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PolitikNahost

Saudi-Arabien: Aus der Luft verwundbar

29. März 2022

Die immer wiederkehrenden Raketen -und Drohnen-Angriffe jemenitischer Huthi-Rebellen enthüllen nicht nur Schwächen der saudischen Luftabwehr. Sie schaden auch dem angestrebten Ruf des Landes als Investitionsstandort.

Saudi Arabien Huthi-Angriff auf Erdölllager bei Dschidda
In Sichtweite der Formel-1-Strecke: Huthi-Angriff auf ein Erdöllager bei Dschidda Bild: Hassan Ammar/AP/dpa/picture alliance

Die Revanche folgte umgehend: Am Freitag hatten Huthi-Rebellen ein Erdöllager nahe der Formel-1-Rennstrecke in Dschidda attackiert, am folgenden Sonntag beschoss die von Saudi-Arabien angeführte Internationale Koalition Lager und Stellungen der Huthis nahe der jemenitischen Hauptstadt Sanaa. Medienberichten zufolge wurden dabei mindestens acht Zivilisten getötet, darunter fünf Kinder und zwei Frauen.

Einmal mehr demonstrierte der Angriff der von Riads Erzrivalen Iran unterstützten Huthis die Verwundbarkeit des Königreichs - dieses Mal in besonders dramatischen Bildern. Der dichte schwarze Rauch der brennenden Anlage bildete auch aus mehreren Kilometern Entfernung eine dramatische Kulisse für das am gleichen Tag geplante Formel-1-Rennen.

"Nach diesem Wochenende sollten wir über die Zukunft reden", so der Formel-1-Sieger von Dschidda, Max Verstappen. Bild: Hassan Ammar/AP Photo/picture alliance

Zwar traten die Fahrer das Rennen nach langen Debatten an, der Fall war und ist für sie damit aber noch nicht erledigt. "Nach diesem Wochenende sollten wir mit der Formel 1 und den Teamchefs über die Zukunft reden", sagte etwa der Rennfahrer Max Verstappen. Formel-1-Chef Stefano Domenicali bekannte sich hingegen zum Königreich als Austragungsort. "Dieses Land macht riesige Fortschritte", so der Italiener. Die Formel 1 spiele dabei eine "sehr wichtige Rolle".

Abschreckung von Investoren

Dass der Angriff der Huthis exakt zum Zeitpunkt des Rennens erfolgte, sei kein Zufall, meint Sebastian Sons, Saudi-Arabien-Experte beim Bonner Nahost-Forschungszentrum CARPO. "Die Anschläge auf Dschidda im direkten Umfeld der Formel 1 sind ein Horrorszenario für Saudi-Arabien. Sie zeigen der Welt, dass die Huthis in der Lage sind, Saudi-Arabien an unterschiedlichsten Stellen anzugreifen. Entsprechend dürften einige Investoren davon absehen, in dem Land zu investieren."

Unter Druck: der Investitionsstandort Saudi-Arabien - hier eine Werbung für das Modernisierungsprojekt "Vision 2030"Bild: Karim Sahib/AFP/Getty Images

Damit bedrohten die Angriffe der Huthis die gesamten unter dem Namen "Vision 2030" bekannt gewordenen Modernisierungspläne Saudi-Arabiens, so Sons gegenüber der DW. "Die Vision 2030 und damit verbundene Megaprojekte wie die zu erbauende hochmoderne Wüstenstadt NEOM, das Infrastrukturprojekt Diriya Gate und andere sind davon abhängig, dass ausländisches Geld ins Land fließt. Bisher ist das nur unzureichend der Fall", so der deutsche Saudi-Arabien-Experte. Bereits jetzt gebe es trotz anderslautender Bekundungen des saudischen Staates aufgrund der Corona-Pandemie mehrere Engpässe und Probleme bei der Umsetzung der Vision 2030. Umso schwerer wögen darum die Angriffe der Huthis. "Sie könnten tatsächlich dazu führen, dass das Vertrauen in den Investitionsstandort Saudi-Arabien noch mehr verloren geht", so Sons.

Schwächen der Luftabwehr

Wiederholte Angriffe der Huthis haben zudem gezeigt: Das saudische Militär ist nur bedingt in der Lage, das Territorium des Königreichs zu verteidigen. Insbesondere die Sicherung des Luftraums bildet eine Schwachstelle.

Das liegt nicht zuletzt an den USA, die im vergangenen Sommer ihre zum Schutz ihrer saudischen Verbündeten installierten hochmodernen Raketenabwehrsysteme aus dem Königreich teilweise abgezogen hatten. Bestimmte Luftabwehrsysteme seien verlagert worden, erklärte damals der Sprecher der US-Verteidigungsministeriums, John Kirby. Zuvor hatte US-Präsident Joe Biden entschieden, die Beziehungen zwischen Washington und Riad nach dem Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi auf eine neue Grundlage zu stellen. Seitdem steht Saudi-Arabien das bisherige Verteidigungssystem nur noch eingeschränkt zur Verfügung.

Bewaffnet gegen Saudi-Arabien: Huthi-Rebellen im JemenBild: Hani Al-Ansi/dpa/picture alliance

Zwar bemühe sich Saudi-Arabien, bei seinem nationalen Verteidigungssystem mit unterschiedlichen Partnern zusammenzuarbeiten, so etwa mit China, Griechenland und zumindest bis zum Beginn des Ukrainekrieges auch mit Russland, sagt Sebastian Sons. Aber wichtigster Partner des Königreichs seien weiterhin die USA. "Allerdings haben die politischen Verwerfungen zwischen Biden und Kronprinz Mohammed bin Salman dazu beigetragen, die Verteidigungsfähigkeit Saudi-Arabiens zu verschlechtern."

Schwachstelle Radar

Inzwischen aber nähern sich die USA und Saudi-Arabien einander wieder an. Wenige Tage vor dem Angriff der Huthis hatten die USA Medienberichten zufolge auf "dringende Bitte" Riads hin Abfangraketen des Patriot-Systems auf die Halbinsel gebracht.

Allerdings seien diese nicht auf Herausforderungen der Art ausgerichtet, wie sie nun die Angriffe der Huthis darstellen, meinen Experten. Die saudische Armee habe derzeit zwar noch hinreichende Mengen an Luftabwehrraketen, sagt Bilal Saab, Direktor des Verteidigungs- und Sicherheitsprogramms des Middle East Institute in Washington. "Das Problem ist aber das Radar. Die derzeit eingesetzten Radaranlagen sind nicht in der Lage, niedrig fliegende Waffen zu erkennen." 

Hoffnungen auf israelisches System

Um seine Luftabwehr zu verstärken soll Saudi-Arabien bereits im vergangenen Sommer sogar Israel um Lieferung seines bekannten Iron-Dome Systems gebeten haben. Zwar hat Saudi-Arabien - anders als etwa seine engen Verbündeten Bahrain und Vereinigte Arabischen Emirate - bisher noch kein Normalisierungsabkommen mit Israel unterzeichnet, es gibt also keine offiziellen Kontakte. Doch die beiden Länder haben sich einander hinter den Kulissen bereits sehr stark angenähert. Offenbar nahe genug, um einen solchen Deal durchaus bilateral verhandeln zu können. Allerdings hat sich Israel laut "Jerusalem Post" bisher nicht zu einem Verkauf des Systems an Riad entschieden.

Tatsächlich wären der Iron Dome eine effiziente Ergänzung der bisher vor allem auf das amerikanische Patriot-System setzenden saudischen Luftabwehr, sagt Verteidigungsexperte Bilal Saab im DW-Gespräch. Bei der Abwehr herkömmlicher Raketen funktioniere das amerikanische Patriot-System sehr gut, meint er. "Gewisse Probleme hat es aber zum einen mit Marschflugkörpern und zum anderen mit Drohnen. Im Jahr 2019 hatten die Houthis beides in einer Operation eingesetzt. Das hat die Raketenabwehr der Saudis überfordert."

Auch in Riad begehrt: das israelische Luftverteidigungssystem Iron DomeBild: Jack Guez/AFP/Getty Images

Hier könnte das israelische Iron-Dome-System tatsächlich helfen. "Es wurde entwickelt, um Raketen und Artilleriegranaten von kurzer und mittlerer Reichweite abzufangen - Geschosse, wie sie etwa die Hamas in den Palästinensergebieten abfeuert. Gegen diese Art Angriffe könnte Iron Dome helfen", so Saab.

Im März verkündete Saudi-Arabien darüber hinaus während einer "World Defense Show" im eigenen Land, dass es in Absprache mit den USA Komponenten des vom US-Konzern entwickelten Raketenabwehrsystems THAAD künftig auch auf eigenem Staatsgebiet produzieren werde. Die im Dezember 2021 begonnenen Arbeiten würden allerdings erst im Laufe des Jahres 2022 vollendet sein.

Gespräche ohne Huthis

Einen Tag nach dem Angriff hatten die Huthi-Rebellen eigenen Angaben zufolge eine dreitägige Waffenruhe gegen die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition angekündigt und sogar einen anhaltenden Waffenstillstand in Aussicht gestellt. Voraussetzung sei, dass Saudi-Arabien sich vollständig aus dem Jemen zurückziehe. Durch die vorhergehende Attacke könnten die Huthis versucht haben, ihre Verhandlungsposition zu verbessern, sagt Stephan Roll, Saudi-Arabien-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. "Für Saudi-Arabien zeigt sich einmal mehr, dass es grundsätzlich verwundbar bleibt."

Die Huthis dagegen pokern weiter hoch: Bei kurz darauf begonnenen Jemen-Gesprächen auf Ebene der Golfstaaten in Riad sind sie nicht dabei, weil sie Saudi-Arabien als Verhandlungsort ablehnen und auf einer Einstellung der Kämpfe auch von saudischer Seite beharren.  

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.