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GesellschaftSlowakei

Mini-Minderheit: Die Karpatendeutschen in der Slowakei

Kay Zeisberg (aus Bratislava)
27. November 2024

Zu den nationalen Minderheiten in der Slowakei gehört auch die deutsche. Sie ist aber winzig klein: Weniger als 10.000 Karpatendeutschen leben in der Slowakei. Vom einstigen deutschen Leben ist wenig geblieben.

Zweisprachiges Ortschild mit der slowakischen Aufschrift Kunesov auf weißem Hintergrund und darunter der deutschen Aufschrift Kuneschhau auf einem blauen Hintergrund
In Kunesov in der Mittelslowakei ist Deutsch die zweite AmtsspracheBild: Kay Zeisberg/DW

Nur zwei Orte in der Slowakei tragen heute noch deutsche Namen: Kuneschhau und Hopgarten. Auf Slowakisch heißen sie Kunesov und Chmelnica. Nur in diesen zwei Orten mit einem relativ hohen deutschen Bevölkerungsanteil gilt Deutsch neben dem Slowakischen als zweite Amtssprache. Die sogenannten Karpatendeutschen gibt es in geringer Zahl aber auch noch in anderen Städten und Gemeinden, so zum Beispiel in der slowakischen Hauptstadt Bratislava, wo sich 2420 Menschen der deutschen Nationalität zuordnen.

In der Slowakei sind rund 16 Prozent der Staatsbürger Angehörige einer anderen Volksgruppe, wobei die der Ungarn mit 7,8 Prozent die größte ist. Ihr folgen die Roma mit offiziell 1,2 Prozent, doch ihre tatsächliche Zahl dürfte nach Meinung von Fachleuten deutlich höher liegen. Mit einer Null vor dem Komma sind weitere 13 Minderheiten verzeichnet, von Bulgaren über Kroaten bis zu Ukrainern. Zuletzt kamen 2023 die Vietnamesen mit 0,1 Prozent hinzu.

Gedenktafel für vertriebene KarpatendeutscheBild: Wikimedia/Pylambert

Laut der letzten Volkszählung in der Slowakei (2021) haben 3318 Menschen Deutsch als erste und 5255 als zweite Nationalität angeben, zusammen also 8573. Genug, um als Minderheit staatlich anerkannt zu werden. Doch sind es letztlich nur 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Deutschen sind also heute eine wirklich kleine Minderheit. Immerhin: Das Slowakische Nationalmuseum (SNM) widmet ihnen ein "Museum der Kultur der Karpatendeutschen" in der Hauptstadt Bratislava mit drei weiteren Ausstellungsorten in der Provinz.

Deutsche Erfolgsgeschichte im Mittelalter

Die Karpatendeutschen sind heute weitgehend assimiliert, so dass von Generation zu Generation immer weniger von ihnen die deutsche Sprache beherrschen bzw. benutzen. Beim letzten Zensus haben nur noch knapp 4000 Menschen Deutsch als Muttersprache angegeben - weniger als die Hälfte derer also, die sich zu ihrer deutschen Herkunft bekannt haben. Bis vor dem Ersten Weltkrieg jedoch wurde auf dem Gebiet der heutigen Slowakei noch deutlich mehr Deutsch gesprochen.

Exponat im Slowakischen Nationalmuseum: ein Imkerbuch in deutscher Sprache Bild: Karpatenblatt

Die Geschichte der Deutschen in dieser Region reicht bis ins Mittelalter zurück. Deutsche Siedler kamen ab dem 12. Jahrhundert in Gegenden, die damals Bestandteil des ungarischen Königreichs waren und besiedelten vor allem bis zum 15. Jahrhundert oberungarische Städte. Als Handwerker, Bergleute oder Lehrer wurden sie zumeist von den ungarischen Königen angeworben und entwickelten sich im Mittelalter zu einer Führungsschicht in den bis heute als Karpatendeutsche Regionen bezeichneten Gebieten Pressburg (Bratislava), Hauerland in der Mittelslowakei, Oberzips und Unterzips im Nordosten der Slowakei.

Später, ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, waren nicht nur die Slowaken, sondern auch die Deutschen einem starken Magyarisierungsdruck ausgesetzt. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 hingegen kam es zu einem Zustrom an Slowaken und einer Abwanderung von Ungarn. Auch die Zahl der Deutschen ging in der Zeit der ersten Tschechoslowakischen Republik (1918-1938) weiter zurück. Waren es 1910 noch 6,8 Prozent, so betrug deren Bevölkerungsanteil 1930 nur noch 4,5 Prozent.

Entfremdung und Vertreibung

Der klerikal-faschistische slowakische Marionettenstaat in der Zeit des Zweiten Weltkriegs versuchte zunächst, die deutsche Minderheit mit ihren damals noch rund 130.000 Angehörigen zu bevorzugen und zu vereinnahmen. Bei weitem nicht alle Deutsche waren Anhänger der Nazi-Ideologie. Die vom slowakischen Kriegsstaat zugelassene "Deutsche Partei" hatte rund 60.000 Mitglieder. Doch obwohl weniger als die Hälfte der Deutschen mit Judenfeindlichkeit oder Nazipropaganda in Verbindung zu bringen war, kam es zu einer fortschreitenden Entfremdung von der slowakischen Mehrheitsbevölkerung.

Die Ereignisse des Slowakischen Nationalaufstands von 1944 und das Vorrücken der Roten Armee führten schließlich zu einer massiven Evakuierung, die von der deutschen Regierung und dem slowakischen Kollaborationsregime des katholischen Priesters Jozef Tiso organisiert wurde. Aufständische hatten Massenerschießungen an sogenannten Volksdeutschen verübt. Wissenschaftler wie etwa der slowakische Historiker Martin Lacko sprechen von bis zu 1500 Opfern. Bis heute gibt es dazu keine genauen Zahlen, ebenso wenig wie zu den Evakuierten. Man geht von zwei Dritteln der in der Slowakei lebenden Deutschen aus, die ins Deutsche Reich, darunter ins Sudetenland, gebracht wurden oder von sich aus flohen.

Nachkriegszeit: Von Ausweisung bis Rückkehr

Nach dem Krieg kehrten einige von ihnen zurück. Doch schon 1946 kam es erneut zu Ausweisungen aus der dann bereits kommunistisch beherrschten Tschechoslowakei. Grundlage waren Verordnungen der provisorischen tschechoslowakischen Nationalversammlung, die oft historisch vereinfachend als Benes-Dekrete bezeichnet werden. Bei einer Volkszählung 1950 bekannten sich nur noch rund 5000 Menschen zur deutschen Nationalität.

Um einen Schlussstrich unter das historische Drama und das begangene Unrecht bemühte sich erst nach der demokratischen Wende der slowakische Nationalrat. Er verabschiedete 1991 eine Erklärung, mit der "die Hand der Versöhnung ausgestreckt" und vom Gedanken einer Kollektivschuld Abstand genommen wurde.

Der ehemalige Präsident der Slowakei, Rudolf Schuster, im Interview mit der DWBild: Kay Zeisberg/DW

Bedeutung erlangten die Deutschstämmigen in der Slowakei noch einmal im Jahr 1999. Der Karpatendeutsche Rudolf Schuster wurde zum Präsidenten der Republik gewählt und blieb es bis 2004. Inzwischen über 90 Jahre alt, nennt er sich selbst in seinem mantakischen Dialekt einen "kommunistischen Katholer". Der Traditionalist und Pragmatiker mit Sozialismus-Karriere und Bürgermeister-Erfahrung in der zweitgrößten slowakischen Stadt Kosice wurde wegen seiner politischen Vergangenheit als Mitglied der Kommunistischen Partei oft kritisiert, ist aber dennoch bei vielen Einheimischen immer noch beliebt.

In der gesellschaftlichen Realität genießen die Deutschen heute in der Slowakei  einen guten Ruf, ob als Unternehmer und Investoren, Touristen oder eben Angehörige der nationalen Minderheit. Nur sehr vereinzelt und auch nur aus extrem nationalistischen Kreisen kommt es zu Negativäußerungen, die auf die Nazizeit Bezug nehmen.

Dass derzeit in den Medien über eine mögliche Verschärfung des Gesetzes über die Staatssprache diskutiert wird, wie sie die Kulturministerin Martina Simkovicova von der Slowakischen Nationalpartei plant, verfolgen die Vertreter der zahlreichen verschiedenen Nationaltäten in der Slowakei besonders aufmerksam. Denn gerade die Minderheiten, ob zahlenmäßig große oder kleine, sind auf das Recht eines freien Sprachgebrauchs besonders angewiesen.

Zwischen Traditionspflege und Jugendarbeit

Repräsentiert werden die Deutschen durch den Karpatendeutschen Verein in der Slowakei, der auch von den slowakischen Behörden anerkannt und gefördert wird. Er kümmert sich um den Erhalt der deutschen Sprache und Traditionen durch Vereinstreffen, Trachtenfeste oder Schulprojekte. Das "Karpatenblatt" betreibt ein aufwendiges Webportal und gibt den Podcast "Karpatenfunk" sowie eine Monatszeitschrift heraus.

Karpatendeutsche Frauen in Tracht bei einer Folklore-Darbietung in Kezmarok (Kesmark)Bild: Karpatenblatt

Gefördert werden deutsche Einrichtungen und Projekte in der Slowakei - vor allem für den Nachwuchs - vom Bundesinnenministerium, vom Auswärtigen Amt, von Landsmannschaften und verschiedenen akademischen Institutionen wie etwa dem Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart.

Die hochmoderne Deutsche Schule Bratislava mit Kindergarten, Grundschule und Gymnasium besuchen aktuell rund 400 Lernende, hauptsächlich aus der Slowakei und Deutschland. Außerdem gib es das bilinguale Gymnasium in der Wintersportstadt Poprad. Bei folkloristischen Veranstaltungen in früheren karpatendeutschen Hochburgen wie etwa in Kezmarok (auf Deutsch Kesmark) bekommen deutsche Mundarten, Volkstrachten und Lieder für kurze Momente eine öffentliche Bühne.

Das Bemühen von offizieller deutscher Seite stößt jedoch an Grenzen. Der deutsche Botschafter in der Slowakei, Thomas Kurz, beschrieb die Situation in einem Interview mit dem slowakischen Auslandsrundfunk im September 2024 diplomatisch-bedauernd so: Er freue sich über deutsches Leben in der Slowakei - "...soweit es überhaupt noch vorhanden ist".

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