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Politik

Militärische Perfektionisten unter sich

Maximiliane Koschyk
17. Juli 2019

Die einen stehen besser stramm, die anderen sind strikter bei den Vorschriften. Erstmals haben Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee mit der Bundeswehr in Deutschland trainiert. Maximiliane Koschyk berichtet.

Chinesische Sanitätssoldaten üben in Deutschland
Bild: picture-alliance/dpa/A. Weigel

Regen prasselt auf die Dachplane. Vier Soldaten tragen einen Verwundeten durch den kleinen Zelttunnel. Dahinter versteckt sich ein mobiler Operationssaal: Zwei Tische, Messgeräte, ein großer Schrank mit Tamponaden und Tupfern, sterilen Skalpellen. Eine Soldatin hilft Feldarzt Sven Schläfke wortlos und zügig in den OP-Kittel.

Währenddessen klebt ein Sanitäter ein Stück Stoff mit Kunstblut und Schminkpaste auf den Bauch des Patienten und bedeckt den Körper mit mehreren blauen Baumwolltüchern, bis der Verwundete komplett unter den Stofflagen verschwunden ist. Schläfke und sein Kollege stellen sich an den OP-Tisch. Der Kollege ist Zheng, Soldat der chinesischen Volksbefreiungsarmee. Schläfke ist Feldarzt im deutschen Bundeswehrkrankenhaus Berlin.

Andere Länder, andere Sicherheitsvorschriften

Draußen donnert und blitzt es. In einem deutschen Krankenhauszelt müssten sie die Operation jetzt abbrechen, erklärt Schläfke. "Die sind nicht geerdet." Die Gefahr eines Blitzeinschlags wäre zu groß. Schläfke und Zheng stehen aber in einem chinesischen Krankenhauszelt. Die sind geerdet, zumindest zum Teil. Zheng und die anderen Soldaten der Volksbefreiungsarmee bleiben ruhig, von Evakuierung keine Rede. Da ist das Gewitter über die Bundeswehr-Kaserne im bayerischen Feldkirchen auch schon wieder hinweggezogen.

Andere Länder, andere Sicherheitsvorschriften: Sie können zwischen Leben und Tod entscheiden. Damit am Ende das Leben über den Tod siegt, dafür haben der Deutsche Schläfke, der Chinese Zheng, die Ärzte und Sanitäter beider Armeen zwei Wochen lang den Ernstfall geprobt. Erstmals trainierten Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee in Deutschland mit den Truppen der Bundeswehr. "Combined Aid" - Gemeinsam Helfen - hieß die Übung mit rund 90 chinesischen und 120 deutschen Soldaten. 2016 trafen sich beide Sanitätskommandos bereits für eine Übung in China.

Wenn Wasserkocher eine Kaserne lahm legen

"Wenn man sich vorstellt, mit chinesischen Soldaten zusammenzuarbeiten, ist es erstmal fremd", sagt Matthias Frank, Sprecher des Sanitätsdienst der Bundeswehr. "Weil es eine ganz andere Kultur ist." Das zeigt die Anekdote von den Wasserkochern, die in Feldkirchen jeder erzählt. Als Geste der Gastfreundschaft hatte man sie auf die Stuben der Unterkunft für die Chinesen gestellt. Als die rund 100 Soldaten sich alle fast zeitgleich nach ihrer Ankunft einen Tee kochen wollten, sorgten die Kocher prompt für einen Stromausfall auf dem Gelände. Die Verständigung klappt sonst aber gut, sagen alle. Als Grundlage dient Englisch, für alles andere gibt es medizinische Protokolle, Hände und Füße. "Innen sind alle Körper gleich", sagt Arzt Zheng.

So unterschiedlich sie sind, Deutschlands und Chinas Armeen haben bereits ein gemeinsames Einsatzgebiet: Mali, einer der schwierigsten und tödlichsten UN-Friedensmissionen auf dem afrikanischen Kontinent. Deutschland und China tragen nach Angaben der Vereinten Nationen jeweils rund 400 Soldaten bei. Nur die an der Mission beteiligten afrikanischen Länder stellen mehr Truppen.

Gemeinsame Mission in Mali

In Feldkirchen trainieren sie deshalb Szenarien, die besonders für Einsätze wie in Mali relevant sind: Am Nachmittag klopft es an der Tür im deutschen Feldlazarett, das auf einem Schotterplatz der bayerischen Kaserne aufgebaut ist. Zu Übungszwecken soll es sich aber neben einem fiktiven UN-Flüchtlingslager befinden. Auf mehreren Pritschen liegen schon einige Patienten, mit bleich geschminkten Gesichtern simulieren sie Übelkeit, jetzt sind auch Soldaten erkrankt.

Wenige Schritte entfernt im mobilen Labor testen die Mikrobiologen Yang Chaojie und Nicole Fiedler gemeinsam die Proben auf ansteckende Krankheiten. "Die Tests funktionieren ähnlich, klar", sagt Fiedler. "Die Wissenschaft wird nicht neu erfunden." Ein Novum hat Yang aber dabei: Ein Verfahren, mit dem sich Cholera schnell identifizieren lässt.

Zwei Länder, eine Wissenschaft: Die Mikrobiologen Yang und Fiedler üben im militärischen FeldlaborBild: DW/M. Koschyk

Im Übungslazarett klingelt inzwischen das Telefon: Die Cholera ist im fiktiven Lager ausgebrochen. Das Lazarett wird zur Quarantäne-Station umgebaut, jetzt gilt es, das Ausbrechen einer Epidemie so schnell wie möglich zu verhindern. Solche Situationen haben sie in Westafrika schon während der Ebola-Krise 2014 erlebt. "Wir waren eigentlich zufällig mit den Behandlungseinrichtungen nebeneinander", erklärt Oberstleutnant Frank vom Sanitätskommando. Da habe man sich das erste Mal miteinander ausgetauscht. "Die chinesischen Sanitätssoldaten sind wirkliche Spezialisten, wenn es darum geht, Seuchen zu bekämpfen und einzudämmen."

Zwei Perfektionisten beäugen sich kritisch

Man kann viel voneinander lernen, das hört man hier überall, egal ob auf chinesisch oder deutsch. Die Deutschen Soldaten sind von dem Windows-Tablet begeistert, das an der chinesischen Röntgenmaschine klemmt und mit dem man mobil und flexibel die Röntgenaufnahmen sichten kann. Auch die nur in einer Box verstauten mobilen Krankenbetten mit Messgeräten begeistern. Die Chinesen wiederum begutachten die deutschen Fahrzeuge und freuen sich  über die deutsche Präzision. Und: "Die Übung wird sehr streng und genau organisiert", sagt Yang. "Für uns ist das typisch deutsch."

Die einen stehen besser stramm, die anderen sind strikter bei den Vorschriften. Zwei perfektionistische Kulturen, die sich ansonsten militärisch eher kritisch beäugen. Ende 2018 reiste die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen das erste Mal für sicherheitspolitische Gespräche in die Volksrepublik. Ziel: Erstmals Vertrauen aufbauen. Gemeinsame Übungen wie in Feldkirchen bleiben rein auf medizinische Aspekte reduziert. Von militärischer Kooperation ist keine Rede: Zusammen in der Welt Erste Hilfe zu leisten ist schon Herausforderung genug.

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