Militär: Journalistin wohl durch israelische Kugel getötet
5. September 2022
Die israelische Armee kommt nach dem Tod der Al-Dschasira-Reporterin Schirin Abu Akle während eines Militäreinsatzes im Mai zu einem ähnlichen Schluss wie zuvor ein US-Untersuchungsbericht.
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Die tödlichen Schüsse auf die palästinensisch-amerikanische Journalistin Schirin Abu Akle seien "sehr wahrscheinlich" vom israelischen Militär abgeben worden, heißt es in einem abschließenden Untersuchungsbericht der Armee zu dem Vorfall am 11. Mai. "Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie versehentlich von Schüssen des Militärs getroffen wurde", sagte ein hochrangiger Militärvertreter. Die Reporterin des katarischen Fernsehsenders Al-Dschasira sei jedoch zu keinem Zeitpunkt als Journalistin identifiziert worden.
Militärischer Generalstaatsanwalt: Kein Verdacht auf eine Straftat
Die israelische Armee hatte bislang angegeben, es sei unklar, wer die die tödlichen Schüsse abfeuerte. Das sei auch nach Abschluss der Untersuchungen nicht eindeutig zu klären, hieß es nun von israelischer Seite. Es lasse sich weiterhin nicht ausschließen, dass die Schüsse von bewaffneten Palästinensern abgegeben wurden. Strafrechtliche Ermittlungen sollen nicht eingeleitet werden. "Es gibt keinen Verdacht auf eine Straftat", teilte der militärische Generalstaatsanwalt mit.
Familie von Abu Akle kritisiert Israel
Die Familie von Abu Akle reagierte bestürzt. Israel versuche, die Wahrheit zu verschleiern und weigere sich, die Verantwortung für den "Mord" zu übernehmen, erklärten die Angehörigen und forderten eine "gründliche, unabhängige und glaubwürdige" Untersuchung durch die USA. Die Schuldigen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Israel sei dazu nicht in der Lage. Ein Sprecher von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sagte, die Palästinensische Autonomiebehörde werde die Angelegenheit weiter vor dem Internationalen Strafgerichtshof verfolgen.
Der Tod von Abu Akle - die auch US-Bürgerin war - löste international Bestürzung aus. Eine Untersuchung in den USA hatte zu dem Ergebnis geführt, dass die tödliche Kugel zwar vom israelischen Militär abgefeuert, Abu Akle jedoch nicht absichtlich erschossen worden sei. Die Beerdigung der 51-Jährigen in Jerusalem war von Gewalt überschattet worden.
ww/jj/pf (dpa, afp, ap)
Trauer um Al-Dschasira-Reporterin Schirin Abu Akle
Mehr als 25 Jahre berichtete Schirin Abu Akle aus den Palästinenser-Gebieten und Israel. Nun wurde sie beim Bericht über einen israelischen Militäreinsatz getötet. Sie gilt als Vorreiterin im arabischen Journalismus.
Bild: Marwan Naamani/dpa/picture alliance
Eine gestandene Reporterin
Schirin Abu Akle arbeitete seit mehr als 25 Jahren für den katarischen Nachrichtensender Al-Dschasira. Selbst christliche Palästinenserin, lebte und arbeitete sie in Ostjerusalem. Als Journalistin setzte sie sich vor allem mit dem Nahostkonflikt zwischen Palästinensern und Israelis auseinander. Schon oft hatte sie aus kritischen Situationen berichtet, galt dabei aber als besonnen und vorsichtig.
Bild: AFP
Im Einsatz getötet
Am Morgen des 11. Mai 2022 wollte Abu Akle mit drei Kollegen über einen Einsatz des israelischen Militärs gegen mutmaßliche Terroristen in Dschenin im Westjordanland berichten. Wie Videoaufnahmen zeigen, trugen alle vier Helme und Schutzwesten, die sie als Reporter auswiesen. Dennoch traf eine Kugel Abu Akle in den Kopf. Wer sie abgefeuert hat und mit welcher Absicht, ist bis dato unklar.
Bild: Jaafar Ashtiyeh/AFP/Getty Images
Genaue Umstände ungeklärt
In einem lokalen Krankenhaus konnte nur noch Abu Akles Tod festgestellt werden. Laut palästinensischen Ärzten stammt das tödliche Projektil aus einer Patrone, die von beiden Seiten verwendet wird. Israels Vorschlag zu gemeinsamen Untersuchungen lehnen die Palästinenser bisher ab.
Bild: Jaafar Ashtiyeh/AFP/Getty Images
Schuldzuweisung bei Gedenkakt
Am Tag nach dem tödlichen Schuss versammelten sich in Ramallah Tausende zu einer offiziellen Trauerfeier für die getötete Journalistin. Dabei nannte Palästinenserpräsident Abbas ihren Tod ein "Verbrechen" und wies die Verantwortung dafür den "israelischen Besatzungsbehörden" zu. Israel wies den Vorwurf zurück.
Bild: Eyad Jadallah/Zuma/IMAGO
Trauer in vielen Ländern
Abu Akle war weit über Israel und die Palästinenser-Gebiets hinaus anerkannt. Laut "New York Times" gehörte sie zu den bekanntesten Journalistinnen der arabischen Welt und inspirierte viele Menschen, vor allem Frauen, diesen Beruf zu ergreifen. Wie diese libanesische Journalistin trauerten Menschen in zahlreichen anderen arabischen Ländern um die Reporterin.
Bild: Bilal Hussein/AP Photo/picture alliance
Tod einer Vorreiterin
In Jerusalem geboren lebte Schirin Abu Akle zeitweise in den USA. Über Familienangehörige konnte sie die US-Staatbürgerschaft annehmen. Kurz nach der Gründung von Al-Dschasira 1996 wurde sie eine der ersten Reporterinnen des Senders.
Bild: AFP
Unruhen vor der Beisetzung
An diesem Freitag wird Schirin Abu Akle auf einem christlich-orthodoxen Friedhof nahe der Altstadt von Jerusalem beigesetzt. Als ihr Leichnam im Sarg aus dem Krankenhaus getragen wird, kommt es zu Gewalt zwischen israelischen Sicherheitskräften und trauernden Palästinensern. Beide Seiten werfen der anderen vor, provoziert und eskaliert zu haben.
Bild: Ahmad Gharabli/AFP/Getty Images
Pressefreiheit unter Beschuss
Diese künstlerische Hommage an Schirin Abu Akle in Gaza-Stadt symbolisiert auch die Gefahr, die viele Journalisten in Kauf nehmen. Laut Reporter ohne Grenzen ist Schirin Abu Akle bereits die 26. Journalistin, die in diesem Jahr wegen oder bei ihrer Arbeit getötet wurde, hinzu kommen zwei Medienmitarbeiter. 2021 wurden demnach weltweit 44 Medienschaffende in Ausübung ihres Berufs getötet.