Mit infizierten Mücken gegen Dengue und Zika
29. Juni 2017"Bitte nicht klauen, nicht bewegen und nicht öffnen", steht auf Dutzenden weißen Eimern, die Sularto und seine Kolleginnen Rindhi und Nida in ihre Umhängetaschen packen, bevor sie auf die Motorroller steigen. Die drei Mitarbeiter des Eliminate-Dengue-Projekt fahren nach Kricak, ein Viertel im Nordwesten der indonesischen Stadt Yogyakarta.
Die unscheinbaren Plastikbehälter enthalten eine der modernsten Waffen gegen Denguefieber. Geht das Experiment gut, ist der Weg frei für den weltweiten Einsatz einer völlig neuen Technik gegen von Mücken übertragene Krankheiten. Wichtigster Baustein sind ausgerechnet Moskitos - hunderttausende, in Eimern aufgezogen.
Mücken auf dem Vormarsch
Dengue verläuft selten tödlich, aber die explosive Ausbreitung macht die Krankheit zu einem weltweiten Problem. Etwa 390 Millionen Menschen erkranken pro Jahr, 30 Mal mehr als vor einem halben Jahrhundert. Waren schwere Dengue-Epidemien vor 1970 nur aus neun Ländern bekannt, tritt das Fieber heute in fast 130 Ländern auf. Das Wachstum von Metropolen, der globalisierte Reise- und Warenverkehr sind ideale Bedingungen für das Virus - genauer gesagt für seinen Überträger, die Gelbfiebermücke Aedes aegypti.
Die Mücken nutzen als Brutstätte jede kleine Lache, weggeworfene Getränkedosen, Untersetzer von Blumenkübeln. Sie reisen in alten Autoreifen auf Lastwagen in andere Länder, fahren in Containerschiffen um die Welt. Während Aedes aegypti hauptsächlich in den Tropen und Subtropen vorkommt, breitet sich die verwandte asiatische Tigermücke Aedes albopictus in Europa fortwährend aus. In der Nähe von Freiburg gibt es bereits eine Population.
Im Zuge der Klimaerwärmung könnten weite Teile Europas von diesen Mücken, die unter anderem Dengue und Zika übertragen, besiedelt werden. Wissenschaftler sehen für den Zeitraum 2030 bis 2050 ideale Lebensbedingungen für Aedes albopictus im Westen Deutschlands, in den Benelux-Ländern und dem Süden Englands.
Bakterien gegen Mücken
In Yogyakarta soll der Vormarsch der Mücken aufgehalten werden - durch das Bakterium Wolbachia. In den 1920ern entdeckten US-Forscher diesen Einzeller und glaubten zunächst, einen neuen Krankheitserreger gefunden zu haben. Doch der Organismus schien niemandem zu schaden. Nach heutigem Wissensstand besiedeln Wolbachia-Stämme etwa 60 Prozent aller Insektenarten.
Die Insekten stört diese Infektion erst einmal nicht. Wolbachia-Bakterien manipulieren aber die Fortpflanzung ihrer Wirtstiere. Sie können über Eizellen eines befallenen Insekts weitergegeben werden. Alle Nachkommen eines Weibchens mit Wolbachia sind also ebenfalls mit Wolbachia infiziert. Hat ein Männchen Wolbachia und paart sich mit einem nichtinfizierten Weibchen, wird das Bakterium zwar nicht übertragen, aber die Eier können sich nicht entwickeln, weil eine Zelle ohne Wolbachia mit einer wolbachiainfizierten nicht kompatibel ist.
Das bremst, wenn auch nur anfangs, ein Stück weit die Fortpflanzung der Mücken. Der ausschlaggebende Effekt aber ist die Weitergabe der Bakterien an künftige Generationen: Die Mikroben befallen höchst effektiv ganze Insektenpopulationen.
Bakterien als Virenstopp
Britische Wissenschaftler fanden 2008 heraus, dass Wolbachia Fruchtfliegen gegen Viren wie Gelbfieber, Zika und Dengue resistent macht. Können Wolbachia-Bakterien auch die Übertragung von Dengue-Viren auf Menschen stoppen?
In der Natur befällt Wolbachia keine Gelbfiebermücken der Art Aedes aegypti. Dem australischen Biologen Scott O'Neill gelang es jedoch nach tausenden Versuchen, Mücken mit Wolbachia zu züchten. In ihnen vermehren sich Dengue-Viren so gut wie gar nicht. Eine kleine Zahl von Wolbachia-Mücken kann diese Eigenschaft innerhalb weniger Monate in einer ganzen Population verbreiten.
Das ist der Plan in Yogyakarta. Die Non-Profit-Organisation Eliminate Dengue ist auch in Brasilien, Vietnam, Kolumbien und Australien aktiv, aber die indonesische Universitätsstadt mit drei Millionen Einwohnern ist perfekt, um die Wolbachia-Technik erstmals in großem Stil zu testen. Es ist ganzjährig heiß, selbst während der Trockenzeit regnet es regelmäßig, ein ideales Klima für die Mücken. Indonesien rangiert hinter Brasilien auf Platz zwei der am schlimmsten von Dengue betroffenen Länder.
In einem Teil der Innenstadt verteilen die Wissenschaftler für sechs Monate Wolbachia-Mücken, der Rest der Stadt dient zum Vergleich, um den Versuch möglichst kontrolliert ablaufen zu lassen. Die Gesundheitsbehörden überwachen für zwei Jahre die Entwicklung der Dengue-Infektionen. Die Projektleiter hoffen auf einen Rückgang von mindestens 50 Prozent.
Mücken verteilen
Rindhi klopft an eine heruntergelassene Jalousie. "Hallo! Wir sind vom Eliminate-Dengue-Projekt, ist jemand zu Hause?" Der Stadtteil Kricak besteht aus einem unübersichtlichen Gewirr winziger Gassen. Mit einem Satellitenbild in der Hand müssen die drei Mitarbeiter immer wieder nach dem Weg fragen, um ihre weißen Eimer zu verteilen. In jedem 50 mal 50 Meter großen Planquadrat des Viertels hat sich ein Haushalt bereit erklärt, einen Eimer zu beherbergen.
Für den Erfolg der Wolbachia-Technik ist nicht entscheidend, wie viele Mücken in der Stadt leben, sondern dass die Mehrheit Wolbachia in sich trägt. Aus früheren Studien wissen die Organisatoren, dass der Wolbachia-Anteil in der Population innerhalb von sechs bis zwölf Monaten nach Beginn der Freisetzungen auf mindestens 80 Prozent steigt und auf diesem Niveau stabil bleibt.
Nachdem ein Hausbewohner aufgetaucht ist, bereitet Rindhi mit ihrer Kollegin Nida den Eimer vor: Ein Liter Wasser, darin ein orangefarbener Papierstreifen mit 60 bis 80 Wolbachia-infizierten Mückeneiern, eineinhalb Tabletten Fischfutter als Nahrung für die Larven. Nach neun oder zehn Tagen werden die Mücken schlüpfen.
Wenn die Mücken einmal ein Haus gefunden haben, wo sie Leute stechen und Eier legen können, bleiben sie dort, verstecken sich, suchen allenfalls die nächsten Nachbarn auf, wenn die Gebäude nah beieinander stehen. Sie fliegen nahezu geräuschlos, rund einen Meter über dem Boden, ihr Biss schmerzt kaum. Ihre Opfer finden sie tagsüber, anhand des Geruchs von Schweiß und ausgeatmeter Luft. Ein einziges Weibchen kann für seine Blutmahlzeit bis zu acht Menschen nacheinander stechen. So verbreiten die Insekten die Erreger.
Angst vor dem Dengue-Fieber
Dengue ist eine höchst unangenehme Krankheit, die auch Knochenbrecherfieber genannt wird. Zwar können Infektionen auch so mild wie eine schwere Erkältung verlaufen. Doch meist zwingen sie Patienten mit extremen Kopf- und Gliederschmerzen, hohem Fieber und Schwäche tagelang ins Bett. Tückisch sind Komplikationen, die auftreten können, wenn das Fieber gesunken ist und die Erkrankten sich schon auf dem Weg der Besserung wähnen. Dann kommt es zu inneren Blutungen, der Blutkreislauf kann zusammenbrechen und die Patienten geraten in einen Schockzustand. Schätzungen zufolge verläuft Dengue bei etwa einem Prozent der Erkrankten tödlich, Kinder sind überproportional häufig betroffen.
"Dengue ist eine Krankheit, die Panik in der Bevölkerung verursacht", sagt Adi Utarini, Professorin an der Gadjah-Mada-Universität in Yogyakarta. "Wenn es einen Fall in der Nachbarschaft oder in der Familie gibt, bekommen die Leute riesige Angst, weil die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sie die nächsten sind." Die Regierung ruft immer wieder dazu auf, Brutstätten zu beseitigen. "Aber es ist sehr schwierig, das wirklich regelmäßig und sorgfältig genug zu tun. Und Brutstätten können sehr versteckt liegen”, meint Utarini.
Sie habe alles wie verrückt geputzt, das Bad, die Küche, jeden Tag, um jeden Tropfen stehendes Wasser loszuwerden, erzählt Sanniwati Sukamto, als das Eliminate-Dengue-Team auf seiner Tour zu ihr kommt. Ihre ältere Tochter, die elfjährige Natalia, hat vor einem halben Jahr Dengue gehabt, drei Tage lang lag sie im Krankenhaus. "Bestimmt hat sie sich in der Schule angesteckt", schimpft Sukamto. "Ich hatte solche Angst. Sie hatte nicht mehr das kleinste bisschen Kraft." Es war für sie keine Frage, ob sie den Eimer bei sich aufstellen lässt. "Das ist gut, nicht nur für unser Haus, auch für die ganze Nachbarschaft", sagt sie.
Angst vor Nebenwirkungen
Natürlich stellen die Indonesier auch Fragen nach der Sicherheit. Sie wollen wissen, ob die Wolbachia-Mücken zu irgendeiner Art von Monster mutieren könnten, ob sie selbst als Versuchskaninchen benutzt werden.
Die Technik hat bereits unabhängige Risikoeinschätzungen durchlaufen, mit dem Ergebnis, dass die Freisetzung von Wolbachia-Mücken nur geringste Risiken birgt. Trotzdem kritisieren Wissenschaftler, dass niemand genau weiß, was Wolbachia im Körper einer Mücke anstellt. Zumindest ist die Mutationsrate der Bakterien extrem niedrig, ihr Erbgut verändert sich also kaum. "Selbst wenn sie mutieren - was könnte Schlimmes dabei herauskommen?" fragt Scott O'Neill. "Vielleicht, dass sie nicht länger die Viren in Schach halten. Das wäre schon das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann."
Andere Gutachter sehen die größte Gefahr darin, dass die Maßnahme voreilig zum Erfolg erklärt wird und andere Schutzmaßnahmen heruntergefahren werden. Bei ihrer Tour durch Kricak weisen Sularto, Rindhi und Nida deshalb darauf hin, dass die Einwohner unbedingt weiter Mücken-Brutstätten trockenlegen und sich vor Stichen schützen sollen.
Zwei weitere Länder folgen
Die Menschen begleiten das Projekt mit großem Optimismus, vielleicht sogar zu enthusiastisch. Das Team bereitet sich darauf vor, dass das nicht unbedingt so bleiben wird. Wenn beispielsweise Denguefälle auftreten, könnte die Unterstützung bröckeln. "Das hier ist Forschung, das Ergebnis der Studie kennen wir nicht", sagt die Wissenschaftlerin Bekti Andari. "Es kann auch ein Fehlschlag sein."
Solange, bis das Ergebnis feststeht, wollten zwei Staaten, die 2016 in Südamerika von einer Zika-Epidemie betroffen waren nicht mehr warten. Der Beweis, dass Wolbachia-Mücken zumindest in Laborversuchen auch Zika-Viren nicht verbreiten, hatte die Methode zu einem Hoffnungsträger gegen Zika gemacht. Deshalb wurden Ende 2016 in Kolumbien und Brasilien Wolbachia-Mücken ausgesetzt. In Australien hatte es einzelne Feldversuche bereits 2013 gegeben. Obwohl die Wirksamkeit nicht endgültig bewiesen war - und die Unbedenklichkeit auch nicht.
Da die Zika-Infektionswelle in Südamerika aber zum Beginn diesen Jahres größtenteils überwunden war, ist es schwierig die Wirksamkeit der lokal begrenzten Maßnahmen abschließend zu bewerten. Erste Ergebnisse der australischen Langzeit-Studie wurden indes am 30. Mai in der Fachzeitschrift Plos Biology veröffentlicht.
Dabei kam heraus, dass es tatsächlich gelungen war 60 Prozent der örtlichen Mückenpopulationen mit Wolbachia-Bakterien zu infizieren. Das galt in diesem Fall allerdings noch nicht für die Gelbfiebermücke Aedes aegypti. Bei dem australischen Feldversuch 2013 waren aber auch noch nicht die speziell dafür gezüchteten Gelbfiebermücken eingesetzt worden.