Ein Wald soll dem Braunkohletagebau weichen. Aktivisten kämpfen dagegen, sie bauen Baumhäuser, blockieren Straßen, errichten Barrikaden. Und wirklich: Am Ende feiern sie einen Erfolg. Drei Tage im Hambacher Forst.
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"Vielleicht ist es das letzte Mal, dass wir den Wald in dieser Schönheit sehen." Michael Zobel ist niedergeschlagen; er hat Tränen in den Augen. Er muss heute Abschied nehmen von einem Ort, der zu einem Teil seines Lebens geworden ist. Am vergangenen Sonntag (26.11.2017) läuft der Aachener sichtlich bewegt durch den Hambacher Forst, ein Waldgebiet in der Nähe von Köln.
Michael Zobel ist Waldführer und bietet einmal im Monat Touren durch den 12.000 Jahre alten Forst an. Doch das könnte bald vorbei sein: Der Energiekonzern RWE will den Wald komplett roden. Es sollen Böschungen für den angrenzenden Braunkohletagebau entstehen. Die Rodungen sollen bereits einen Tag später, am Montag, beginnen.
Baumhäuser als Barrikaden
Michael Zobel hat Gesellschaft: Mehrere hundert Menschen sind an diesem Tag mit ihm im Wald. Viele liegen sich in den Armen. Sie beweinen das Schicksal des Waldstücks, das zu ihrer Heimat geworden ist.
Und sie haben Angst vor dem, was in den kommenden Tagen passieren wird. "Die Stimmung ist sehr angespannt", erzählt Zobel. Vor allem bei den rund 200 Personen, die in den kommenden Wochen den Wald verteidigen wollen.
Es sind Aktivisten wie Pello, die nicht akzeptieren, dass der Hambacher Forst verschwindet: "Ich habe mich entschlossen, den Winter hier im Wald zu verbringen, um ihn zu beschützen", erzählt er. Dafür hat er sein Masterstudium ein Jahr nach hinten geschoben. Viele andere haben die gleiche Entscheidung getroffen.
Mittlerweile leben rund hundert Menschen dauerhaft im Hambacher Forst. Sie haben Baumhäuser gebaut, in denen sie hoffen, auch den Winter zu überstehen. "Die meisten sind isoliert und haben sogar einen Ofen eingebaut", erklärt ein Aktivist, der schon mehrere Jahre im Wald wohnt. Über 20 Baumhäuser gibt es. Sie liegen zwischen 16 und 25 Meter hoch und sind oft über Strickleitern miteinander verbunden. Mehrere Baumhaus-Dörfer sind so im Wald entstanden.
"Die Baumhäuser sollen als Barrikaden dienen", erklärt Aktivist Pello. "Solange jemand drin sitzt, kann der Baum nicht gefällt werden." Die Polizei müsste die Menschen aus den Häusern holen. "Wir sind gekommen, um den Wald zu bewahren. Und wir werden dort oben bleiben, solange wir können", betont Pello.
Jeder macht, was er will
Vor fünf Jahren begann die Waldbesetzung mit sechs Aktivisten. Heutzutage sind manchmal mehr als 200 Personen im Wald anzutreffen. "Es ist ein wunderschönes Gemeinschaftsleben hier", sagt Pello. Menschen aus Deutschland und der ganzen Welt leben zusammen im Wald. "Ich habe mich selten an einem anderen Ort wohler gefühlt als hier."
Ihr Zusammenleben bezeichnen die Aktivisten selbst als Anarchie. Einer erklärt: "Jeder kann hier machen, was er will. Man ist zu nichts gezwungen." Im Camp gebe es keine Hierarchie, keinen Boss. Außerdem könne jeder für sich entscheiden, wie er Widerstand leistet. "Die meisten von uns wollen sich friedlich wehren. Aber es gibt auch ein paar, die bereit sind, Gewalt einzusetzen", erklärt ein langjähriger Waldbewohner.
Kampf um die Braunkohle in Deutschland
05:28
Tag eins: Steine und Pfefferspray
"Es war emotional ziemlich anstrengend für mich. Am Montag habe ich kaum geschlafen", sagt Waldführer Michael Zobel. Besonders angespannt war Zobel wegen seiner Freundin, die auch im Wald war. "Es war klar, dass die Rodungen am Montag losgehen. Allerdings wusste niemand genau, was passieren wird."
Der Tag beginnt mit Geräuschen von oben. Es ist noch dunkel, als ein Hubschrauber über den Wald fliegt. Wenig später rückt die Polizei an. Die Beamten versperren die Zugangsstraße zum Forst. Rechts davon beginnen am Morgen die ersten Rodungen. Auf der linken Straßenseite beobachten die Aktivisten das Geschehen. Der RWE-Sicherheitsdienst und die Polizei stehen zwischen den Aktivisten und dem Rodungsgebiet.
"Wir blockieren die Waldwege und versuchen zu verhindern, dass die Maschinen morgens durchkommen", erklärt Pello ihre Taktik. "Wir wollen die Rodungen möglichst lange verzögern oder sogar ganz verhindern." Gleichzeitig versucht eine Gruppe aus etwa 50 Personen, die Polizeikette zu durchbrechen.
Als die Aktivisten eine Böschung hinauf laufen, drängt sie die Polizei mit Pfefferspray zurück. Die Aktivisten sollen mit Steinen geworfen haben, schreibt die Polizei. Die Umweltschützer geben zu, dass Steine geflogen sind. Das solle aber erst passiert sein, nachdem die Polizei Pfefferspray eingesetzt habe.
Tag zwei: Eine überraschende Nachricht
Auch am Dienstag versucht eine Gruppe, die Polizeikette zu durchbrechen - wieder ohne Erfolg. "Die Polizei ist in der Überzahl. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen uns und den Polizisten", fasst ein Waldbewohner zusammen.
Manche Aktivisten frustriert die schwierige Lage. Für den Energiekonzern RWE läuft aber alles nach Plan: "Dank des Polizeiaufgebots, ohne das diese Arbeiten leider nicht stattfinden können, ist es zu keinen nennenswerten Störungen gekommen", sagt RWE-Pressesprecher Guido Steffen der DW.
Nach eigenen Angaben hat RWE bis Dienstagabend rund zwei Hektar Wald gerodet. Doch dann kommt eine überraschende Nachricht: Die Umweltorganisation BUND war erfolgreich mit einem Eilantrag vor Gericht. Der Energiekonzern muss alle Rodungen ab Dienstag (28.11.2017), 18 Uhr beenden. Sie dürfen erst weiter gehen, wenn das Oberverwaltungsgericht in einigen Wochen darüber entscheidet, dass die Rodungen rechtens sind.
Nur ein Teilerfolg
Am Abend verlässt die Polizei den Hambacher Forst. Und die Aktivisten feiern zusammen mit ihren Unterstützern die vorübergehende Rettung des Waldes. Michael Zobel erinnert sich trotz aller Freunde aber daran, dass die Entscheidung des Gerichts nur ein Teilerfolg ist: "Es ist noch nichts final entschieden." Dennoch fällt die Anspannung des Waldführers nach vielen Tagen wieder von ihm ab: "Ich habe viel geweint in letzter Zeit, darum ist diese Nachricht erstmal großartig."
Im Hambacher Forst wird es jetzt wieder ruhiger. Die Aktivisten kehren in ihre Baumhäuser zurück und halten die Stellung. Auch für RWE kam die Gerichtsentscheidung überraschend. Das Unternehmen ist sich dennoch sicher, im Recht zu sein: "Der Beschluss ist keine Entscheidung in der Sache. Wir sind zuversichtlich, dass die Arbeiten bald wieder aufgenommen werden", sagte Pressesprecher Guido Steffen.
Auch Michael Zobel wird in den Wald zurückkehren: "Anfang Dezember wird es die nächste Führung geben - mit so vielen Menschen wie noch nie." Der Hambacher Forst sei nur ein Symptom für viele Konflikte weltweit. "Es geht hier um ein Symbol: Der Ausstieg aus der Kohle ist unausweichlich. Und das hat jetzt auch eine breite Öffentlichkeit weltweit mitbekommen."
Demonstranten stürmen Europas größten Braunkohle-Tagebau
Erst demonstrieren Braunkohlegegner friedlich beim Tagebau Hambach. Dann durchbrechen hunderte Aktivisten die Polizeisperren. Vor dem Bonner Klimagipfel wollen sie Druck auf die Politiker ausüben.
Bild: DW/Wecker/Banos Ruiz
Kohleausstieg - jetzt!
Einen Tag vor Beginn der Weltklimakonferenz COP23 haben sich tausende Anti-Kohle-Aktivisten beim Hambacher Tagebau versammelt, um einen vollständigen Kohleausstieg zu fordern. Die Demonstranten, in weiße Schutzanzüge gekleidet, sind zehn Kilometer weit marschiert - von einem nahegelegenen Dorf bis zum Tagebau.
Bild: DW
Die Zerstörung vollenden
Der Hambacher Tagebau ist der größte CO2-Emitter in Europa. Für die Ausweitung der Mine wurden bereits Teile eines tausendjährigen Waldes abgeholzt und Dörfer abgerissen - weitere sollen folgen. Aktivisten glauben, dass die Klimagespräche in Bonn - nur 50 Kilometer entfernt - Unsinn sind, solang der Tagebau weiterläuft.
Bild: DW
Friedlich kämpfen
Trotz starker Polizeipräsenz war die Stimmung zunächst sehr friedlich. Bunte Plakate und bemalte Gesichter, zusammen mit Gitarren und Gesang, waren die Protagonisten des Protests - zumindest während des ersten Teils.
Bild: DW/Wecker/Banos Ruiz
Achtung, Lebensgefahr!
Als sich die Demonstranten der Mine näherten, verstärkten Polizeibeamte ihre Präsenz und blockierten den Marsch. Mit Lautsprechern warnten sie die Demonstranten, dass sie ein Privatgrundstück beschritten und ihre Sicherheit gefährdet sei.
Bild: DW
Lauf, lauf, lauf!
Die Demonstranten wurden zunehmend aufgeregter, als sie sich dem Tagebau näherten, und obwohl sie schon viele Kilometer gelaufen waren, rannten und jubelten sie auf den letzten Metern.
Bild: DW
Ein Erfolg - für heute
Eine solche Kohleinfrastruktur zu blockieren war der beste Weg, um ihrer Stimme für einen sofortigen Kohleausstieg Gehör zu verschaffen, sagen die Aktivisten. Und ja, zumindest für eine Weile hat der riesige Bagger aufgehört zu arbeiten - das war natürlich ein großer Erfolg für hunderte Aktivisten, die es bis auf das Gelände geschafft haben.
Bild: DW
Kohle stoppen, Klima schützen
Es war nicht der einzige Protest am Wochenende, zu dem sich Anti-Kohle-Aktivisten und Klimafreunde aus der ganzen Welt versammelt haben. Aber alle hatten das gleiche Motto: Kohle stoppen, Klima schützen. Es ist schwer, in Europa einen Platz zu finden, der die Kohle-Debatte so gut repräsentiert wie der Hambacher Tagebau.
Bild: DW
Die Verstärkung ist da
Nach dem langen Fußmarsch und Stunden in der Kälte schien der Protest dem Ende entgegenzugehen. Doch dann stürmten zwei weitere Aktivisten-Gruppen auf das Gelände. Sie hatten sich zuvor von den anderen Demonstranten getrennt, um der Polizei zu entkommen.
Bild: DW/Wecker/Banos Ruiz
Zeit zum Handeln
Die Aktivisten haben ihr Ziel erreicht: Teile des Hambacher Tagebaus wurden gestoppt, zumindest für einen Tag. Ob Politiker während der Klimakonferenz COP23 langfristige Maßnahmen zum Kohleabbau ergreifen werden, bleibt ungewiss.
Bild: DW/Wecker/Banos Ruiz
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Eine Landschaft wird umgewälzt
Riesige Schaufelradbagger graben sich durch die Erde, um die klimaschädliche Braunkohle zu fördern. Die Rheinischen Tagebaue sind eines der größten Fördergebiete Europas. Die Landschaft wird durch den Prozess zerstört.
Bild: DW/K. Jäger
Wanderbaustelle
Braunkohle lagert wie hier im Hambacher Tagebau in Flözen (Schichten), 400 Meter tief unter Kies, Sand und Ton. Sie wird auf Förderbändern zu den umliegenden Kraftwerken transportiert und dort verstromt. Die Landschaft im Hintergrund wurde bereits mit Bäumen rekultiviert, um zumindest einen Teil des klimaschädlichen CO2 aufzunehmen. Die Region deckt 13 Prozent der Stromversorgung Deutschlands ab.
Bild: picture-alliance/dpa/M. Becker
CO2-Ausstoß und Wirkungsgrad
Die Aschehalde des Braunkohlekraftwerks Weisweiler ist kaum zu übersehen. Moderne Kohlekraftwerke sind wenig effektiv. Sie erreichen einen Wirkungsgrad von 45 Prozent - 55 Prozent verpuffen bei der Verbrennung. Kritiker bemängeln außerdem die schlechte Treibhausgasbilanz.
Bild: DW/K. Jäger
Viel Rauch, viele Arbeitsplätze
Nach Angaben von RWE beschäftigt der Stromversorger 11.000 eigene Mitarbeiter im Rheinischen Revier. Der Branchenverband Braunkohleindustrie gibt für Gesamtdeutschland 21.406 Beschäftigte an. Laut Berechnungen der Industrie- und Handelskammer hängen an jedem Arbeitsplatz in der Braunkohleindustrie ungefähr 2,5 weitere in den Bereichen Dienstleistung und Zulieferung.
Bild: Imago/H.-G. Oed
Verlust der Heimat
Der Preis der Braunkohleförderung für die Bewohner der Region ist hoch. Einerseits stehen viele Familien in Diensten der Energiekonzerne, andererseits werden Tausende Menschen auch in den nächsten Jahren ihre Heimat verlieren, damit die Stromgiganten Kohle fördern können. Dörfer werden zerstört, Gräber umgebettet - für die schmutzigste Art der Stromerzeugung.
Bild: DW/K. Jäger
Was vom Dorf übrig blieb
Das Dorf Lohn bei Eschweiler wurde abgebaggert. Die 690 Einwohner mussten ihre Häuser aufgeben. Sie wurden ins wenige Kilometer entfernte Neu-Lohn umgesiedelt. Zur Erinnerung wurde am Standort der alten Lohner Kirche eine Gedächtniskapelle gebaut. Aber manche Bewohner des Ortes schmerzt der Verlust der Heimat so sehr, dass sie nicht an die alte Stelle zurückkehren.
Bild: DW/K. Jäger
AusgeCO2hlt!
Immer wieder fordern Umweltschützer den Stopp der Bagger und den Ausstieg aus dem Landschafts- und Klimakiller Kohle. Doch RWE hat die Genehmigung, bis 2045 Braunkohle im Rheinischen Revier zu fördern. Und die Politik bleibt einen Fahrplan zum kompletten Kohleausstieg bis heute schuldig.
Bild: Greenpeace/Clémentine Senicourt
Ziviler Ungehorsam
Nicht Anwohner, sondern Umweltaktivisten aus der ganzen Republik besetzen den Hambacher Forst seit 2012 immer wieder, um gegen dessen Abholzung zu protestieren. Genauso häufig wird das Camp von der Polizei geräumt. Viel steht ohnehin nicht mehr von dem ursprünglich 5500 Hektar großen Wald. Das ökologisch wertvolle Gebiet soll dem Braunkohletagebau Hambach weichen.
Bild: DW/A.-S. Bändlin
Neuer Ackerboden entsteht
Die durch den Tagebau vernichteten Landwirtschaftsflächen werden durch Neuanpflanzungen kompensiert. Der ackerbauliche, fruchtbare Lössboden wird an anderer Stelle wieder aufgebracht. In einer siebenjährigen Aufbereitungszeit sät RWE dort Pionierpflanzen wie Luzerne. Die Pflanzen lockern den Boden auf und sorgen für eine Stickstoffanreicherung. Erst Jahre später übernehmen Landwirte die Äcker.
Bild: DW/Karin Jäger
Umsiedlung
Nicht nur Menschen, sondern auch Tiere müssen ihren Lebensraum verlassen - zum Einfangen von Molchen nutzen RWE-Biologen alte Farbeimer. Durch das große Loch gelangen die Amphibien ins Innere des Eimers. An einem anderen Ort werden Salamander und Co. dann wieder ausgesetzt.
Bild: DW/K. Jäger
Alles im Blick
Der Indenmann ist kein Verwandter des Steinzeitmenschen, sondern ein Aussichtsturm bei Inden/Düren an der Autobahn A4. Die 36 Meter hohe Stahlkonstruktion besteht aus 20.000 Einzelteilen, bei Nacht wird sie beleuchtet. Die Plattform ermöglicht einen Blick auf den Tagebau Inden und das Land im Wandel.
Bild: picture-alliance/dpa/H. Galuschka
Für Bodenständige
Nicht schwindelfreie Besucher des Indenmannes können sich vom Restaurant der Abraumhalde Goltsteinkuppe einen Überblick über die gigantischen Landschaftsumwälzungen verschaffen. Am Horizont ist die kultivierte 300 Meter hohe Halde Sophienhöhe zu sehen - mit einem 100 Kilometer langen Wanderwegenetz. Kinderspielplätze und Sportanlagen sollen für den Verlust der Landschaft entschädigen.
Bild: DW/K. Jäger
Vision
Nichts für Nostalgiker ist der Platz an der Abbruchkante des Tagebaus Hambach. Hier soll bis 2100 der größte See Deutschlands entstehen. Die Flutung des Restlochs wird 60 Jahre dauern. Die Gegend soll eine Freizeitattraktion werden, den Tourismus ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen, wenn Jobs in der Bergbauindustrie wegfallen. Die ersten Sonnenplätze können schon eingenommen werden.
Bild: DW/K. Jäger
Die Alternative und die Unsicherheit
25 Prozent des Stroms kommt aus Kohlekraftwerken. Aber Braunkohle ist ein Auslaufmodell. Die Zeichen stehen auf alternative Energien wie Windkraft. Allerdings befürchten Kritiker Spätschäden - etwa Erdrutsche - auf den Gebieten der ehemaligen Tagebaue. Auch könnten Projekte nicht mehr realisiert werden, falls der Energiekonzern RWE kein Geld mehr mit Braunkohle verdient.