1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Glaube

Inszenierung oder Wandel?

Maximiliane Koschyk
21. Februar 2019

In Rom will sich die Katholische Kirche einem weltweiten Skandal stellen: Jahrzehntelang wurden Minderjährige von Klerikern missbraucht. Doch im Kirchenstaat geht es derzeit auch um die Zukunft der Kirche.

Vatikan Missbrauchs-Gipfel: Papst fordert konkrete Maßnahmen von Bischöfen
Bild: Reuters/Vatican Media

Wie zwei offene Arme umarmen die Säulengänge jeden, der den Petersplatz betritt. Es ist ein eindrucksvoller Empfang, der den jährlich mehr als vier Millionen Besuchern, allen voran den katholischen Pilgern, vermittelt: Willkommen im Herzen der Katholischen Kirche.

Eine Dramaturgie, die bewusst nach der Reformation entstanden ist. "Der Vatikan wurde als ein Theater erbaut”, sagt der Kirchenhistoriker Massimo Faggioli. Im Vatikan ist die Katholische Kirche letztlich der Staat: Der kleinste, aber wohl mächtigste Stadtstaat der Welt - und eine Bühne, auf der er sich unter den kritischen Augen der Weltöffentlichkeit in diesen Tagen einer seiner größten Krisen stellen will.

Im Zentrum der Katholischen Kirche: Blick vom Petersdom auf den PetersplatzBild: picture-alliance/U.Poss

Bereits am Mittwoch hatte sich vor den Toren des abgesperrten Teils der Vatikanstadt eine Gruppe - umringt von Kameras und Journalisten - versammelt. Betroffene, Opfer, Überlebende sexueller Gewalt. Sie halten ein Poster mit bunten Flaggen aus aller Welt empor. Was die internationale Gruppe eint: Sie setzen sich für alle Missbrauchsopfer, auch die Namenlosen, der Katholischen Kirche ein.

Opfer aus aller Welt

Die Missbrauchskrise ist ein globales Problem, das hat Kirchenoberhaupt Papst Franziskus erkannt. Was einst mit Enthüllungen in Irland, den USA und Deutschland begann, zog immer weitere Kreise - auch weil Franziskus in einer der dunkelsten Stunden seines bisherigen Pontifikats die Missbrauchsvorwürfe gegen Kirchenleute in Chile, die seinen Besuch in dem Andenland Anfang 2018 überschattete, erst ignorierte.

Bereits im Herbst bat Franziskus die Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen weltweit zu der jetzigen Krisensitzung. Selten treffen so viele ranghohe Kirchenvertreter zusammen, meist zu einer Papstwahl, dem Konklave, wenn sich die Türen der Sixtinischen Kapelle für Tage schließen und nur noch Rauchzeichen signalisieren, was da gerade passiert.

Nebel oder Aufklärung?

In diesen Tagen soll es keinen Nebel geben, die Türen stehen auch Verantwortlichen der Ordensgemeinschaften weltweit und rund 70 Fachleute offen. "Ein Ziel muss sein, dass alle Bischöfe begreifen, es ist eine Herausforderung, der wir uns alle stellen müssen", sagte Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, unmittelbar vor den Beratungen in Rom.

"Tatsächlich findet sexueller Missbrauch überall dort statt, wo Katholische Kirche organisiert auftritt", sagt Matthias Katsch der Deutschen Welle. Katsch durchlitt am Berliner Canisius-Kolleg selbst Missbrauch durch einen Geistlichen und ist heute Sprecher der Betroffenen dieser Jesuiten-Schule.

Auch Missbrauchsopfer sind nach Rom gereistBild: picture-alliance/dpa/L. Navarra

"Das Treffen im Vatikan wird zum ersten Mal in den Fokus rücken: die strukturelle Dimension der Vertuschung von Missbrauch, die Aufarbeitung von Missbrauch und die Prävention von Missbrauch", sagte der deutsche Jesuit Hans Zollner. Der Theologe und Psychologe hat die Konferenz mit vorbereitet. Als Präsident des Zentrums für Kinderschutz an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom schult er kirchliche Mitarbeiter zu dem Thema weltweit.

Handkuss des Papstes

"Der Kontakt mit Betroffenen ist ganz wichtig, um zu spüren, worum es geht", sagte Zollner der DW. Im Vorfeld hat Papst Franziskus allen beteiligten Bischöfen die Anordnung gegeben, in ihrer Diözese mit Opfern von sexuellem Missbrauch zu sprechen. Den Betroffenen vor den Toren des Vatikans reicht das nicht aus. Das hat man  auch im Vatikan erkannt.

"Auf einen solchen Moment habe ich sehr lange warten müssen; der wird mich mein Leben lang begleiten", sagte Marek Lisinski, nachdem ihm Franziskus am Tag vor der Konferenz die Hand geküsst hatte. Da hatte Lisinski dem Papst gerade gemeinsam mit anderen polnischen Missbrauchsopfern einen Bericht über die Vertuschung der Verbrechen in seinem Land übergeben. Fünf Jahre lang habe er keinen Termin mit Kirchenvertretern in Polen bekommen, so Lisinski.

Bischöfe mit Videobotschaft

Fraglich ist, ob diese öffentlichen Augenblicke in Rom ehrlich gemeint sind oder Inszenierung bleiben. Denn dass andere Opfer währenddessen vor den Toren des Vatikans warten und nicht mit zum Papst dürfen, "zeigt, wie wenig er verstanden hat von der Wut und Verzweiflung derjenigen, die in seiner Kirche nicht nur sexuellen Missbrauch erfahren haben", kritisiert der deutsche Opfervertreter Katsch auf Twitter.

Was sich hinter den Mächtigen Mauern des Vatikans abspielt, wird nahezu live im Internet dokumentiert. Es soll ein "Treffen in Solidarität, Demut und Buße" werden, heißt es dazu auf der Konferenzwebsite, auf der die Organisatoren auch die Eindrücke der Bischöfe nach ihren Gesprächen in Videobotschaften veröffentlichen.

"So bedeutend wie die Reformation"

Denn längst haben nicht nur die konkurrierenden Kleriker innerhalb der Mauern des Vatikans erkannt, dass die Deutung dieses Treffens die Katholische Kirche weitreichend verändern könnte. "Die Öffnung der Katholischen Kirche ist nicht etwas, dass die Kirche selbst kontrollieren kann”, sagt dazu Kirchenhistoriker Faggioli.

Nach vorn? Oder zurück in Vergangenheit? Die Kirche steckt im RichtungsstreitBild: Reuters/R. Casilli

Für ihn ist die gegenwärtige Missbrauchskrise so bedeutend wie die Reformation: Wie damals gehe es um Korruption im Klerus, theologische Auslegungen und geopolitische Spannungen innerhalb der Weltkirche. Um so wichtiger sei es, dass die Katholische Kirche sich nicht nur in Inszenierungen verliere, sondern diese Konferenz ernst nehme. Das die italienische Bischofskonferenz just am ersten Tag der Missbrauchstagung bekannt gibt, eine Studie zum Thema in Auftrag zu geben, komme einfach viel zu spät.

Warten auf Signale aus Rom

Längst hat der Missbrauchsskandal eine Debatte um Sexualität in der Katholischen Kirche angestoßen. Kurz vor der Konferenz fordern einzelne Bischöfe, die Verpflichtung zum Zölibat - einem Leben Geistlicher in sexueller Enthaltsamkeit - aufzuheben. Zeitgleich sorgt unweit des Vatikans in Rom die Vorstellung eines Buchs über Homosexualität im Klerus für Schlagzeilen.

"Es geht darum Signale zu senden”, sagt Faggioli der DW. Dafür bietet der Petersplatz bis Sonntag die Bühne. "Das Problem ist, was auf dieser Bühne passiert”, so Faggioli. Was sich hier in den kommenden Tagen abspielt, wird entscheiden, ob in Zukunft Konservative oder Reformer den Ton in Rom angeben.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen