Ministerin Reiche und die "Atomfreunde" in der EU
30. Juni 2025
Es war nur eine kleine Differenz, ein kleinlicher Streit um die Gestaltung eines Abends bei der EU in Brüssel. Und doch zeigt sich beim Disput zwischen Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) und Umweltminister Carsten Schneider (SPD), wie unterschiedlich beide Kabinettsmitglieder Fragen zur Rolle der erneuerbaren Energien, zum Klimaschutz und zur Kernenergie beantworten. Zwischen den beiden Kabinettskollegen kann es jederzeit zu handfestem Streit um solche Fragen kommen.
Ein abendliches, informelles Treffen
Mitte Juni hatte sich Reiche in Brüssel nach einer Möglichkeit umgesehen, den Abend nach einem langen Treffen mit ihren EU-Ressortkollegen zu verbringen. Zwei Termine standen zur Auswahl: ein Treffen mit Vertretern aus Ländern, die die erneuerbaren Energien weiterhin ambitioniert ausbauen wollen. Und ein zweites Treffen mit atomfreundlichen Staaten: Immerhin 12 der 27 EU-Staaten betreiben Atomkraftwerke. Frankreich ist mit 55 Reaktoren das Land mit dem höchsten Anteil an Kernkraftwerken. An dem Treffen dieser Länder nahm Reiche schließlich teil. Und das, obwohl Deutschland aus der Kernenergie ausgestiegen ist. Das letzte Kraftwerk ging im Frühjahr 2023 vom Netz. Den Ausstieg hatte noch die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der Reaktor-Katastrophe im japanischen Fukushima 2011 beschlossen.
Schneider beharrt auf seiner Zuständigkeit
Dass Reiche trotzdem das Treffen mit den atomfreundlichen Staaten wählte, stieß ihrem Kollegen von der SPD sauer auf. Carsten Schneider ist offiziell als Umweltminister für die atomare Sicherheit in Deutschland zuständig, etwa für Fragen zur Zwischen- und Endlagerung von Atommüll.
Etwas schnippisch ließ er über das Treffen Reiches mit den europäischen Atomkraftbefürwortern mitteilen: "Deutschland hat nicht daran teilgenommen, sondern es ist eine Einzelentscheidung meiner Ministerkollegin, die natürlich frei ist in dem, was sie tut." Und weiter: "Wir haben den Atomausstieg beschlossen. Er ist auch gesellschaftlich akzeptiert." Deutschland habe bei der Frage der Energieform der Zukunft die erneuerbaren Energien wie Sonne und Wind im Fokus, mittlerweile werde auch ein Großteil der Energie aus Wind oder Sonne gewonnen. "Weitere Zusagen (an die Atomindustrie, d. Red.) gibt es nicht, wird es auch nicht geben", so Schneider.
Ein deutsch-französisches Papier
Die Uneinigkeit zwischen Wirtschaftsministerium und Umweltressort bei Fragen der Kernenergie war auch schon vorher spürbar. Ende Mai hatte Reiche in Brüssel gesagt, bei Fragen der Energiegewinnung sei sie "technologieoffen". Konkreter Anlass war ein gemeinsames Papier der Regierungen in Paris und Berlin, in dem es hieß, man werde einen deutsch-französischen Neustart in der Energiepolitik durchführen, "der auf Klimaneutralität, Wettbewerbsfähigkeit und Souveränität beruht". Mit anderen Worten: In der EU sollen nach dem Willen von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron alle Energieformen gefördert werden, solange sie nur emissionsarm sind.
Rücksicht auf das Atomland Frankreich
In Frankreich gilt das vor allem für die vielen Atomkraftwerke. Tatsächlich stoßen Atomanlagen im Betrieb wenig oder gar keine Klimagase aus und gelten den Befürwortern deshalb als klimafreundlich. Die Gefahren der Technologie liegen eher in der Beherrschung der nuklearen Kettenreaktion und des anfallenden Atommülls, der über viele tausend Jahre strahlt. Nach den EU-Verträgen hat jeder Mitgliedsstaat das Recht, seinen eigenen Energiemix zu wählen.
Reiche plant viele neue Gaskraftwerke
Nicht nur bei der Kernenergie, auch bei der Frage nach neuen Gaskraftwerken ist Streit zwischen dem Wirtschaftsressort von Katherina Reiche und dem Umweltministerium von Carsten Schneider absehbar. Kaum im Amt, verkündete die CDU-Ministern, 20 neue Gaskraftwerke bauen lassen zu wollen. Auch die Vorgängerregierung hatte einen Neubau angekündigt, um die oft schwankenden Lieferungen durch Sonne und Wind auszugleichen. Aber nicht in dieser hohen Stückzahl. Das macht Schneider auch deshalb Sorgen, weil er für die Einhaltung der deutschen Klimaziele zuständig ist. Und der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung hatte Mitte Mai angemahnt, die Erreichung des Ziels, bis 2045 klimaneutral zu werden, müsse noch mit einem wirklich konkreten Plan der Regierung untermauert werden.
Eine Warnung der Klimaexperten
Im Moment helfe der Regierung die eher schwache Konjunktur und die damit geringere Produktion vor allem in der Industrie, so der Expertenrat. Einer der Experten, der Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln, Marc Oliver Bettzüge, sagte dazu dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel": "Zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht klar, wie die Bundesregierung das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 erreichen will." Und schon gar nicht, wenn Reiche viele neue Gaskraftwerke bauen möchte. Gaskraftwerke verursachen zwar weniger Klimagase als etwa Kohlekraftwerke, aber 20 neue Anlagen würden die Erreichung der Klimaziele schon beeinträchtigen.
Ein klassischer Interessenskonflikt
Schon in der Vergangenheit waren Wirtschafts- und Umweltressort bei Fragen des Klimaschutzes und der Energiepolitik öfter aneinandergeraten. Das Umweltressort ist meist für möglichst ambitionierte Maßnahmen zum Abbau von Klimagasen, das Wirtschaftsressort für möglichst wenig Umweltauflagen für Industrie und Firmen. Ein Gegensatz, der auch für die neue Bundesregierung zu gelten scheint.