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Politik

"Militante Uiguren haben Aktionsradius erweitert"

Shamil Shams | Rodion Ebbighausen
6. Januar 2017

Nach dem Anschlag auf einen Nachtklub hat die Türkei mehrere uigurische Muslime verhaftet. Auch der Haupttäter soll Uigure sein. Siegfried O. Wolf spricht mit der DW über die Radikalisierung mancher Uiguren.

China startet Anti-Terror-Kampagne in Xinjiang
Bild: picture-alliance/AP Images/Zhang Hao/ColorChinaPhoto

Deutsche Welle: Welche Rolle spielen die Uiguren im globalen Dschihadismus?

Siegfried O. Wolf: Wir müssen den Uiguren-Konflikt in China auch im Kontext des islamistischen Dschihad und des Fundamentalismus sehen. Es ist wichtig herauszufinden, in welchem Umfang uigurische Flüchtlinge und illegale Migranten in dschihadistische Netzwerke innerhalb und außerhalb Südasiens eingebunden sind und inwiefern sie als mögliche Rekruten für terroristische Organisationen infrage kommen.

Nach chinesischen Quellen benutzen militante Uiguren gefälschte türkische Reisepässe, um in Afghanistan oder Pakistan extremistischen Gruppen beizutreten. In den Ausbildungscamps in Afghanistan und Pakistan, die zum großen Teil von Saudi-Arabien finanziert werden, erhalten die Uiguren militärisches Training und werden indoktriniert.

Viele der Kämpfer sind in der Dachorganisation East Turkistan Islamic Movement (ETIM) organisiert. ETIM wurde 2002 von den USA als terroristische Gruppe gelistet.

Siegfried O. WolfBild: Siegfried Wolf

Was wissen wir über ETIM?

Nach Angaben der Vereinten Nationen ist ETIM mit Al-Kaida assoziiert. Einige ihrer Mitglieder haben gemeinsam mit den Taliban in Afghanistan gegen die NATO gekämpft. Außerdem haben einige uigurische Kämpfer eine militärische Ausbildung in der russischen Teilrepublik Tschetschenien erhalten und waren in terroristische Aktivitäten in Kirgisistan involviert. Nicht zuletzt hat ETIM auch Kämpfer nach Syrien gesandt, um für den sogenannten "Islamischen Staat" (IS) zu kämpfen. Der IS wiederum hat China den Dschihad erklärt, da die Regierung die muslimische Bevölkerung der Uiguren unterdrückt. 

Halten Sie es für möglich, dass uigurische Dschihadisten den Anschlag in der Türkei verübt haben?

Es ist sehr schwer abzuschätzen, welche logistischen und organisatorischen Fähigkeiten ETIM hat. 2014 veröffentlichte Reuters einen Bericht, nach dem rund 400 militante Uiguren in Pakistan und rund 250 in Afghanistan aktiv seien. Es gibt auch Medienberichte, nach denen etwa 300 chinesische Staatsbürger - die meisten von ihnen Uiguren - für den IS kämpfen.

Unstrittig ist, dass uigurische Dschihadisten eine wachsende Bedrohung für die Sicherheit darstellen. Sie sind nicht nur sehr gut integriert in internationale Terrornetzwerke, sondern haben ihren Aktionsradius erheblich erweitert. Ich glaube, dass sie in der Lage wären, terroristische Attacken in der Türkei und anderswo zu verüben.

(Archiv) Uigurische Flüchtlinge in der türkischen Stadt KayseriBild: Reuters/U. Bektas

Der IS hat den Anschlag in der Türkei ebenfalls für sich reklamiert. Was können Sie uns über die Verbindung zwischen den radikalisierten Uiguren und dem IS sagen?

In der Vergangenheit hatten der IS und die Al-Kaida nur wenig Interesse für die Uiguren und deren schwierige Lage in China gezeigt. Das hat sich in letzter Zeit allerdings geändert. In Syrien sind viele militante Uiguren der al-Nusra-Front, einer Splittergruppe von Al-Kaida, beigetreten, die mit der Turkestan Islamic Party (TIP) verbündet ist, die wiederum eine der größten Organisationen für uigurische Kämpfer ist. Es gibt aber auch Berichte, dass Uiguren dem IS beigetreten sind. Es hat also den Anschein, dass die al-Nusra-Front und der IS in Syrien um militante Uiguren konkurrieren.

Wie kommt es dazu, dass immer mehr Uiguren China verlassen und dschihadistischen Gruppen beitreten?

Die Uiguren sehen sich selbst als die Ureinwohner der nordchinesischen Autonomen Region Xinjiang, die sie "Ost-Turkistan" nennen. Viele der Uiguren, die eine Turk-Sprache sprechen, fühlen sich eher Zentralasien verbunden als China. Sie streben einen eigenständigen Staat oder zumindest größere Autonomie an. So kann es nicht überraschen, dass die chinesischen Sicherheitsbehörden mit großer Härte in Xinjiang agieren, um die Region unter Kontrolle zu halten, die sowohl aus ökonomischen als auch aus geostrategischen Gründen für China wichtig ist.

(Archiv) Eine uigurische Frau protestierte 2015 in Xinjiang gegen Unterdrückung durch die Pekinger ZentralregierungBild: picture-alliance/dpa/D. Azubel

Peking hat in den letzten Jahren immer strengere Gesetze gegen die Uiguren erlassen und das Sicherheitsbudget für Xinjiang erhöht. Im Ergebnis haben die Spannungen zwischen den Uiguren und der Mehrheit der Han-Chinesen dramatisch zugenommen. Zusammenstöße und gewalttätige Unruhen brachen etwa im Juli 2009 aus. Damals kamen mindestens 197 Menschen ums Leben. Eine zweite Welle der Gewalt ereignete sich 2012. Daraufhin sind viele Uiguren - sowohl legal als auch illegal - aus China geflohen.

Siegfried O. Wolf ist Forschungsdirektor des Brüsseler South Asia Democratic Forum (SADF) und forscht am Heidelberger Südasien-Institut. 

Das Interview führte Shamil Shams.

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