett gehören neben dem Saxofonisten John Coltrane auch der Pianist Red Garland, Bassist Paul Chambers und Philly Joe Jones am Schlagzeug. Jeder Musiker für sich wird später zu den berühmtesten Jazzern gehören.
Mit dem Arrangeur Bill Evans entsteht eine Bigband-Platte, die 1957 als extrem eigenartig gilt: eine Bigband ohne Saxofone, dafür aber mit Waldhörnern, einer Oboe und Flöten. Einziger Solist: Miles Davis. Sein Instrument: das Flügelhorn, das einen tieferen und noch weicheren Klang hat als die Trompete. "Miles Ahead" ist fast wie ein Konzeptalbum - eine Suite, in der ein Stück in das andere übergeht.
Ein Jahr später aktiviert Davis sein Quintett wieder und erweitert es um den Altsaxofonisten Cannonball Adderley. Wieder folgt eine Platte, die ihrem Namen gerecht wird: "Milestones", ein hübsches Wortspiel aus "Meilenstein" und "Miles-Tönen".
Kontrollierte Freiheit
1959 folgt das gefeierte Album "Kind of Blue", auch diese Platte wird Legende. Längst gehört Miles Davis zu den höchstbezahlten Musikern der Welt - was für einen Schwarzen damals nicht selbstverständlich ist. Er ist Vorbild für eine ganze Generation schwarzer Musiker, Eltern nennen ihre Kinder nach ihm.
Die Musiker, mit denen er zusammenarbeitet, kann er sich aussuchen. Und sie stehen Schlange. 1964 gründet Miles Davis sein zweites berühmtes Quintett - mit Herbie Hancock am Piano, Wayne Shorter (Sopransax), Ron Carter (Bass) und Drummer Tony Williams. Diese Herren sind schon längst als Solokünstler etabliert - und in der eher avantgardistischen Freejazz-Szene der 60er zuhause. Miles Davis bringt sie dennoch zusammen und zeigt ihnen den Unterschied zwischen Tradition und Avantgarde: "Du brauchst nicht einfach chaotisch zu spielen. Das ist keine Freiheit. Du brauchst die kontrollierte Freiheit", zitiert der Jazzpapst Joachim Ernst Berendt den Musiker.
Electric Jazz
Als die Elektronik Einzug in die Pop- und Rockmusik erhält, sucht sich Davis hier seine Inspiration. Er verkündet, er könne eine bessere Rockband zusammenstellen als Jimi Hendix und holt sich unter anderem die Pianisten Joe Zawinul und Chick Corea, den Drummer Billy Cobham, den Gitarristen John McLaughlin und Dave Holland am Bass. Die wegweisenden Alben "In A Silent Way" und "Bitches Brew" entstehen. Ein neuer Musikstil erobert den Jazz: eine elektrisierende Mischung aus Jazzrock, Fusion-Jazz, Electric Jazz und Elementen der Weltmusik durch die indischen Instrumente Sitar und Tabla. Davis schickt seine Trompete durch ein "Wah Wah"-Effektgerät, wie es sonst die Gitarristen beim Soul und Funk tun, sein Ton wird perkussiver.
Rückzug und Comeback
Davis will Musik für Schwarze machen. Doch muss er feststellen, dass sein Publikum überwiegend weiß ist. In einem Interview mit dem Londoner Magazin "Melody Maker" sagt er aufgebracht: "Ich spiele nicht für weiße Leute, Mensch. Ich will einen Schwarzen sagen hören: 'Ja, ich stehe auf Miles Davis'!"
Gerne wird ihm nachgesagt, dass dies der Grund sei, warum er später fast nur noch mit dem Rücken zum Publikum spielt. Davis aber kann sich besser auf seine Band und seine Musik konzentrieren, wenn er sich umdreht. Manche Stücke spielt er mit einer Hand an der Trompete, mit der anderen am Synthesizer.
Er ist "der Größte" - und will es auch bleiben. Er braucht dieses Gefühl, das ihn im Lauf der Zeit fast krank macht. Mitte der 70er zieht er sich zurück - weil er sich selbst überholt hat, weil er musikalisch den Faden verloren hat. Seine Psyche macht ihm zu schaffen - und die Drogen auch.
Nach sechs Jahren hat er das Tief überwunden. 1981 spielt er auf dem New York Jazz Festival und bezaubert sein Publikum. Der alte Miles ist wieder da, mit reinen Trompetentönen ohne Elektronik. Er holt den inzwischen außer Rand und Band geratenen Jazzrock zurück auf den Teppich - macht ihn wieder hörbar. Er nimmt zwei knackige Funk-Platten auf und entdeckt schließlich die Popmusik. Auf dem 1985er Album "You're Under Arrest" spielt er Michael Jacksons "Human Nature" und Cindy Laupers "Time After Time" - und erntet dafür nicht unbedingt die besten Kritiken - zu poppig. Er schert sich nicht drum, mttlerweile ist er fast 60 Jahre alt, hat in seinem Leben mindestens dreimal den Jazz revolutioniert, war der Größte - und tut nun, was ihm Spaß macht. Er scherzt sogar mit seinem Publikum und ist freundlich zu Journalisten.
Entspannt und kommerziell erfolgreich
Er hat sich selbst befreit und weiß, dass er die Musik nicht noch einmal erneuern muss. So nimmt er 1986 das relaxte Album "Tutu" auf und bekommt dafür seinen dritten Grammy. 1991 steht er noch einmal im Studio und nimmt mit dem Hip Hop-Produzenten Easy Mo Bee die ersten Tracks zum letzten Album "Doo Bop" auf. Die Aufnahmen bringt Miles Davis nicht zu Ende. Er erleidet im September 1991 einen Schlaganfall und fällt ins Koma. Am 28. September beschließt seine Familie, die lebenserhaltenden Apparate abzustellen.
"Doo Bop" erscheint posthum im Juni 1992. Easy Mo Bee hat über die restlichen Tracks Fragmente aus den Studio-Sessions gemixt. Es wird das kommerziell erfolgreichste Album von Miles Davis.