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Minderheitsregierung in Deutschland: Was ist möglich?

9. November 2024

Bundeskanzler Olaf Scholz hat seine Mehrheit verloren. Aber auch ohne die FDP kann der Sozialdemokrat mit den Grünen Entscheidungen treffen - allerdings nur wenige.

Bundeskanzler Olaf Scholz beantwortet Fragen von Journalistinnen und Journalisten, die ihm ihre Mikros und Mobiltelefone entgegenhalten.
Die erste Auslandreise als Bundeskanzler einer Minderheitsregierung führte Olaf Scholz nach Ungarn zum informellen Treffen des Europäischen RatesBild: Kay Nietfeld/picture alliance/dpa

Nach dem Bruch der Koalition aus Sozialdemokraten (SPD), Grünen und Freien Demokraten (FDP) steuert Deutschland auf eine vorgezogene Bundestagwahl zu. Bundeskanzler Olaf Scholz strebt dafür den März 2025 an. Der planmäßige Termin wäre erst im September gewesen. Durch den Ausstieg der FDP amtiert in der Übergangszeit eine sogenannte Minderheitsregierung, weil SPD und Grüne keine eigene Mehrheit im Parlament haben.

Handlungsfähig bleibt das Zweierbündnis trotzdem, obwohl es ohne Unterstützung aus der Opposition keine Gesetze mehr beschließen kann. Das wäre für SPD und Grüne vor allem mit Blick auf den Bundeshaushalt 2025 hilfreich. Der Streit darüber war für Scholz der entscheidende Grund, seinen Finanzminister Christian Lindner (FDP) zu entlassen.

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Auch ohne Bundeshaushalt kann Geld ausgegeben werden

Sollte Deutschland tatsächlich keinen Haushalt für das kommende Jahr beschließen, wäre die Minderheitsregierung trotzdem handlungsfähig - allerdings auf sehr niedrigem Niveau. Grundlage dafür ist Artikel 111 des Grundgesetzes, wie die Verfassung in Deutschland heißt.

Demnach ist eine Regierung auch ohne Zustimmung des Parlaments ermächtigt, alle finanziellen Verpflichtungen des Bundes zu erfüllen. Das sind insbesondere Sozialleistungen wie das Bürgergeld und Gehälter für Bundesbedienstete. Dafür dürfen notfalls sogar Kredite aufgenommen werden. 

Der Bundespräsident spielt eine wichtige Rolle

Mehr Spielraum hat die nun amtierende Minderheitsregierung nicht. Sie ist ein Provisorium mit einem kurzen Verfallsdatum. Mitte Januar will Kanzler Scholz im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Sollte er erwartungsgemäß keine Mehrheit erhalten, kann er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bitten, das Parlament aufzulösen. Auch dafür gibt es eine Regelung im Grundgesetz: Artikel 68.

Auf dieses Szenario ist das Staatsoberhaupt längst eingestellt: "Unser Land braucht stabile Mehrheiten und eine handlungsfähige Regierung. Das wird mein Prüfungsmaßstab sein", erklärte Steinmeier am Tag nach dem Koalitionsbruch. Kurz danach überreichte er drei Regierungsmitgliedern der FDP ihre Entlassungsurkunden. Nachdem Finanzminister Lindner von Regierungschef Scholz entlassen worden war, baten Justizminister Marco Buschmann und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger von sich aus darum. 

Steinmeier appelliert in Regierungskrise an Verantwortung

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Steinmeier: "Es ist keine Zeit für Taktik und Scharmützel"

Bundespräsident Steinmeier appellierte an alle Parteien, ihrer Verantwortung gerecht zu werden: "Viele Menschen in unserem Land blicken mit Sorge auf eine unsichere politische Lage - in unserem eigenen Land, in Europa, in der Welt, auch nach den Wahlen in den USA." In den Vereinigten Staaten von Amerika ist der Republikaner Donald Trump ein zweites Mal zum Präsidenten gewählt worden.

Sein Comeback löste nicht nur in Deutschland Sorgen über die Zukunft des transatlantischen Verhältnisses aus. Derweil ermahnt Steinmeier sowohl die Minderheitsregierung als auch die Opposition, sich den Herausforderungen zu stellen: "Es ist nicht die Zeit für Taktik und Scharmützel. Es ist die Zeit für Vernunft und Verantwortung." 

Habeck: "Wir werden die deutsche Stimme einbringen"

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geht davon aus, dass die Minderheitsregierung auch international handlungsfähig bleibt: "Wir werden für Deutschland beziehungsweise Europa die deutsche Stimme einbringen." Was er damit meint, macht Habeck an einer Prioritätenliste deutlich: Für Freiheit und Frieden in Europa, den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, des Klimas und der Biodiversität sowie gegen Hass und Populismus.

Habeck: "Zügig den Weg zu geordneten Neuwahlen freimachen"

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Habecks Botschaft lautet: Die Welt kann sich auch in Zeiten innenpolitischer Turbulenzen auf Deutschland verlassen. Wirklich? Wie sieht es zum Beispiel mit der weiteren Unterstützung der von Russland völkerrechtswidrig überfallenen Ukraine aus? Da käme es jetzt stark auf die oppositionellen Konservativen (CDU/CSU) im Bundestag an, meint Henning Hoff von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im DW-Gespräch.

Experte sieht großen außenpolitischen Konsens

"Ich denke, dass es mit Hilfe dieser Stimmen schon möglich sein sollte, ein Signal zu setzen und die deutsche Ukraine-Hilfe zu erhöhen", sagt der außenpolitische Experte. Auch bei anderen großen internationalen Problemen wie dem Nahost-Konflikt sieht Hoff eine große Schnittmenge zwischen der rot-grünen Minderheitsregierung und CDU/CSU. "Das zeugt von dem großen Konsens, den wir in außenpolitischen Fragen in Deutschland haben. Auch das ist ein stabilisierender Faktor jetzt in dieser Krisenzeit."

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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